Zusammenfassung
Die Stärke der Systemtheorie ist, dass sie die unterschiedlichen Logiken in verschiedenartigen sozialen Systemen begreifbar machen und für ihre Analysen nutzen kann. In der Systemtheorie werden bei der Behandlung moderner Gesellschaften immer nur zwei Differenzierungsformen behandelt – die funktionale Differenzierung zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern wie Wirtschaft, Politik, Recht, Wissenschaft oder Massenmedien und die Ebenendifferenzierung zwischen Interaktionen, Organisationen und Gesellschaft.
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Notes
- 1.
Der Begriff der „Person“ ist dabei für meine Zwecke präziser als der zurzeit in der Theoriediskussion populäre Begriff der „Adresse“ (vgl. Fuchs 1997 und im Anschluss an ihn zum Beispiel Tacke 2000 oder Stichweh 2000). Adresse ist der deutlich weitere Begriff, weil im Prinzip nicht nur Personen, sondern auch Tiere, Organisationen, Staaten und Geister adressiert werden können.
- 2.
Bei Luhmann (1973, S. 44) heißt es schon früh, dass formale Organisation „jene evolutionäre Errungenschaft“ ist, die es den Entscheidungsprozessen ermöglicht, reflexiv zu werden.
- 3.
Dieses Modell geht mit seiner Betonung der häufig entgegengesetzten Logiken von Partnerschaft und Elternschaft auf Distanz zum Konzept der Kernfamilie mit „ihrer starken Einheitssuggestion“. Mit diesem interessanten Gedanken richtet sich Tyrell gegen die in der Familiensoziologie weitverbreitete Vorstellung von Familien als einer Triade aus Mutter, Vater und Kind (Tyrell 2008, S. 317, bei dem sich auch die entsprechenden Literaturangaben finden).
- 4.
Dass Elternschaft und Partnerschafft die gleiche Kommunikationsform zugewiesen wird mag überraschen. Schließlich wurde der Begriff der Intimkommunikation ursprünglich nur für die, durch das romantische Liebesideal geprägte, Partnerschaft verwendet (Luhmann 1982) und dann später auf Familien als Ganzes – also auch für die Elternschaft – ausgeweitet (Luhmann 2005a). Auch wenn die Semantik in Partnerschaft und Elternschaft auf den ersten Blick überraschend ähnlich ist (so beispielsweise die Aussage „Ich liebe dich“, die sowohl Kindern als auch Partnern gegenüber verwendet wird), müssen Ähnlichkeiten und Unterschiede in der Intimkommunikation in Partnerschaft und Elternschaft noch näher untersucht werden (siehe Tyrell und Herlth 1994, S. 6 ff. zur „bürgerlichen Einheitssemantik“, die sicherlich für die Ähnlichkeit in der Kommunikationsform verantwortlich ist).
- 5.
Erst mit der Geburt von Kindern schließen sich, so Luhmann, die „Herkunftsfamilien der Eltern symbolisch zusammen“, „um aber mit deren Ehen wieder auf jenes schmale Band einer neuen Verbindung reduziert zu werden“ (Luhmann 1982, S. 183 f.).
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Ich halte die Ausdifferenzierung der Familie in der modernen Gesellschaft für einen Musterfall, an dem sich die Stärke dieses hier vorgestellten Ansatzes nachweisen ließe. In der systemtheoretischen Orthodoxie wird Familie lediglich auf der gesellschaftstheoretischen Ebene verortet. Das Problem der „Entfremdung des Individuums“ stelle sich in der modernen Gesellschaft „auf der ganzen Breite“ und könnte nur über die Ausdifferenzierung eines Funktionssystems „Familie“ gelöst werden (Kieserling 2012). Stattdessen schlage ich abgestimmt mit der allgemeinen Familiensoziologie vor, beim Übergang von der stratifizierten zur funktional differenzierten Gesellschaft eine Ausdifferenzierung von Familien als eigene soziale Systeme zu konstatieren. Die einzelnen Familien erfüllen natürlich eine wichtige gesellschaftliche Funktion bei der Reduzierung der „Entfremdung des Individuums“, sie sind aber – ähnlich wie Organisationen oder Gruppen – multireferenziell zu begreifen, weil sie beispielsweise auch Bezüge beispielsweise zu Funktionssystemen der Erziehung (bei der Erziehung der Kinder und – mit Abstrichen – auch der Lebenspartner) oder der Wirtschaft (als Konsum- oder manchmal auch noch Produktionsgemeinschaft) aufweisen. Diese Multireferenzialität von Familien als sozialem System kann durch eine Verortung von Familien als Funktionssystem nicht erkannt werden.
- 7.
Auf die Konsequenz, dass auch die Interaktion als soziales System mit eigenen Logiken sich gegenüber Familien und Organisationen ausdifferenziert, kann ich hier nicht eingehen. Die nicht nur empirisch angeleitete, sondern auch theoretisch eingeordnete soziologische Forschung über Interaktionen in Familien und Interaktionen in Organisationen ist eher unterentwickelt (siehe aber beispielsweise für Interaktion in Familien Keppler 1994, S. 23 ff.; oder für Interaktion in Organisationen Kieserling 1994, S. 168 ff.). Was weitgehend zu fehlen scheint, sind vergleichende Studien über Interaktionen in Familien und Organisationen.
- 8.
Nikomachides äußerte in dem Dialog mit Sokrates auch damals schon Zweifel. Selbstredend liegt der Position Sokrates’ ein grundlegend anderes Verständnis von Familie zugrunde. Dementsprechend wird in der deutschen Übersetzung des Xenophon von 1789 für „Oikos“ nicht das Wort „Familie“, sondern das Wort „Hauswesen“ verwendet (Xenophon 1789, S. 112).
- 9.
Solche Vorschläge zur Einfügung weiterer Ebenen gewinnen ihre Plausibilität dadurch, dass sie die unterschiedlichen Größenmöglichkeiten der Systemtypen zum Anlass nehmen, Verschachtelungen zu vermuten. Weil Gruppen aufgrund der notwendigen gegenseitigen Personenkenntnis nur schwerlich mehr als dreißig oder vierzig Mitglieder umfassen können, liegt es nahe, sie auf einer „tieferen“ Ebene anzusiedeln als Organisationen, deren Mitgliedsgröße im Prinzip nicht begrenzt ist (natürlich kann die Anzahl von Personen nicht allein schon Auskunft über die Komplexität eines sozialen Systems geben). Auch wenn diese unterschiedlichen Größenmöglichkeiten einige Verschachtelungen (zum Beispiel Gruppen „in“ Organisationen oder Organisationen „in“ Bewegungen) wahrscheinlicher machen als andere oder auch gänzlich unwahrscheinlich machen (zum Beispiel Bewegungen „in“ Familien), so braucht man sich nicht unbedingt nur einen Typus von Verschachtelung vorzustellen.
- 10.
Gerade der Fall des Familienunternehmens eignet sich um die Vorteile des vorgestellten Vorhabens zu behandeln (Schlippe et al. 2017; Simon 2012). Wenn man das Thema Familienunternehmen – wie von Kieserling (2012) vorgeschlagen – als eine Geschichte der funktionalen Ausdifferenzierung von Wirtschaft und Familien auf Gesellschaftsebene beschreibt, dann kann man lediglich konstatieren, dass es mit der Ausbildung von Aktiengesellschaften zu einer „rationaleren Verwaltung wirtschaftlichen Eigentums kommt“, weil diese von „sentimentalen Rücksichten auf die Familientradition befreit“. Familienunternehmen erscheinen aus Sicht nur noch als Überbleibsel vormoderner Gesellschaften. Dieser modernisierungstheoretische Zugang tendiert dazu, die Prominenz von Familienunternehmen im Wirtschaftssystem aufgrund einer theoretischen Setzung – Familien sind ein Funktionssystem und differenzieren sich gegen andere Funktionssysteme wie die Wirtschaft aus – zu ignorieren. Erst wenn man die einzelne Familie als Sozialsystem mit eigenen Logiken begreift, bekommt man die für die Betrachtung von Familienunternehmen relevanten Aspekte in den Fokus.
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Kühl, S. (2019). Familien und Organisationen: Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Verknüpfungen. In: Kleve, H., Köllner, T. (eds) Soziologie der Unternehmerfamilie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22388-5_4
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