6.1 Zusammenfassung

Ausgangspunkt und Motivator für diese Arbeit war die Tatsache, dass sich immer mehr deutsche Hochschulen überlegen, Partnerschaften mit chinesischen Hochschulen einzugehen. Zahlreiche dieser Kooperationen sind schon heute aktiv und es werden jährlich mehr. Da das Thema immer aktueller wird, jedoch noch wenige Analysen diesbezüglich verfügbar sind, wurde hier relativ kompakte und pragmatische Aspekte identifiziert, welche einen Studienerfolg für chinesische Studierende und damit auch für deutsche Hochschulen sicherstellen. Ziel war es dabei, eine Handlungsempfehlung für Hochschulen zu erstellen, welche sich eine solche deutsch-chinesische Kooperation in Zukunft vorstellen können oder bereits entsprechende Programme anbieten. Um diesen Anspruch zu erfüllen, wurden in einem ersten Schritt zunächst Aspekte der chinesischen Bildungspolitik ausführlich erläutert und anschließend in der Fachliteratur bestehende und beschriebene Programme analysiert.

Nachdem die aktuellen Programme analysiert wurden, folgte in einem zweiten Schritt die Analyse des kulturellen Hintergrundes. Um diese genauer zu untersuchen, wurden auf die IBM-Studie von Geert Hofstede und die GLOBE-Studie von Robert House besondere Schwerpunkte gelegt. In diesen etablierten Studien wurden die Kulturen verschiedener Länder über verschiedene Dimensionen miteinander verglichen. Hier konnten deutliche Unterschiede zwischen der deutschen und der chinesischen Kultur identifiziert werden, welche grundlegend für die Entwicklung der hier angewandten Hypothesen war.

Da diese Studien die Kulturen und deren Unterschiede im Allgemeinen untersuchten, wurde zudem die empirische Studie von Luo und Kück hinzugezogen. Diese Studie befasst sich konkret mit den Lernunterschieden zwischen chinesischen und deutschen Studierenden. „Das zentrale Interesse [ihrer Studie] besteht darin, zu ermitteln, inwiefern Kultur bzw. kulturelle Hintergründe Einfluss auf die Lernstile einzelner Lerner nehmen“.Footnote 1

Die Ergebnisse der Studien zeigten, dass die chinesischen Studierenden – im Gegensatz zu ihren deutschen Kommilitoninnen und Kommilitonen – ein eher kontinuierliches Lernverhalten haben.Footnote 2

Nach der Bearbeitung der Literaturquellen wurde aus den Ergebnissen sieben Hypothesen aufgestellt, die auf Erfolgsfaktoren von deutsch-chinesischen Studiengängen schließen lassen. Um diese Hypothesen zu überprüfen wurden drei verschiedene Fragebögen entwickelt, welche an chinesische Studierende sowie deren Betreuende bzw. Dozentinnen und Dozenten verteilt wurden. Um eine hohe Qualität der Fragebögen zu gewährleisten, wurden im Vorfeld Expertengespräche durchgeführt.

6.2 Anwendung der Studienergebnisse auf Kernkompetenzen

Folgende Ergebnisse aus der Befragung der 111 Studierenden aus den Bereichen Maschinenbau, Wirtschaftsingenieurwesen, Elektrotechnik lassen sich auf die eingangs eingeführten Konzepte von Paetz et al. genauer in Kompetenzanforderungen an Deutsche Hochschullehrende in Deutsch-Chinesischen Kooperationen anwenden:

Lehre

  • 84 % der Studierenden würden sich eine Wiederholung des Stoffes auf Nachfrage wünschen

  • 95 % der Studierenden wünschen eine unaufgeforderte Wiederholung wichtiger Inhalte

  • 81 % der Studierenden beziehen sich komplett auf die zur Verfügung gestellten Unterlagen

  • 59 % der Studierenden empfinden es als schwierig den Vorlesungen deutscher Dozentinnen und Dozenten zu folgen

  • Für 87 % der Studierenden unterscheidet sich der Lehransatz der deutschen Dozentinnen und Dozenten erheblich von den gewohnten Strukturen

  • 77 % der Studierenden fühlen sich in der neuen Lernumgebung unsicher

  • Für 98 % der Studierenden ist die Diskussionskultur fremd

  • 89 % der Studierenden fühlen sich durch die deutschen Dozentinnen und Dozenten mehr aktiviert

  • 69 % der Studierenden wünschen sich die Nutzung eines Textbuches anstelle von Power Point Präsentationen

Prüfung

  • 51 % der Studierenden würde ihren Lernfortschritt gerne durch unbenotete Tests überprüfen

  • 72 % der Studierenden erarbeiten Lösungen gerne selbstständig, wobei eine enge Zusammenarbeit mit den Dozentinnen und Dozenten gewünscht wird

Akademische (Selbst-) Verwaltung

  • 97 % der Studierenden wünschen sich einen beständigen Ansprechpartner während des Studiums

  • 87 % der Studierenden haben nicht-akademischen Gesprächsbedarf

  • 46 % wünschen sich, dass ein Betreuender Chinesisch spricht

Und aus der Befragung von 36 in Gruppen mit chinesischer Beteiligung lehrende Dozentinnen und Dozenten:

Lehre

  • Studierende müssen mehr aktiviert werden, da diese Diskussionen und Gruppenarbeiten nicht gewohnt sind (83 %)

  • Studierende zeigen sich in Gruppengesprächen offener/weniger schüchtern als im Kursgefüge (90 %)

  • Studierende beziehen sich stark auf das geschriebene Wort, mehr denn mündliche Ausführungen (91 %)

  • Sprachliche Barrieren (Verständigung, vermindertes Sprechtempo) müssen in die Vorlesungsplanung integriert werden (96 %)

  • Besonders wichtige Inhalte sollten auf jeden Fall wiederholt werden (82 %)

  • Transferleistungen fallen den Studierenden eher schwer (64 %)

Prüfung

  • Selbstlernphasen führen in der Regel zu den gewünschten Ergebnissen (74 %)

  • Hausarbeiten und Studienarbeiten werden in der Regel (über-)pünktlich abgegeben (76 %)

  • Bei der Ausfertigung von Hausarbeiten stellen die Studierenden weniger Rückfragen (52 %)

  • Studierende erfüllen methodische und strukturelle Vorgaben sehr zuverlässig (88 %)

  • Alternative Prüfungsformen (mündliche Prüfung, Präsentation, etc.) fallen den Studierenden eher schwer (93 %)

Akademische (Selbst-) Verwaltung

  • Studierende stellen Rückfragen eher in Pausen und nach den Vorlesungen (87 %)

  • Die Verwaltung der Gruppe organisieren die Studierenden in der Regel eigenständig (85 %)

Tabellarisch stechen die in Tab. 6.1 aufgeführten Überschneidungen in den Befragungsergebnissen der beiden Befragungen in Bezug auf die Kernkompetenzen nach Paetz et al. hervor. Die fett markierten Kompetenzen sind diejenigen, die den Ergebnissen der Befragung entsprechend besonders beachtenswert sind.

Tab. 6.1 Befragungsergebnisse und Kernkompetenzen

Um die Darstellung dieser Kernkompetenzen zu vereinfachen wurden in Tab. 6.2 die Ergebnisse von Studierenden und Dozentinnen und Dozenten konsolidiert und entsprechend ihrer Relevanz von oben nach unten absteigend angeordnet.

Tab. 6.2 Befragungsergebnisse und Kernkompetenzen nach Relevanz

Die fett markierten Kompetenzen innerhalb der drei Grundbereiche Lehre, Prüfung und Akademische Selbstverwaltung sind ausschlaggebende Erfolgsfaktoren für deutsch-chinesische Kooperationen.

In der Auswertung wurden die Ergebnisse der Umfragen mit den vorher erstellten Hypothesen verglichen. Durch die Bestätigung bzw. die Widerlegung der Hypothesen, konnten aus den Ergebnissen elf Erfolgsfaktoren identifiziert werden:

Erfolgsfaktoren von deutsch-chinesischen Studiengängen

  1. 1.

    Für eine zufriedene Studierendenschaft ist eine sorgfältige Betreuung durch das Hochschulpersonal notwendig. Insbesondere die Studierendenbetreuenden müssen sich um die chinesischen Studierenden stärker kümmern, als um die deutschen Studierenden.

  2. 2.

    Um die optimale Betreuung der chinesischen Studierenden sicherzustellen, sollte mindestens einer der Betreuenden Chinesisch sprechen. So können Studierende auch kompliziertere Probleme mit einer Vertrauensperson besprechen.

  3. 3.

    Die Betreuenden und Dozentinnen und Dozenten sollten eine angemessene Distanz zu ihren chinesischen Studierenden halten. Diese sprechen nur ungern über private Angelegenheiten mit Autoritätspersonen.

  4. 4.

    Die Betreuenden der Studierenden müssen sicherstellen, dass die Studierenden die administrativen Prozesse verstehen. Dazu können regelmäßige Gruppen-Meetings nützlich sein, bei denen aktuelle Änderungen besprochen werden. Bei wichtigen Neuerungen ist reiner E-Mail-Verkehr nicht ausreichend.

  5. 5.

    Die Dozentinnen und Dozenten müssen versuchen den tatsächlichen Wissensstand der Studierenden zu erkennen. Wichtige bzw. klausurrelevante Themen müssen wiederholt werden. Dabei ist es wichtig auf die einzelnen Studierenden zuzugehen, da diese nicht von sich aus fragen werden.

  6. 6.

    Hausaufgaben sind für die kontinuierliche Vorbereitung der chinesischen Studierenden notwendig und sollten daher regelmäßig vergeben und anschließend besprochen werden.

  7. 7.

    Unbenotete Tests sollten gestellt werden, um den Studierenden die Möglichkeit zu geben, ihren Wissensstand zu überprüfen. Dabei ist das tatsächliche Klausurniveau so genau wie möglich nachzuempfinden.

  8. 8.

    Die chinesischen Studierenden wollen ihre kulturelle Identität beibehalten. Daher ist es wichtig, dass sich die Dozentinnen und Dozenten und die Betreuenden auf die chinesische Kultur einlassen. Auch „Cultural Evenings“ an denen die chinesischen Austauschstudierenden ihre Kultur den anderen Studierenden vorstellen, können bei der Identitätswahrung hilfreich sein.

  9. 9.

    Die chinesischen Studierenden kommen nach Deutschland um ihre Karrierechancen zu verbessern. Daher ist es wichtig, das Studium mit einem engen Bezug zum Arbeitsmarkt zu gestalten. Es könnten zum Beispiel regelmäßige „Career Days“ oder Firmenvorstellungen geplant werden, um den Studierenden spätere Möglichkeiten zu zeigen.

  10. 10.

    Um die chinesischen Studierenden zu unterstützen, sollten insbesondere in den Disziplinen Englisch und Wirtschaft Hilfestellungen geboten werden. Ein Einführungskurs, der die fürs Studium benötigten Grundkenntnisse vermittelt, sollte daher ggf. in das Curriculum eingebaut werden. Darüber hinaus sollten detaillierte Lehrmaterialien zur Verfügung stehen.

  11. 11.

    Regelmäßige Meetings mit ihren Betreuenden und Dozentinnen und Dozenten sind den chinesischen Studierenden sehr wichtig und sollten unbedingt angeboten werden, um die Zufriedenheit der Studierenden zu gewährleisten.

Diese Erfolgsfaktoren sind als Handlungsvorschlag für deutsche Hochschulen und deren Personal zu verstehen. Sie vereinen die kulturellen Unterschiede zwischen deutschen und chinesischen Studierenden mit konkreten Verhaltensvorschlägen und zeigen daher ein so genanntes „Best Practice“ Beispiel.

6.3 Grenzen der Arbeit

In der vorliegenden Studie zeigten sich Grenzen hinsichtlich des Umfangs der empirischen Studie. So traf der Rücklauf der Fragebögen (111 Studierende, 31 Betreuende, 67 Dozentinnen und Dozenten) nicht ganz die Erwartungen. Glücklicherweise antworteten genügend Personen aus jeder Referenzgruppe, sodass trotzdem ein relevanter Vergleich der Gruppen möglich war. Da sich die Ergebnisse größtenteils mit den renommierten Studien von Geert Hofstede und Robert House decken, wird davon ausgegangen, dass die abgeleiteten Erfolgsfaktoren einen fundierten Trend widerspiegeln.

Anzumerken ist, dass die generelle Vorgehensweise trotz der teilweise geringeren Rücklaufquote nicht angepasst werden musste. Dies bedeutet, dass die einzelnen Schritte der Befragung und Analyse auch für eine größere Datenmenge identisch wären. Demnach werden in der Zukunft auf Basis dieser Arbeit weitere Befragungen durchgeführt.

6.4 Zukunftsaussichten

Diese Arbeit vereint die beiden Dimensionen der „kulturellen Unterschiede“ und der „Studiengangorganisation“. Durch die Auswertung der empirischen Studie konnte erkannt werden, dass sich das Hochschulpersonal tatsächlich schon im Vorfeld auf einen solchen Studiengang vorbereiten muss. Die chinesischen Studierenden haben teilweise sehr anspruchsvolle Vorstellungen und Erwartungen.

Deutschland wird als Studienstandort für viele ausländische Studierende immer beliebter. Dabei sind chinesische Studierende keine Ausnahme. Zudem werden immer mehr Fördermöglichkeiten entwickelt, welche den ausländischen Studierenden ihren Aufenthalt noch weiter erleichtern.

Alleine für chinesische Studierende, die in Deutschland studieren wollen, bestehen derzeit 76 verschiedene Fördermöglichkeiten.Footnote 3 Die Tendenz ist dabei weiter steigend.

Die „Internationalisierung der Hochschulen“Footnote 4 nimmt in Deutschland weiter ihren Lauf. Es wird für die deutschen Hochschulen von wachsender Bedeutung sein, sich so schnell wie möglich mit den kulturellen Unterschieden vertraut zu machen. Aufgrund der hohen Erwartungshaltung seitens der chinesischen Studierenden müssen Betreuende wie auch Dozentinnen und Dozenten gleichermaßen über die Verhaltensunterschiede informiert sein, da sich diese auf das Lernverhalten der Studierenden auswirken. In der Zukunft werden daher nur deutsch-chinesische Studienprogramme bestehen, welche sich schon im Voraus mit der Thematik befasst und ihre Lehre angepasst haben.