1.1 Rahmenbedingungen und Hintergrund

Internationale Studiengänge sind in der heutigen, globalen Welt längst keine Seltenheit mehr. Zahlreiche deutsche Hochschulen bieten Studiengänge und Kurse an, die teilweise oder sogar komplett in englischer oder in anderen Sprachen gehalten werden. Deutschland gilt weiterhin als attraktiver Studienstandort für Studierende aus aller Welt – auch aus dem asiatischen Raum und insbesondere für China.

So waren an den deutschen Hochschulen 2015 insgesamt 321.569 ausländische Studierende eingeschrieben. Gegenüber dem Vorjahr ist deren Zahl damit um 7 % bzw. um rund 20.000 Studierende weiter angestiegen. Damit liegt der Anteil der ausländischen Studierenden an allen Studierenden in Deutschland mittlerweile bei 11,9 %.Footnote 1

Tab. 1.1 stellt die Verteilung der Bildungsausländerinnen und -ausländer nach Herkunftsregion und Bundesland (in %) dar. Die unterschiedlichen Nationalitäten präferieren dabei offensichtlich ungleich unterschiedliche Bundesländer. In Sachsen-Anhalt mit 58,7 % die Spitze der Bundesländer in denen der größte Anteil der ausländischen Studierenden aus Asien stammt. Andererseits sind das Saarland und Brandenburg die beiden einzigen Bundesländer, in denen die Bildungsausländerinnen und Bildungsausländer aus Asien nicht den größten Teil der Bildungsausländerinnen und Bildungsausländer stellen. Brandenburg hat darüber hinaus mit 39,0 % den größten Anteil an Studierenden aus Osteuropa, das Saarland mit 32,3 % den größten Anteil an Studierenden aus Westeuropa und in Hessen stellen mit 16,7 % die Studierenden aus Afrika den größten Anteil der Bildungsausländerinnen und Bildungsausländer aus dieser Region.

Tab. 1.1 Bildungsausländer nach Bundesland und Herkunftsregion (in %). (Vgl. DAAD 2016, S. 8 ff.)

Die größte Gruppe der internationalen Studierenden in Deutschland stammt mit 43,7 % aus Europa. Jeder vierte Bildungsausländer kommt dabei aus Osteuropa (24,8 %) und knapp jeder fünfte aus Westeuropa (18,9 %).

Die zweitgrößte Gruppe stellen asiatische Studierende (38 %), darunter sind es vor allem Studierende aus Süd-, Südost- und Ostasien (28 %), die zum Studium nach Deutschland kommen.Footnote 2

Aufgrund des demografischen Wandels der deutschen Gesellschaft ist es ein offen erklärtes Ziel vieler Hochschulen, die „Internationalisierung der Hochschulen“ und damit die Kompensation der schrumpfenden Studierendenzahlen in Deutschland mit Studierenden anderer Nationen zu forcieren.Footnote 3 Hier stellen chinesische Universitäten und somit die Volkswirtschaft China mit über 1000 deutsch-chinesischen Kooperationen und einer beständig wachsenden Bevölkerungszahl (s. Abb. 1.1) den wohl wichtigsten Partner bzw. Markt hinsichtlich der Akquise ausländischer Studierender für deutsche Hochschulen dar.Footnote 4

Abb. 1.1
figure 1

(Vgl. Google Publicdata 2015; Inklusive Prognosen: Vgl. Worldbank 2015 )

Bevölkerungsvergleich Deutschland – China.

Studierende aus China bilden mit 12,8 % die Fraktion mit dem größten Gesamtanteil unter den in Deutschland studierenden Bildungsausländern mit über 30.000 Studierenden.Footnote 5 Studienbewerberinnen und Studienbewerber können hierbei aus einem breiten Spektrum an unterschiedlichen Standorten und Studiengängen wählen, bietet Deutschland doch seinen rund 2.613.168 Studierenden an insgesamt 423 Hochschulen Studienprogramme an.Footnote 6 Einige Hochschulen verfügen sogar über spezielle Studiengänge für deutsch-chinesische oder sogar rein chinesische Studierendengruppen.

Die Vielzahl der Kooperationen und die steigenden Studierendenzahlen ausländischer Studierender kommen nicht von ungefähr: Die Themen „Industrie 4.0“ (in Deutschland) bzw. „Made in China 2025“ (in China) eröffnen für internationale Kooperationen und Studienprogramme neue Perspektiven, Herausforderungen und Chancen. Gemeint ist damit die zunehmende Digitalisierung der Arbeitswelt, die nun auch in China im Rahmen der ehrgeizigen Ziele des 23. Fünfjahresplans aus dem Jahre 2016 vorangetrieben wird. Auch wenn die Ziele der chinesischen Fünfjahrespläne mehr als Blaupause denn als detailliert ausformuliertes Planungspapier zu verstehen sind, so lassen sich doch einige wichtige Schlüsse auch für die Zukunft deutsch-chinesischer Partnerschaften ziehen, da es in China unter diesen Rahmenbedingungen leichter möglich ist, die notwendigen staatlichen Genehmigungen zu erhalten (Tab. 1.2).

Tab. 1.2 Bildungsausländer nach Herkunftsland und Mobilitätsart. (Vgl. DAAD 2015)

Das veranschlagte BIP-Wachstum von 6,5 % pro Jahr ist ein ambitioniertes Ziel, zu dessen Erreichung die chinesische Regierung im Zuge ihrer Öffnungspolitik auch auf ausländische Unterstützung setzt. Das Branding „German Engineering“ bzw. „Made in Germany“ wird in China weiter als Qualitätssiegel angesehen und ist deshalb gerade in der chinesischen Bildungspolitik wieder zunehmend gefragt. Chinas Industrie ist bislang wenig automatisiert bzw. digitalisiert und mit den Plänen zu „Made in China 2025“ will China bis zum Jahr 2025 seine Position stärken, die bereits mit den heute führenden Industrienationen Schritt halten kann. Bis 2020 sollen wissenschaftliche und technologische Fortschritte für 60 % des Umfangs dieses Wirtschaftswachstums verantwortlich sein. Eine globale Expansion chinesischer Technologie in zehn wichtigen Industrien, unter anderem in der Elektromobilität und der Luft- und Raumfahrttechnik sowie die massive Förderung von Zukunftstechnologien der Digitalisierung, sollen Chinas Wirtschaft langfristig verändern und zu weiterem Wachstum führen. Um dies zu erreichen sind umfangreiche Infrastrukturmaßnahen vorgesehen, aber auch die Reduzierung der Luft- und Umweltverschmutzung.Footnote 7

Auf politischer Ebene gab der Staatsbesuch des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinpings im Jahre 2014 der Zusammenarbeit der beiden Wirtschaftsnationen Deutschland und China weiteren Aufschwung. Das in Deutschland viel diskutierte und verfolgte Konzept der „Industrie 4.0“ wird auf chinesischer Seite als innovatives Konzept verstanden, an dessen Leitlinien sich die wirtschaftliche und technologische Entwicklung des Landes orientieren soll.Footnote 8 Darüber hinaus verfolgen im Speziellen deutsche Unternehmen verstärkt die Themen der Digitalisierung und Automatisierung, sodass sowohl privat- als freiwirtschaftliche Akteure in diesen untergeordneten Bereichen von neuen Partnerschaften profitieren.Footnote 9,Footnote 10

Vor dem Hintergrund oben genannter Ziele, beginnt auch die Nachfrage nach dem Export von deutschen Bildungskonzepten wie etwa dualen Konzepten zur Ausbildung der chinesischen Studierenden wieder zu steigen und gerade technische Studiengänge rücken für chinesische Gaststudierende immer weiter in den Fokus.Footnote 11,Footnote 12

Unter Berücksichtigung dessen haben auch deutsche Hochschulen ihre Kooperations- und Wachstumschancen erkannt und setzen nicht erst seit dem Deutsch-Chinesischen Jahr der Wissenschaft und Bildung 2009/2010 auf eine zunehmende Öffnung ihres Studienangebotes für Studierende aus China.Footnote 13

Im Bereich der Bildung wurde im Jahr 2014 in China die Reform zur „Beschleunigung der Entwicklung moderner Bildung“, auch bekannt als Bildungsreformplan 2020, verabschiedet. Ziel dieser ist es die praxisbezogene Hochschulbildung und den Berufsbildungssektor weiter auszubauen, sodass beispielsweise Hochschulen mit grundständigen Studiengängen zu berufsbildenden Schulen umgewandelt werden. Auch hier setzt man auf den Import ausländischer Bildungskonzepte wie beispielsweise dem dualen Ausbildungsprinzip.

Bei aller Öffnung der Bildungs- und Denkkonzepte darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass chinesische Kontrollinstanzen wesentliche Grenzen und Einschränkungen bei der Planung und Realisierung erfolgreicher Hochschulkooperationen darstellen können. Hierunter zählen unter anderem die Maßnahmen der Regierung zur zunehmenden Kontrolle des chinesischen Bildungssystems.Footnote 14 So müssen seit dem Jahr 2015 unter Anderem Studienfachberater und Studienfachberaterinnen, sowie Tutorinnen und Tutoren an chinesischen Universitäten Mitglieder der Kommunistischen Partei Chinas sein und aktiv Studierende für die Partei anwerben, um die ideologischen Grundlagen der Regierung auch im Bereich der Universitätsbildung weiterhin aufrechtzuerhalten.Footnote 15,Footnote 16 Im Speziellen sind geistes- und sozialwissenschaftliche Kooperationen von diesen Maßnahmen betroffen (z. B. konfliktbehaftete Themen wie Freihandel, Kapitalismus, …), dahingegen technisch orientierte Studiengänge eher weniger.Footnote 17

Im sogenannten „Central Document No. 9“ wurde unter Chinas aktuellem Präsidenten Xi Jinping bereits im Jahre 2013 ein Katalog von sieben Tabuthemen erlassen. Diese Tabuthemen sollen von Lehrenden an chinesischen Schulen und Hochschulen nicht weiter thematisiert werden und gelten als „unaussprechlich“: Insbesondere die Kontroverse um Bürgerrechte, Pressefreiheit und die geschichtlichen Kontroversen um die Fehler der Kommunistischen Partei Chinas werden demnach als schädlich für die Stabilität der chinesischen Regierung eingeschätzt.Footnote 18 Ebenso wurden die Offensiven gegen westliches Gedankengut in chinesischen Lehrbüchern ausgeweitet.Footnote 19

1.2 Das chinesische Schul- und Hochschulsystem

Einführend wird auf die aktuelle Bildungssituation in der Volksrepublik China eingegangen. Mit besonderem Augenmerk erfolgt hierbei zunächst eine Betrachtung der primären Ausbildungsstrukturen und Ausbildungsinhalte, um somit ein differenziertes Verständnis für bisherige Lernstrategien, Lerninhalte sowie Kenntnisstände zu erhalten. Basierend auf dieser Grundlage werden Einstiegsstrategien und Anknüpfungspunkte für übergreifende bzw. gemeinsame curriculare Aktivitäten erörtert.

Abb. 1.2 zeigt, dass sich das chinesische Schulsystem vom deutschen Schulsystem auf den ersten Blick nur gering unterscheidet. Die ersten neun Jahre der schulischen Ausbildung gehören in China zur Pflichtausbildung. Das chinesische Ministerium für Bildung geht heute davon aus, dass etwa 99,7 % der chinesischen Kinder diese neun Bildungsjahre auch tatsächlich wahrnehmen. Nach dieser Grundausbildung bestimmen oft das Elternhaus und deren gesellschaftlicher Stand, ob die Bildung des Kindes über die ersten neun Jahre hinaus erfolgt. Studieninteressierte chinesische Schülerinnen und Schüler müssen zudem im Regelfall einen nationalen Studienzulassungstest (gaokao) absolvieren, um für die höhere Bildung zugelassen zu werden. Der gaokao stellt sicher, dass sich das Niveau der chinesischen Studierenden im ganzen Land innerhalb eines Jahrganges auf einem vergleichbaren Niveau befindet bzw. regelt die Zulassung der Studienbewerberinnen und Studienbewerber je nach fachlicher Eignung zu bestimmten thematischen Programmen.Footnote 20

Abb. 1.2
figure 2

(Vgl. Classbase 2015; Yang, D. 2010, S. 59–85)

Schul- und Studiensystem in China.

Abb. 1.3 illustriert die unterschiedlichen und vielfältigen Bildungsverläufe innerhalb des chinesischen Bildungssystems. Auffällig hierbei sind die Unterschiede hinsichtlich der individuellen Ausbildungsdauern und Ausbildungsarten, die einer vollkommenen Transparenz, wie auch Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Phasen des Bildungsablaufes entgegenstehen.

Abb. 1.3
figure 3

(Erstellt nach: Kooperation-International.de)

Das chinesische Bildungssystem in schematischer Abbildung.

1.3 Bildungschancen chinesischer Studierender in ihrer Heimat

Die sogenannte „Bildungsoffensive“ der chinesischen Regierung der späten 1990er Jahre hatte zur Folge, dass in China ein buchstäbliches Wettrennen um Bildung entstand. Die Anzahl der Bewerberinnen und Bewerber für den gaokao hat seither einen deutlichen Anstieg verzeichnet (siehe Abb. 1.4). Diese Bildungsreform war ursprünglich ideologisch auf die Vorstellung einer allgemeinen, gleichen Chance auf Bildung zurückzuführen und sollte unter Anderem den Zugang zu Bildung auch für die Schülerinnen und Schüler der strukturell schwachen ländlichen Regionen Chinas eröffnen.Footnote 21

Abb. 1.4
figure 4

(Yang, D. 2010)

Entwicklung der gaokao Anmeldungen nach hukou Status.

Gefördert durch die Bildungsreform sowie diverse darin enthaltene Anreizsysteme, gelang es zunehmend mehr Bewerberinnen und Bewerber aus ländlichen Regionen zumindest für die Teilnahme an den Gaokao-Prüfungen zu gewinnen, sodass die Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ländlichen Regionen die Anzahl der Bewerberinnen und Bewerber aus städtischen Gebieten mittlerweile übersteigt.Footnote 22

Das bereits vor über 4000 Jahren eingeführte hukou-System diente in seiner ursprünglichen Auslegung der Kontrolle der Bevölkerung hinsichtlich der Entrichtung der Steuern oder der Einberufung zum allgemeinen Wehrdienst. Im weiteren geschichtlichen Verlauf wurde das hukou dazu genutzt die Landflucht auszubremsen, sodass chinesische Bürgerinnen und Bürger an ihren zugeordneten Wohnsitz gebunden waren. Im Zuge der Lockerung unter Staatspräsident Deng Xiaoping ab dem Jahr 1979 war es chinesischen Bürgerinnen und Bürgern von nun an möglich, den Wohnort zu wechseln, wobei die fixe Zuordnung des ursprünglichen Wohnortes bestehen blieb. In der heutigen Zeit leben somit mehrere hundert Millionen Chinesen an ihnen nicht zugewiesenen Wohnorten, sodass diese auf entsprechende staatliche Leistungen nicht zugreifen können.Footnote 23

Bürgerinnen und Bürger mit ländlichem hukou-Status wird dementsprechend unter Anderem bis heute der Zugang zu Bildung und Sozialleistungen in Städten verwehrt, da der persönliche hukou-Status sich nach wie vor nicht ändern lässt. Somit kommt es dazu, dass viele (größtenteils illegal) in den Städten lebende Chinesen mit ländlichem hukou-Status an ihrem realen Wohnsitz kein Anrecht auf Bildung haben.Footnote 24 Neben dem eigenen hukou-Status spielen weitere Faktoren, wie das „kulturelle und soziale Kapital“ von Hochschulanwärtern, eine wichtige Rolle im Hinblick auf deren Bildungs- und Karrierechancen.

Im chinesischen Bildungssystem gibt es verschiedene Arten von Hochschulen, die nach Qualität und Ansehen der jeweiligen Bildung geordnet werden können. Öffentliche Universitäten gliedern sich in sogenannte „key universities“ (hier: Elite-Universitäten) und „reguläre“ staatliche Hochschulen. Ein Abschluss einer staatlichen Forschungseinrichtung wird als akademisch höherwertiger angesehen als der Abschluss einer privaten Bildungseinrichtung.

Diese wiederum werden hauptsächlich von reichen Familien der städtischen Mittelschicht genutzt. Ebenso besteht eine Unterscheidung zwischen Universitäten und Colleges (etwa Fachhochschulen). Diese „Fachhochschulen“ werden unterteilt in Einrichtungen mit Elite-Status, Provinz-Hochschulen und berufliche Hochschulen. Innerhalb dieses pyramidenartigen Schulsystems sind die ländlichen Studierenden hauptsächlich in den mittleren und unteren Schichten der Pyramide vorzufinden.Footnote 25

Abb. 1.5 zeigt die Verteilung von Studierenden aus 34 chinesischen Hochschulen im Jahr 2004 im Hinblick auf ihre soziale Klassenherkunft. Die Einteilung in Unterschicht, Mittelschicht und Oberschicht erfolgt auf Grundlage der Berufe der Eltern. So werden z. B. Kinder von Regierungskadern oder Führungskräften in Wirtschaft oder Militär der gesellschaftlichen Oberschicht zugeordnet. Soziale Ungleichheiten werden erst deutlich, wenn man sich den relativen Anteil der jeweiligen Bevölkerungsschicht an der Gesamtbevölkerung vor Augen führt. Die gesellschaftliche Oberschicht (Upper Class) repräsentiert 9,3 % der Gesamtbevölkerung, die gesellschaftliche Mittelschicht (Middle Class) 25,5 %, und die gesellschaftliche Unterschicht (Lower Class) stellt einen Anteil von 65,2 % der Gesamtbevölkerung dar. Somit werden 30,4 % der Studienplätze (~1/3 aller Studienplätze) an den 34 hier betrachteten Hochschulen von Studierenden aus einer Gruppe, deren Angehörige nur 9,3 % der Gesamtbevölkerung ausmachen, eingenommen. Betrachtet man die Verteilung der Studierenden unter dem Gesichtspunkt ihrer jeweiligen sozialen Klasse/Bildungsschicht, so wird deutlich, dass junge Erwachsene der gesellschaftlichen Unterschicht eher in praktischer Berufsausbildung vorzufinden sind, als diejenigen der gesellschaftlichen Oberschicht. Somit wird ein Zusammenhang zwischen Bildungsschicht und Bildungschance deutlich. Neuere Studien zeigen, dass sich diese Ungleichheiten weiter ausweiten.Footnote 26

Abb. 1.5
figure 5

(Yang, D. 2010)

Verteilung Studierender in China auf soziale Schichten.

Die Verteilung der Studienbewerberinnen und Studienbewerber auf die verschiedenen Schultypen erfolgt nach Schlüsselung über die Ergebnisse des gaokao. Hierin liegt neben dem hukou-System die zweite wichtige institutionelle Schwäche des chinesischen Bildungssystems im Hinblick auf die sozialen Ungleichheiten: So gibt es neben der grundsätzlichen Ortsgebundenheit des hukou sowohl lokale Unterschiede in den „Numeri Clausi“, wie auch gesellschaftsschicht-spezifische Mindestanforderungen an den Abschlussscore aus dem gaokao, um bestimmte Studienrichtungen einschlagen zu können. Weiterhin steht der gaokao auch wegen Vorwürfen der Bestechlichkeit der Prüfer bei der Vergabe von Bonuspunkten, beispielsweise an ethnische Minderheiten, in der Kritik.Footnote 27

Tab. 1.3 vergleicht die notwendige Mindestpunktzahl aus dem gaokao, die Studienanwärter für verschieden Studienfächer mindestens mitbringen müssen in Abhängigkeit des Berufs des Vaters eines jeweiligen Studierenden. In allen aufgezählten Studiengängen wurden höhere Anforderungen hinsichtlich der Mindestpunktzahl der ländlichen Studierenden bzw. der sozialen Herkunft der Eltern gestellt. Durch eine durch die zentrale Bildungsbehörde festgelegte Anzahl der Neuaufnahmen an den Hochschulen („fixed enrollment approach“) unter Berücksichtigung der sozialen Herkunft ergeben sich deutliche Unterschiede bei den Eintritts-Notenschwellen. Hierdurch wird der Zugang zu Hochschulbildung für Schülerinnen und Schüler aus oft bildungsferneren, ländlichen Regionen zusätzlich erschwert, während Schülerinnen und Schüler der Mittelklasse und der Oberschicht eine systemische Bevorzugung erfahren.Footnote 28

Tab. 1.3 Berufe der Eltern und gaokao Mindestanforderungen. (Wang, H. 2011)

Diese Gruppierungstendenz ist bereits in der Sekundarschule zu beobachten, befinden sich doch gerade die höheren sozialen Schichten meist eher in (teils teureren) akademischen Programmen. Hierin begründet, ergibt sich ein erheblicher Konkurrenzkampf zwischen Elite-Schulen und „regulären“ Schulen bereits in der Sekundarbildung. 2004 besuchten 62 % der gesellschaftlichen Oberschicht sogenannte Elite-Sekundarschulen, während ca. 60 % der Unterschicht normale Sekundarschulen besuchten.Footnote 29

Zu den beschriebenen Unterschieden kommt hinzu, dass jede Provinz eigene Inhalte für ihren gaokao festlegen kann, sodass die Vergleichbarkeit zwischen den Provinzen dadurch zusätzlich erschwert wird. Des Weiteren lassen sich deutliche Lokalisierungstendenzen feststellen: Lokale Hochschulen (auch aus Gründen des hukou-Systems) nehmen bevorzugt lokale Schülerinnen und Schüler auf und werden überwiegend in der Nähe zu ihren Geldgebern gegründet. In ländlichen Regionen sind in der Regel andere Studienangebote vorzufinden, als an städtischen Universitäten. Überwiegend lässt sich dies durch den Unterschied hinsichtlich der zu bedienenden Klientele erklären. Ländliche Studierende sind meist in andere Fächer eingeschrieben als ihre städtischen Kommilitonen (bspw. mehr agrarwissenschaftliche Studiengänge auf dem Land vs. wirtschaftlich geprägte Studiengänge in den Städten). Dies kann auf Basis von zwei Gründen erklärt werden: Zum einen liegen Studieninteressen eher in einem Bereich, den die Studierenden aus ihrer eigenen Umgebung kennen und vortreffen bzw. deren Nutzen für ihre Eltern ersichtlicher erscheinen und zum anderen können sich Bewerberinnen und Bewerber aus ländlichen Regionen ein teures Studium an einer Privatschule meist kaum leisten.Footnote 30

Die moderne Chinaforschung ist sich weitgehend darin einig, dass der soziale Hintergrund und die Hierarchiebildung innerhalb des chinesischen Bildungssystems die ausschlaggebenden Faktoren für die ungleichen Bildungschancen sind.Footnote 31

Am stärksten macht sich dies bei den Stadt-Land-Vergleichen bemerkbar. Die Disparität zeigt sich in den genannten Ausmaßen, da die Menschen aus städtischen Gebieten besseren Zugang zu Bildung und somit höhere Chancen auf akademischen Erfolg haben. Für die kommenden Jahre wird in der VR China mit einem steigenden Wirtschaftswachstum eine Verschärfung dieser Disparitäten prognostiziert. Als systemische Schwäche darf hier auch die schlechtere Sekundarbildung in ländlichen Gebieten nicht außer Acht gelassen werden.Footnote 32

Trotz der Tatsache, dass die neunjährige Schulbildung – wie eingangs erwähnt – weitestgehend universalisiert ist, sind strukturelle Probleme im Bildungs- und Versorgungssystem im Nordwesten und Südwesten Chinas am deutlichsten erkennbar. Besonders schwierig ist die Situation städtischer Migranten: Sie sind aus ihrem alten (meist ländlichen Heimatort) zugezogen und müssen ihren gaokao in ihrer eigentlichen Heimatstadt ablegen. Aufgrund ihrer Herkunft bzw. ihres alten, unveränderlichen hukou-Status wird ihnen aber meist auch die Bildung an ihrem neuen (inoffiziellen) Wohnsitz in der Stadt verwehrt.Footnote 33

Als besondere Triebfeder des Zuwachses an internationalen Programmen kann im Rahmen dieser Betrachtung des chinesischen Bildungssystems nach sozialer Klasse, die eher erfolgsorientierte und gleichzeitig wachsende gesellschaftliche Mittelschicht identifiziert werden. Sie ist es vor allem, die auch für deutsche Studienprogramme und Kooperationen die hauptsächliche Klientel darstellt. Private Bildung wird in China von den Angehörigen der Mittelschicht oft als Sprungbrett für ein anschließendes internationales Studium angesehen. Der Ausbau internationaler Programme und die Interessen der Mittelschicht verlaufen hierbei synchron. Die Motivation hinter diesen Interessen besteht darin, den eigenen Kindern bessere Chancen auf einen sozialen Aufstieg zu gewährleisten. Städtischer Status (hukou-Status), der eigene Job-Status (danwei) und Beziehungen/Netzwerke (guanxi) zu einflussreichen Personen bilden das ökonomische und soziale Kapital der Mittelschicht, welches deren Angehörige nutzen, um eine bessere Bildung für ihre Kinder zu ermöglichen. Somit profitieren die jungen Studierenden oftmals von den bestehenden Strukturen und sozialen Netzwerken ihrer Eltern. Geld bzw. die Kosten der Ausbildung und akademische Güte spielen bei der Suche nach Karrierechancen eher eine untergeordnete Rolle, während Prestige und internationales Ansehen ausschlaggebendere Argumente für die Investitionen der Eltern in die Bildung und Karrierechancen ihrer Kinder sind. Das Interesse an internationaler Bildung ist damit Ausdruck einer wachsenden Mittelschicht und überwiegend zweckgerichtet.

Vor allem für diejenigen Schülerinnen und Schüler bzw. späteren Studierenden, die im gaokao keine guten Leistungen erzielt haben, sind private Hochschulen und der spätere Gang ins Ausland eine beliebte Alternative. Dieser Trend stellt besondere Anforderungen an die Auswahl geeigneter Kandidaten zur Teilnahme an deutschen Programmen, wie im weiteren Verlauf näher erläutert wird. Ebenfalls ist der Gang ins Ausland eine gute Alternative, um Chancen auf einen sozialen Aufstieg in China zu sichern oder gar ein neues Leben im Ausland zu beginnen. Gerade das Image eines Landes bezüglich des Rufs in bestimmten Studienrichtungen ist für die Entscheidung chinesischer Studierender über die Wahl eines ausländischen Studienprogrammes ausschlaggebend.Footnote 34

Mit entsprechender Sorge betrachtet die chinesische Regierung den längerfristigen Abgang ihres „Humankapitals“ ins Ausland und bindet ihre internationalen Studierenden durch Auflagen, die sie, zumindest nach erfolgreicher Graduierung im Ausland, an ihr Heimatland binden sollen. Beispielsweise werden Besuche durch die Familie im Ausland nicht genehmigt oder eine verpflichtende, sofortige Rückkehr nach China nach Beendigung des Studiums vereinbart.

Ein Auslandsstudium für chinesische Studierende kommt völlig unabhängig von Klasse oder Status an verschiedenen Punkten ihres Bildungsweges infrage. Auslandssemester können entweder während des Bachelor- oder des Masterstudiums absolviert werden, wohingegen auch die Möglichkeit besteht, ein ganzes Studium als so genannter „degree seeker“ in Deutschland zu absolvieren. Ein Studium komplett im Ausland zu absolvieren ist in vielen Provinzen Chinas mit der Konsequenz verbunden, dass den chinesischen Studierenden daraufhin der (Wieder-)Einstieg in ein Grund- oder Masterstudium in ihrem Heimatland verwehrt bleibt. Auch ein konsekutives, auf das Grundstudium im Ausland aufbauendes Masterstudium in China kann dann nur unter erschwerten Zulassungsbedingungen aufgenommen werden.

1.4 Die chinesische Bildungspolitik

Die Bildungspolitik Chinas ist eine der dynamischsten und ambitioniertesten Vorhaben der aktuellen politischen Bemühungen der Volksrepublik. Es lohnt sich also, die bildungspolitischen Entwicklungen und Ambitionen genauer zu betrachten:

Zwar waren Forschung und Entwicklung in China historisch gesehen nicht immer direkt an die Institution der Hochschulbildung gebunden, sondern wurden eher von privaten und staatlichen Agenturen betrieben.Footnote 35 Im Gegensatz hierzu gab es in China bereits vor Deutschland erste Exzellenzinitiativen, welche den Ausbau der Hochschulbildung fördern sollten.Footnote 36 Entsprechend wurden z. B. im „Projekt 985“ zu Beginn der 2000er-Jahre erst 9, später dann sogar 40 Universitäten gefördert.Footnote 37 Die Größe des chinesischen Bildungssystems ist rein zahlenmäßig beeindruckend und in dieser Hinsicht kaum mit deutschen Verhältnissen vergleichbar, wie Tab. 1.4 verdeutlicht.

Tab. 1.4 Bildungssystem und Bildungsbeteiligung (VR China 2007). (Glöckner, C. 2013, S. 204)

Dass die zurückliegenden Bildungsreformen auch als „großer Sprung nach vorne in der Bildungspolitik“ bezeichnet werden können,Footnote 38 zeigt sich z. B. auch in der Tatsache, dass die Mittelschulbildung in der Volksrepublik vor etwas mehr als 20 Jahren noch nicht existent war, heutzutage aber bereits flächendeckend universalisiert ist.Footnote 39

Die Zahl der Beteiligten Schülerinnen und Schüler bzw. der beteiligten Studierenden lässt sich nach privaten und staatlichen Einrichtungen trennen (siehe Tab. 1.5).

Tab. 1.5 Private und staatliche Einrichtungen (2007). (Ebd., S. 208)

Es lohnt zunächst ein historischer Rückblick über die bildungspolitische Entwicklung Chinas. Die ideologischen Wurzeln der chinesischen Bildungsgeschichte sind im Konfuzianismus verankert. Dieser geht von der grundsätzlichen Gutartigkeit und Lernfähigkeit des Menschen aus. Ein erstes Bildungswesen war in China so bereits in der Shang-Dynastie (ca. 1600–1046 v. Chr.) vorhanden. Die erste Hochschule (die „Peking Universität“) wurde allerdings erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts eröffnet. Anfangs orientierte sich die Ausrichtung der Bildungspolitik nach Gründung der Volksrepublik China noch nahe am Beispiel der Sowjetunion, ab 1978 erlebte diese nach herben Rückschlägen zu den Zeiten der Kulturrevolution aber den „Vier Modernisierungen“ Deng Xiaopings entsprechend eine wichtige Aufwertung: Fortan wurde Bildung wieder als wichtiges Modernisierungselement angesehen. Trotz weitgehender Zensur entwickelten sich so erste zukunftsweisende Curricula und auch erste Qualitätsoffensiven der Hochschulbildung.Footnote 40

Als Mitauslöser der aktuellsten, gegen Ende der 90er-Jahre einsetzenden Bildungsoffensive gelten unter Anderem vier offizielle Regierungsdokumente: „Decisions on Reforming the Education System“ (Central Committee der CPC 1985), „Guides for Chinas Education Reform and Development“ (The State Council 1993), „On Deepening the Reform of the Higher Education System“ (The Ministry of Education 1995) und das kurz darauf erschienene „Higher Education Law of the Peoples Republic of China“ (1998).Footnote 41

Im Jahre 1998 verkündete Jiang Zeming in Folge dieser Dokumente anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Peking Universität einen Aktionsplan zum Ausbau des Hochschulsystems. Diese ambitionierte Bildungsoffensive führte daraufhin zu einer rasanten zahlenmäßigen Vergrößerung der Hochschullandschaft in allen Belangen. Die Ambitionen dieser Reformen waren und sind weiterhin wirtschaftlich begründet: Peking investiert in Bildung und hat deren Relevanz für das wirtschaftliche Wachstum erkannt. Dass diese Pläne durchaus internationale Ansprüche erheben, verdeutlicht der Präsident der Yale-University, einer der renommiertesten Universitäten der Welt, Richard Levin, in einem Vortrag zu diesem Thema. Er stellt klar, dass die chinesische Bildungspolitik aktuell einen Wandel von zahlenmäßiger Reform hin zu qualitätsorientierteren Maßnahmen vollzieht. Levin beschreibt das Phänomen einer zunehmenden Globalisierung der Hochschulbildung an deren Spitze innerhalb der nächsten 25 Jahre die chinesischen Institutionen unter den Top 10 der internationalen Universitäten beheimatet sein werden. Er geht sogar so weit, die neun ersten im „Projekt 985“ geförderten Universitäten bereits als „Ivy-League Schools“ zu bezeichnen.Footnote 42

Aber auch andere Vorzeigeprojekte untermauern die Ambitionen der chinesischen Bildungspolitik, mit den besten Universitäten der Welt Schritt halten zu wollen. Dieses Innovationspotenzial soll dem bisher nur auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaftssystem langfristige Stabilität bereiten.Footnote 43 Als „New York des beginnenden Jahrhunderts für ausländische Wissenschaftler“ bietet China ausländischen Forschern attraktive Chancen und wirbt um ausländische Akademiker und deren Expertise.Footnote 44

Immerhin wird ausländischen Professorinnen und Professoren aus den USA oder dem United Kingdom in China oft mehr als das Fünffache eines normalen Professur-Gehaltes angeboten.Footnote 45 Gleichzeitig steigt die Anzahl der „Rückkehrer“, die ihr Studium im Ausland absolviert oder dort eine wissenschaftliche Position eingenommen haben.Footnote 46 Die Aufwertung Chinas als Hochschulstandort geht weiter voran.

Bereits die zahlenmäßigen Effekte der Bildungsreformen der späten 90er-Jahre sind enorm und nicht zu unterschätzen: China hat innerhalb eines Jahrzehntes den weltgrößten Bildungsmarkt erschaffen.Footnote 47 Mitte der 90er-Jahre besuchten nur 5 % der Chinesen und Chinesinnen im Hochschulalter eine Hochschule.Footnote 48 1999 wurden die staatlichen Aufnahmequoten um 550.000 Studienanfänger erhöht. Von 1998 zu 2012 erfuhr diese einen deutlichen Ansprung von 1,08 Mio. auf 23,91 Mio. Studienanfänger.Footnote 49 Entsprechend verhielt sich auch die Absolventenrate an den chinesischen Hochschulen. Im Jahr 2013 gab es in China 6,99 Mio. Hochschulabsolventinnen und -absolventen (dreimal mehr als noch in 2003).Footnote 50

Abb. 1.6 verdeutlicht das enorme, zahlenmäßige Wachstum des Bildungsangebots in China. In der Entwicklung der grundständigen Studienangebote in den Natur- und Ingenieurswissenschaften hat China verglichen mit anderen wichtigen Ländern wie den USA, Japan oder Deutschland einen deutlichen Zuwachs in der Anzahl der Studiengänge verzeichnet.

Abb. 1.6
figure 6

(Erstellt an Hand der Datensätze der „Science and Engineering Indicators“, National Science Board 2016)

Grundständige Studiengänge der Natur- und Ingenieurswissenschaften 2000–2012.

Auch die in Abb. 1.7 dargestellte Entwicklung der vergebenen Promotionstitel zwischen 2000 und 2011 verdeutlicht den starken Expansionstrend im chinesischen Bildungssystem. Zwar ist die Entwicklung in den Vereinigten Staaten von Amerika ähnlich angestiegen, das Niveau der chinesischen Vergabe kann aber auch hier nicht erreicht werden.

Abb. 1.7
figure 7

(Erstellt an Hand der Datensätze der „Science and Engineering Indicators“, National Science Board 2016)

Anzahl der vergebenen Doktortitel in den Natur- und Ingenieurwissenschaften 2000–2011.

Die Auswirkungen dieser Vergrößerungspolitik sind auch an den Ausgaben für Forschung und Entwicklung deutlich erkennbar. Zwar liegen diese in China gemessen am BIP immer noch unterhalb des Anteils am BIP, der in Japan, USA oder Deutschland aufgebracht wird, die Entwicklung dieser Ausgaben zeigt aber auch hier einen deutlichen Wachstumstrend. So wurden die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in China in den vergangenen Jahren mehr erhöht, als dies in den anderen hier verglichenen Ländern der Fall war.

Im Jahre 2006 betrugen die Investitionen der Regierung Chinas für Hochschulbildung 1,5 % des BIP. Dies entspricht einer Verdreifachung der Bildungsausgaben gemessen am BIP im Vergleich zum vorherigen Jahrzehnt.Footnote 51 Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung haben sich ebenfalls deutlich von 0,6 % (1995) auf 1,3 % (2005) des BIP erhöht (siehe Abb. 1.8).Footnote 52

Abb. 1.8
figure 8

(Erstellt an Hand der Datensätze der „Science and Engineering Indicators“, National Science Board 2016)

Ausgaben für Forschung und Entwicklung gemessen am BIP (in %).

Auch im Hinblick auf den wissenschaftlichen Output hat sich China in den letzten Jahren deutlich weiterentwickelt: 21 % aller Publikationen weltweit in Materialwissenschaften stammen aus China, 17 % der Publikationen im Fachbereich Chemie und 14 % in der Physik. Zwischen 1995 und 2005 vervierfachte sich die Anzahl der Veröffentlichungen chinesischer Naturwissenschaftler in international anerkannten Fachzeitschriften (siehe Abb. 1.9).Footnote 53

Abb. 1.9
figure 9

(Erstellt an Hand der Datensätze der „Science and Engineering Indicators“, National Science Board 2016)

Verteilung der Publikationen nach Fachrichtung im Jahre 2007 (in %).

Aber die Investitionsfreude Chinas im Hinblick auf die Bildungspolitik trägt auch Früchte im internationalen Vergleich: In den PISA-Studien schneiden chinesische Schülerinnen und Schüler mittlerweile sehr gut ab.Footnote 54 Shanghaier Schülerinnen und Schüler zählen zu den besten der Welt in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften, wobei Ost-Asien insgesamt 7 der Top 10 Scores der PISA-Studie 2015 hält.Footnote 55

Abb. 1.10 stellt die aktuellen PISA-Ergebnisse der Volksrepublik China vereinfacht dar. Hierbei sind die Performance-Ergebnisse in den einzelnen Fächern und anderen gemessenen Faktoren auf einer Skala von negativ bis positiv dargestellt. Die internationalen Mittelwerte sind den Kategorien entsprechend als graue Striche auf den Skalen vermerkt. Die chinesischen Schülerinnen und Schüler schneiden überdurchschnittlich gut in den Fächern Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen ab. Auch die Chancengleichheit zwischen weiblichen und männlichen Schülerinnen und Schülern ist vergleichsweise gut. Einzig der soziale Hintergrund spielt weiterhin eine große Rolle im Zugang zu Bildung, wie auch die Ergebnisse der PISA-Studie nochmals unterstreichen.Footnote 56

Abb. 1.10
figure 10

(Ländervergleich – PISA 2015)

Schematische Darstellung der aktuellen PISA-Ergebnisse Chinas.

Tatsächlich nahmen an der letzten PISA-Studie von 2015 aber nur vier Provinzen der Volksrepublik teil: Beijing, Shanghai, Jiangsu und Guangdong. Dementsprechend können die Ergebnisse der PISA-Studie also nicht als vollumfängliche Antwort auf die Frage der tatsächlichen Performance chinesischer Schülerinnen und Schüler verglichen mit der Performance von Schülerinnen und Schüler anderer Länder verstanden werden.Footnote 57

Der stetige Ausbau des Bildungssystems in China hat auch Kehrseiten. Kritiker beobachten so vor allem die großen Ungleichheiten, welche das bestehende Bildungssystem in China aufweist, mit Sorge.Footnote 58 Im Vordergrund dieser Kritik steht der gaokao und die ungleichen Chancen auf einen StudienplatzFootnote 59 aber auch fehlende Anreize für kreatives und kritisches Denken.Footnote 60

Der Vorwurf, das chinesische Bildungssystem fördere das pure Auswendiglernen steht im strengen Gegensatz zu den in der westlichen Welt weit verbreiteten pädagogischen Lehransätzen. Im Vordergrund steht in der Regel die Reproduktion von auswendig gelerntem Wissen, um zumindest eine grundsätzliche Vergleichbarkeit der Testergebnisse zu wahren.Footnote 61 Im internationalen Vergleich schneiden chinesische Schülerinnen und Schüler in puncto kritischem Denken und Kreativität immer noch weitaus schlechter ab, als ihre westlichen Konkurrenten.Footnote 62 Traditionell ist die chinesische Hochschulbildung weitgehend spezialisiert und fördert vor allem das Auswendiglernen standardisierter Testfragen.Footnote 63 Inwiefern dieses seit Jahrzehnten didaktisch nicht weit angepasste System von Leistungsdruck und Konkurrenzkampf zulasten von Persönlichkeitsentwicklung und Chancengleichheit sich in den nächsten Jahren verändern wird, bleibt weiter offen.Footnote 64

Auch die bisher rein quantitativen Verbesserungen der Lehre und deren Outputs sind kritisch zu hinterfragen – zwar steigt die Anzahl der chinesischen Publikationen weiterhin rasant, die Qualität dieser Veröffentlichungen gemessen an den durchschnittlichen Zitationen scheint aber noch nicht ausgereift. Ein US-amerikanischer wissenschaftlicher Artikel wird so immerhin im Durchschnitt noch von 14,3 anderen Veröffentlichungen zitiert, ein Deutscher 11,5-mal. Eine chinesische Publikation wird im Gegensatz dazu im Durchschnitt nur 4,7-mal zitiert.Footnote 65

Ob Quantität und Qualität des wissenschaftlichen Outputs ebenfalls durch die Bildungsreformen gleichermaßen verbessert wurden, ist hoch umstritten. Die Verwaltungsausgaben des chinesischen Staates steigen somit z. B. immer noch unproportional schneller an, als die Ausgaben für wissenschaftliche Forschung.Footnote 66

Auch die Lokalisierungstendenz der Elite-Unis an den KüstenregionenFootnote 67 und die dadurch entstehenden sozialen Ungleichheiten,Footnote 68 sowie das Problem der hohen Absolventinnen- und AbsolventenarbeitslosigkeitFootnote 69 sind Ausdruck dieser Probleme.

Die Regierung Chinas hat erkannt, dass sowohl multidisziplinäre und akademische Tiefe, als auch die Förderung des kreativen und kritischen Denkens ein wichtiges, bisher noch wenig entwickeltes Element ihrer Hochschulbildung ist.Footnote 70 So sind erste Veränderungen hin zu einem innovativeren Bildungssystem beobachtbar:

China öffnet sich immer weiter hin zu internationalen Standards.Footnote 71 Die Aufwertung der Curricula nach amerikanischem oder deutschem Vorbild (z. B. der Humboldt’schen-Schule)Footnote 72 ist nur ein Teil dieser Maßnahmen. So werden chinesische Professorinnen und Professoren und Lehrende für einige Zeit ins Ausland entsandt, um dort wichtige Eigenschaften anderer Bildungssysteme kennenzulernen und von diesen zu lernen.Footnote 73 Gleichzeitig ist eine Öffnung des Bildungssystems hinsichtlich ErwachsenenbildungFootnote 74 und Studium GeneraleFootnote 75 erkennbar. Auch das deutsche Bildungssystem wird in China weiterhin als Vorbild angesehen und entsprechend groß sind in dieser Hinsicht auch die Chancen auf gegenseitigen Austausch.Footnote 76 Abzuwarten bleibt aber auch, wie sich die aktuellen Pläne des Programms zu „Made in China 2025“ (vgl. S. 18, ff.) auf die bildungspolitischen Maßnahmen auswirken.

Die wohl aktuellste Maßnahme der chinesischen Bildungspolitik ist das sogenannte „Double First Class Project“. Diese im Herbst 2017 offiziell eingeläutete Bildungsoffensive zielt auf die Einrichtung und Förderung von Hochschulen mit Elitestatus ab.Footnote 77 Sie ist damit vergleichbar mit der deutschen Exzellenzinitiative und soll China bis zum Jahr 2050 zu einem breiteren Angebot von Vorzeigeuniversitäten verhelfen (vgl. deutsches „Exzellenzcluster“). So wurde das Double First Class Project im Rahmen des dreizehnten Fünfjahresplan für Bildung im Januar 2017 zum ersten Mal offiziell tangiert und ersetzt die zuvor propagierten Förderpläne des 985- und des 211-Projekts. Die Hochschulen dieser Projekte bleiben aber entsprechend einer Presseerklärung aus dem September 2017 in dem bereits 2015 angekündigten Double First Class Project enthalten.Footnote 78 So sollen sich 42 Universitäten zu sogenannten „World Class Institutions“ („Weltklasse“-/Exzellenzhochschulen) entwickeln und insgesamt 95 weitere Hochschulen sollen Exzellenzstudiengänge anbieten.Footnote 79 Eine Liste dieser Universitäten findet sich im Anhang.Footnote 80 Diese Pläne verdeutlichen Chinas Ambitionen, im Bildungsbereich international eine Vorreiterrolle zu spielen, da insbesondere auch der internationale Bildungsaustausch, sowie die internationale Anerkennung von Kursen und Lehrveranstaltungen gefördert werden. China möchte international auch bei der Einführung und Umsetzung von Standards und Richtlinien der Forschung aktiv sein.

Bis 2020 sollen so eine bestimmte Gruppe von Exzellenzuniversitäten und sogenannten Exzellenzdisziplinen entwickelt werden. Diese wiederum sollen bis 2050 weiter ausgeweitet werden und zu den besten der Welt zählen.Footnote 81

1.5 Didaktik und Curriculum des chinesischen Bildungssystems

Nicht nur in der Hochschulbildung, sondern auch in der Primar- und Sekundarstufe hat das chinesische Bildungssystem einige Veränderung erfahren. Während diese Reformen für die Entwicklung von Hochschulkooperationen nur indirekt relevant sind, lohnt sich der Einblick bezüglich der didaktischen und pädagogischen Traditionen Chinas vor allem auch in Bezug auf die weiterhin analysierten Ansprüche der chinesischen Studierenden an Lehr- und Umgangsformen. Wie bereits in Abschn. 1.4 erwähnt ist auch hier eine Öffnung gegenüber ausländischen Bildungskonzepten zu erkennen.

Neben den Reformen des Bildungssystems wurden zwischen den Jahren 2001 und 2011 Curriculums-Reformen durchgeführt. Diese sind eine der wichtigsten Strategien zur „Weiterbildung des chinesischen Humankapitals“ der vergangenen Jahre.Footnote 82

Nach einer intensiven Befragungs- und Evaluationsphase im Rahmen der Planung dieser Curriculums-Reformen wurden die bildungspolitischen Ziele für Inhalte der Schulcurricula wie folgt definiertFootnote 83:

  1. 1.

    Wandel von einer eingeengten Sichtweise zu einer Perspektive der positiven Einstellung und des „Lernen lernens“ in Bezug auf den Wissenstransfer im Unterricht.

  2. 2.

    Wandel von einem Fächerorientierten Curriculum hin zu einem ausbalancierten, integrierten und selektiven Curriculum, das den vielfältigen Ansprüchen der Schulen sowie deren Schülerinnen und Schüler gerecht wird.

  3. 3.

    Wandel von teilweise veralteten und abstrusen Lehrplaninhalten hin zu Basiswissen mit Blick auf lebenslanges Lernen.

  4. 4.

    Wandel von Stilen des Passiv- und Auswendiglernens hin zu aktiven Lernstilen, welche die Fähigkeiten der Informationsverarbeitung, Wissensaneignung, Problemlösungs- und der Kooperationsfähigkeit fördern.

  5. 5.

    Wandel der Funktionen der Evaluation von eng summativen Einschätzungen hin zu mehr formativen Zwecken wie Bildungswachstum, Lehrentwicklung und Ausbildungsverbesserung.

  6. 6.

    Wandel von einem allgemein zentralisierten Curriculum hin zu gemeinsamer Zusammenarbeit zwischen der Zentralregierung, den Lokalregierungen und den Bildungseinrichtungen, um das Curriculum näher an die lokalen Gegebenheiten anzupassen.

Ähnliche Ziele wurden bereits 1999 in der „Decision Concerning the Deepening of Education Reform and the Full-Scale Promotion of Qualities Education“ und in den 2010er-Jahren mit dem „Outline of Chinas National Plan for Medium- and Long-term Education Reform and Development“ verfolgt. Diese Vorformen einer curricularen Reform waren erste Rechtfertigungsversuche der Regierung für die Erneuerung und Öffnung des chinesischen Bildungssystems. Gleichzeitig zielten diese Dokumente schon damals auf den Dualismus von „Rot und Experte“ sein ab. Dieser Begriff beschreibt die sozialpolitische Aufgabe der Bildung in China, die einerseits akademische und fachliche Ausbildung in den Vordergrund stellen soll, andererseits aber auch die Förderung von Patriotismus und der Entwicklung hin zu moralisch sozialistischen Bürgern nicht vernachlässigen darf.Footnote 84

Zur Unterstützung der Umsetzung dieser Ziele wurde ein umfangreiches Evaluationssystem eingerichtet. In diesem haben Schülerinnen und Schüler, Lehrpersonal und sonstige schulische Akteure die Möglichkeit Feedback zu geben. Aus im Jahr 2013 veröffentlichen Dokumenten der Regierung geht hervor, dass jede Sekundarschule mindestens einem staatlichen Inspektor zugeordnet ist, der die Umsetzung und Einhaltung dieses Curriculums überwacht. Dieser Inspektor evaluiert die ihm zugeordnete Schule mindestens einmal im Monat. Im Mai 2015 deckte diese Art der Evaluation laut OECD bereits 99 % der Sekundarschulen in China ab.Footnote 85

Die tatsächlichen inhaltlichen und praktischen Ergebnisse dieser Curriculums-Reformen sind aber auch in China weiterhin umstritten. So gestaltet sich die Implementierung neuer, auf Persönlichkeitsbildung ausgerichteter Lehrmethoden im Klassenzimmer als sehr schwierig. Die Bildungsinhalte des chinesischen Curriculums sind weiterhin vom Spannungsfeld zwischen sozialistischer Tradition und internationaler Modernisierung geprägt. Auch weiterhin ist die Bedeutung von standardisierten Testverfahren, wie etwa dem gaokao, wichtige Grundsäule des chinesischen Bildungssystems.

Gerade aufgrund dieser externen Faktoren werden die Vermittlung von Pädagogik und Didaktik an chinesische Bildungsakteure zunehmend wichtig werden.Footnote 86

In China sind die Ansätze der deutschen Didaktik immer noch weitgehend unbekannt. Zongyi Deng beschreibt in seinem Aufsatz zur Entwicklung chinesischer Didaktik drei hauptsächliche internationale Einflüsse auf die chinesische Didaktik-Entwicklung: Die deutsche Pädagogik (vertreten durch Herbart), das Amerikanische Curriculums-Prinzip (eine Art der Entwicklung von Lehrplanmodellen) und die sowjetische Pädagogik (vertreten durch Kairov). Historisch wechselten sich diese drei didaktischen Modelle jeweils zeitlich exklusiv ausschließend ab, sodass die deutsche Pädagogik speziell vor dem Einfluss der amerikanischen Bildungstradition der Curriculums-Bildung in den Hintergrund trat.Footnote 87 Deng definiert die drei Hauptfunktionen von Bildung wie folgtFootnote 88:

  1. 1.

    Subjektifizierung: Die Persönlichkeitsentwicklung, sowie die Entfaltung des persönlichen Potenzials

  2. 2.

    Qualifikation: Die eigentliche, faktische Wissensvermittlung

  3. 3.

    Sozialisierung: Die Vermittlung von gesellschaftlich relevanten Werten und Moralvorstellungen

Bevor es im Jahre 1960 zum politischen Bruch mit der Sowjetunion kam, war vor allem aber auch die Didaktik Kairovs sehr einflussreich. Diese baut im Grundsatz auf der Didaktik Herbarts auf, ist aber tief in der marxistisch-leninistischen Tradition verankert. In dieser Didaktik-Tradition werden hauptsächlich die Qualifikations- und Sozialisierungsfunktion von Bildung angesprochen. Dementsprechend ging es Kairov wohl eher darum, Wissen und Fähigkeiten entsprechend den politischen und wirtschaftlichen Nöten des Landes zu fördern. Weiterhin ist in China auch heute noch ein Schwerpunkt auf frontale Wissensvermittlung zu beobachten.Footnote 89

Die deutsche Didaktik-Tradition hingegen zielt sehr stark auf die Subjektifizierungsfunktion von Bildung ab: Die Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer besteht in diesem Verständnis von Didaktik darin, den Bildungsinhalt für die Schülerinnen und Schüler so aufzubereiten, dass dieser in ihrer persönlichen Entwicklung relevant wird.Footnote 90

Dementsprechend öffnet der Blick auf die deutsche Didaktik-Tradition neue Chancen und Möglichkeiten für die Volksrepublik, um die oftmals auch innerhalb der Gesellschaft propagierten Probleme frontalen Drillunterrichts und standardisierter Tests auf einer neuen Ebene, zusätzlich zu den bereits beschriebenen Curriculums-Reformen, auch im Klassenzimmer direkt zu implementieren.

1.6 Zugang zum deutschen Bildungssystem

Um ein Bachelorstudium in Deutschland beginnen zu können, ist in der Regel die nationale Hochschulzugangsberechtigung, zum Beispiel durch den Besuch eines sogenannten Studienkollegs, nachzuholen. Diese Studienkollegs stellen eine einjährige fachspezifische Vorbereitung auf das spätere Studium dar. Unter anderem wird hier auf die Didaktik und die Arbeitsweisen des entsprechenden Studiengangs vorbereitet.Footnote 91

Für einen Zugang zum deutschen Universitäts- bzw. Hochschulsystem gibt es für die chinesischen Schulabsolventinnen und -absolventen aber fallspezifisch mehrere Alternativen des Einstieges, wobei diese maßgeblich von den Faktoren der Vorbildung und der vorangegangenen schulischen Laufbahn in Bezug auf die Dauer der in Abb. 1.11 dargestellten Schulzugehörigkeit abhängig ist. Auch sind je nach Hochschulzugehörigkeit unterschiedliche Mindeststudiendauern vorgeschrieben. So können Studierende, die ihr Bachelor-Studium an einer Schwerpunktschule des „211 Projektes“ (vgl. Bildungsoffensive, Abschn. 1.4) absolvieren, generell früher bzw. einfacher ein Auslandsstudium in Deutschland beginnen, als diejenigen, die an einer „regulären“ chinesischen Hochschule studieren. Die Möglichkeiten des Zugangs gemäß den Richtlinien der APS zum Stand 2016 sind in Abb. 1.11 detailliert dargestellt.

Abb. 1.11
figure 11

(Erstellt nach: Akademische Prüfstelle)

Zugang chinesischer Studierender in das deutsche Hochschulsystem.

Zusätzlich müssen die Studienanwärterinnen und -anwärter nach der Zusage auf einen Studienplatz verschiedene Prüfverfahren durch die Akademische Prüfstelle (APS) vor Ort in China durchlaufen. Diese Prüfverfahren beinhalten eine Dokumentenprüfung (um Fälschung von Zeugnissen und Bewerbungsunterlagen zu verhindern), einen allgemeinen Studierfähigkeitstest (TestAS), sowie (außer im vereinfachten Verfahren) ein persönliches Interview zur Feststellung von Kernkompetenzen wie Sprache und inhaltlichen/fachlichen Zusammenhängen.Footnote 92

Im Zuge des Prüfungsverfahrens durch die APS wird sichergestellt, dass die Studierenden einem Studium in Deutschland mit fachlich angemessenen Vorkenntnissen entgegentreten. Deshalb entwickelt die Akademische Prüfstelle zusätzlich zum TestAS und den Standardverfahren in Zusammenarbeit mit einzelnen Hochschulen direkt eigene, fachliche Tests. Diese Tests werden überwiegend zur Überprüfung von Studierenden aus speziellen Programmen dieser Hochschulen genutzt, sodass die jeweiligen deutschen Hochschulen bereits vor Studienbeginn ihre fachlichen Mindestanforderungen abprüfen können. Nicht selten sind entsprechende Vertreterinnen und Vertreter der jeweiligen deutschen Hochschulen in China, um die Tests zu betreuen bzw. mit den Studienanwärterinnen und -anwärtern persönliche Auswahlgespräche durchzuführen.Footnote 93

1.7 Studienkollegs in Deutschland

Das Angebot der Studienkollegs gliedert sich in individuelle Fachrichtungen. Diese Schwerpunktwahl bestimmt die spätere Studienrichtung. Ein Fachrichtungswechsel ist in der Regel später nicht mehr möglich, zumal nicht jedes Studienkolleg jede Fachrichtung anbietet. An staatlichen Studienkollegs sind keine Studiengebühren, zum Teil aber Verwaltungskostenbeiträge oder Semesterbeiträge zu entrichten. Nach Bestehen der Feststellungsprüfung an einem staatlichen Studienkolleg besteht die Möglichkeit, an allen deutschen Universitäten bzw. Hochschulen in einem der gewählten Fachrichtung entsprechenden Studiengang zu studieren.

Bei privaten Programmen sind meist hohe Studiengebühren fällig und ein anschließendes Studium ist oft nur an der zugehörigen Hochschule möglich.Footnote 94

Viele derjenigen Studierenden, die das Studienkolleg nicht erfolgreich abschließen oder ihre Ausbildung am Studienkolleg aufgrund schlechter Leistungen abbrechen müssen, verbleiben oft weiterhin in Deutschland, um ihre sprachlichen Lücken zu füllen und später evtl. die Vorbereitung auf die Feststellungsprüfung über private Anbieter zu wiederholen. Jedoch müssen auch Schülerinnen und Schüler privater Studienkollegs ihre Feststellungsprüfung entweder an einem staatlichen Studienkolleg oder einer anderen staatlichen Prüfstelle ablegen.Footnote 95

In ihrer Ausgestaltung und Ausrichtung sind in Deutschland Studienkollegs zu unterscheiden, die sich an bzw. für Fachhochschulen oder an bzw. für Universitäten befinden sowie private und staatlich genehmigte bzw. staatlich anerkannte Studienkollegs.

Aktuell gibt es in Deutschland 29 Studienkollegs unter dem Schirm der Arbeitsgemeinschaft der Rektoren der Studienkollegs in Deutschland. Davon sind 25 staatlich, wobei davon 12 an bzw. für Universitäten, 8 an bzw. für Fachhochschulen und 5 Studienkollegs sowohl für den Universitäts- als auch den Fachhochschulzugang ausbilden. Des Weiteren 2 private und 2 staatlich genehmigte bzw. staatlich anerkannte Studienkollegs. Nicht gezählt werden hier die rein privaten Angebote, die nicht im Zusammenhang mit der Arbeitsgemeinschaft der Rektoren der Studienkollegs in Deutschland stehen und ihre Studierenden zur Feststellungsprüfung an einer anderen Einrichtung anmelden. Hierunter fällt beispielsweise das Private Studienkolleg Halle, welches zum privaten Ming Cheng Institut (GmbH) gehört. Die Bundesländer Brandenburg und Bremen verfügen derzeit über keine eigenen Studienkollegs. Teilweise bestehen politische Bemühungen oder Alternativprogramme spezifischer Hochschulen, wie beispielsweise Cottbus mit einer eigenen Variante der Feststellungsprüfung oder der Einrichtung fachspezifischer Brückenkurse vereinzelter Hochschulen. In den Bundesländern Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen gibt es keine Studienkollegs an bzw. für Fachhochschulen. In Schleswig-Holstein keines an bzw. für Universitäten. Footnote 96

In Nordrhein-Westfalen wurden im Jahr 2007 nach einer Untersuchung des Landesrechnungshofes auf deren Wirtschaftlichkeit und auf Entscheidung der Landesregierung alle staatlichen Studienkollegs geschlossen. Nur ca. 5 % der ausländischen Studierenden durchlaufen ein Studienkolleg, wobei die Leistungen der Absolventinnen und Absolventen der Studienkollegs im späteren Studium im Schnitt doppelt so gut sind als die Noten von Studierenden ohne entsprechende Vorbildung. Neben den genannten, gibt es in Nordrhein-Westfalen zwei weitere, kirchliche Studienkollegs.Footnote 97

Neben den erläuterten Studienkollegs gibt es weiterhin das sogenannte „Freshman Institute“ in Aachen nach amerikanischem Vorbild. Ziel dieser Einrichtung ist, begabte Schülerinnen und Schüler bereits frühzeitig für ein Studium in Deutschland zu qualifizieren. Das Freshman Institute ist mit 13 Partneragenturen in China vertreten. Die Teilnahme an diesem einjährigen Programm ist kostenpflichtig mit ca. 17.500,- €. Im Gegensatz zu den konventionellen Studienkollegs, welche hauptsächlich auf Absolventinnen und Absolventen der Sekundarschulen abzielen, schließen die Schülerinnen und Schüler des Freshman Institute in Deutschland mit der Vorbereitung auf die Feststellungsprüfung mit einem dem „deutschen Abitur“ gleichgestellten Abschluss ab, ohne in China den gaokao ablegen zu müssen. Somit ergibt sich der direkte Zugang zur deutschen Hochschullandschaft ohne Einschränkung. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wird bevorzugt auch der Zugang zur Hochschule in Aachen ermöglicht. Die Einrichtung einer weiteren Außenstelle des Freshman Institutes auf Initiative der FH Aachen ist geplant.Footnote 98

Einen weiteren hochschulspezifischen Ansatz verfolgt die Hochschule in Köln mit ihrem Angebot einer sogenannten „Prep(aration) Class“. Für derzeit 5000 € ist dies eine fachspezifischere Variante des Studienkollegs, die ebenfalls zum Erlangen der Feststellungsprüfung und einer bevorzugten Studienplatzvergabe an der Hochschule Köln führt, verfügbar.Footnote 99

S-Kurse, zur Vorbereitung auf ein Sprachstudium, werden derzeit nur in fünf Bundesländern angeboten: Baden-Württemberg, Berlin, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt. M-Kurse, zur Vorbereitung auf ein Medizinstudium, werden derzeit in allen Bundesländern außer in Schleswig-Holstein und im Saarland angeboten. T-Kurse (technisch) und W-Kurse (wirtschaftswissenschaftlich) werden in allen Bundesländern angeboten. G-Kurse (geisteswissenschaftlich) werden derzeit in allen Bundesländern außer in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und im Saarland angeboten.Footnote 100

An vielen Hochschulen sowie Studienkollegs werden außerdem sogenannte DSH-Kurse angeboten (Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang). Diese sollen zusammen mit der Feststellungsprüfung gewährleisten, dass die ausländischen Studierenden auch sprachlich den Vorlesungen und Seminaren an deutschen Hochschulen folgen können.Footnote 101

Zu den Studierendenzahlen und Erfolgsquoten der ausländischen Schülerinnen und Schüler an den Studienkollegs gibt es nur vereinzelte Statistiken. Weder die statistischen Landesämter noch das statistische Bundesamt führen Aufzeichnungen zu den Studierendenzahlen der Studienkollegs. In bestehenden Statistiken werden Studienkollegs je nach Bundesland teilweise den Hochschulen zugerechnet, teilweise aber auch als eigenständige Institutionen betrachtet. Einzig die Arbeitsgemeinschaft der Rektoren der deutschen Studienkollegs veröffentlichte im Jahr 2008 eine eigene Statistik zu diesem Themenbereich.

Wie Abb. 1.12 zeigt, entwickelte sich ein verstärktes Wachstum der Bewerberzahlen chinesischer Schülerinnen und Schüler auf deutsche Studienplätze gegen Ende der 1990er-Jahre. In den vorangegangenen Jahren gestaltete sich die Zulassungspolitik der deutschen Botschaften in China wesentlich restriktiver, sodass mit der Lockerung der Zulassungsvoraussetzungen ein deutlicher Anstieg der Studierendenzahlen einherging. Zu Beginn des neuen Jahrtausends wies die Hochschulrektorenkonferenz zum ersten Mal auf offensichtliche Wissenslücken und mangelnde Vorbildung der chinesischen Anwärter hin. Im Sommer 2001 wurde als Reaktion darauf die Akademische Prüfstelle (APS) in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Akademischen Auslandsdienst gegründet, die seither für eine Vorauswahl der Bewerberinnen und Bewerber zuständig ist. Mit Einführung der APS ist ein deutlicher Rückgang bei den Zahlen chinesischer Schülerinnen und Schüler an den Studienkollegs verzeichnet worden. Die Einrichtung der Akademischen Prüfstelle wird von den chinesischen Bewerberinnen und Bewerbern als „teure, unangenehme (evtl. auch institutionell unhöfliche) Hürde“ (Jansen 2008) angesehen. Die Hochschulrektorenkonferenz hält an der Akademischen Prüfstelle weiterhin als geeignete Institution zur Prüfung und Auswahl geeigneter Studienkandidaten fest.Footnote 102

Abb. 1.12
figure 12

(Vgl. Jansen, L. Dr. 2008)

Entwicklung der chinesischen Teilnehmerzahl an Studienkollegs.

1.8 Vorgehensweise dieser Arbeit

Wie Abbrecherzahlen bzw. Durchfallquoten belegen, gelingt mit der Zulassung in ein deutsches Programm ein erster erfolgreicher Schritt in Richtung eines europäisch akkreditierten Studienabschlusses. Für den Erfolg des Studiums sind jedoch weitere, weitreichende und vielschichtige Faktoren zu berücksichtigen. Diese Faktoren bedürfen der weiteren Untersuchung, um Programme, Zusatzveranstaltungen und Unterstützungsangebote und somit der Studienaufenthalt chinesischer Studierender in Deutschland erfolgreich gestalten zu können.

Im Folgenden wird dargestellt, welche Anforderungen aus Sicht chinesischer Studierender aber auch deutscher Hochschulen und Universitäten und somit in Deutschland lehrender Dozentinnen und Dozenten an erfolgreiche Programme gestellt werden, sodass schlussendlich Erfolgsfaktoren für deutsch-chinesische Studienprogramme identifiziert und hinsichtlich Ihrer Wirksamkeit bewertet werden können. Der Aufbau der Untersuchung basiert auf der klassischen Triangulation wissenschaftlicher Arbeitsmethoden und beinhaltet neben einer umfassenden Literaturrecherche die Durchführung und Analyse empirischer Studien. Hierbei wurden neben Entscheidungsträgern der Hochschulentwicklung sowohl Dozierende wie auch Studierende entsprechend zu den Anforderungen erfolgreicher Studienmodelle befragt.

Im Rahmen der vorbereitenden Analyse wurden zwei unterschiedliche, aber dennoch komplementäre Fragestellungen verfolgt:

  1. 1.

    Wie haben sich didaktische Kompetenzmodelle durch die Bologna-Reform verändert und inwiefern definieren bzw. beeinflussen diese die Anforderungen an chinesische Studierende in Bezug auf ein Studium in Deutschland?

  2. 2.

    Inwieweit beeinflussen kulturelle Standards und Unterschiede innerhalb dieser die Wahrnehmung und Ausgestaltung von Erfolgsfaktoren im Studium?