Zusammenfassung
Im Gegensatz zur Face-to-Face-Kommunikation entbehrt digitale Kommunikation konventioneller Sprecherpositionen. Diese müssen erst durch soziale Praktiken der Kommunikation hergestellt werden. Dies gilt insbesondere für sehr gering strukturierte, diskursive Medienformate wie Online-Kommentarbereiche. Unser Beitrag fragt danach, wie es Akteuren und Akteurinnen in einem solchen Setting gelingt, eine intelligible Subjektpositionierung herzustellen. Dazu führen wir eine Fallanalyse anhand des Online-Kommentarbereichs der ZEIT online (ZON) durch. Wir gehen dabei davon aus, dass den Diskursteilnehmenden daran gelegen ist, als souveräne Subjekte in Erscheinung zu treten, indem es ihnen gelingt, Gesprächsrahmungen zu setzen, denen andere Teilnehmende folgen. Gelingt es Akteuren und Akteurinnen einen solchen Gesprächsrahmen zu etablieren, sprechen wir in Anlehnung an Jo Reichertz von der Erlangung von Kommunikationsmacht.
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Damit ist nicht gesagt, dass die Situation strukturlos bleibt. Es ist davon auszugehen, dass sich vergleichsweise klare Strukturen etablieren. Jedoch sind sie nicht in solch starkem Maße vorjustiert, wie es beispielsweise für Artikel in überregionalen Zeitungen der Fall ist.
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Das Material stammt aus einem von der DFG geförderten Forschungsprojekt, das die Unterschiede zwischen digitaler und analoger Kommunikation untersucht. Hierzu wurden u. A. kommunikative Rahmungen in Debattierclubs, in bildbasierter Kommunikation (Selfies, Memes, Instagram), im journalistischen Sprechen und in Foto- und Filmclubs rekonstruiert und in Hinsicht auf die Bedingungen der Herstellung von Kommunikationsmacht untersucht. In Bezug auf Online-Kommentarbereiche wurden hierzu u. A. entsprechende Bereiche zu Artikeln des aktuellen Tagesgeschehens unterschiedlicher namhafter Tageszeitungen untersucht. Die Userin Lotosblüten wurde als eine von vielen möglichen Kommentatoren für diesen Beitrag ausgewählt, weil sie vergleichsweise viele und lange Posts verfasst hat. Damit können wir auf reichhaltiges Material zurückgreifen, um hier eine gesättigte Analyse ihrer Subjektinszenierung vorlegen zu können (für weitere Ergebnisse der Analyse dieses Kommentarbereichs vgl. Maleyka und Oswald 2017). Gleichfalls präsentieren wir hier ein Fallbeispiel, das nach einer dezidierten Feinanalyse fragt. Die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse, also die Frage, ob die hier festgestellte Art der Subjektinszenierung charakteristisch für Kommentarforen im Allgemeinen ist, muss erst durch eine quantitative Analyse überprüft werden.
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Das erste Diskursnetz besteht aus 20, das zweite aus 44 aufeinander Bezug nehmender Kommentare.
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„Proposition“ wird als analytische Kategorie im Anschluss an Searles Auffassung von Sprechakten verwendet. Der propositionale Akt ist der Akt des Sprechens, mit dem man sich auf die „Dinge“ in der Welt bezieht und ihnen Eigenschaften zuschreibt; man trifft also Aussagen über Sachverhalte (Searle 2007, S. 48 ff.). In diesem Sinne wird im Weiteren auch das Verb „etw. proponieren“ verwendet, wenn jemand eine Aussage tätigt; die Verben etw. proponieren bzw. etw. aussagen werden daher im Folgenden synonym verwendet.
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Zur Metapher „Argumentieren ist Krieg“ und der Subjektfigur des Kriegers/der Kriegerin (Lakoff und Johnson 2000, S. 11 ff.).
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ATopper als weitere Subjektfigur soll hier nur zu Illustrationszwecken beispielhaft und in sehr verkürzter Darstellung angeführt werden. Die Typisierungen basieren auf einem Korpus von drei überregionalen Zeitungen mit jeweils rund 400 Kommentaren pro Online-Kommentarbereich.
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„Diskussionskultur“ wird hier in einem alltagssprachlichen Verständnis verwendet und schließt nicht an Gabe-Theorien an.
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Herma, H., Maleyka, L. (2019). Subjektinszenierung und Kommunikationsmacht digital. In: Gentzel, P., Krotz, F., Wimmer, J., Winter, R. (eds) Das vergessene Subjekt. Medien • Kultur • Kommunikation. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-23936-7_11
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