Zivilgesellschaftliche Organisationen als Erinnerungsträger gesellschaftlicher Krisen

Zusammenfassung

Der vorliegende Artikel hat es sich zur Aufgabe gemacht, gedächtnissoziologische Ansätze mit organisationssoziologischen Zugängen zu verbinden, um damit ein Verständnis dafür zu ermöglichen, wie zivilgesellschaftliche Organisationen in Krisensituationen handeln. Dazu wird der Frage nachgegangen, wie die subjektiven Erfahrungen und Vorstellungen der Engagierten im Umgang mit der sogenannten Flüchtlingskrise in deren Organisationen zur Flüchtlingshilfe integriert und auf Dauer gestellt werden. Aus theoretischer Perspektive zeigt sich, dass die Entstehung eines kollektiven Gedächtnisses der Organisation ein fortwährender Aushandlungsprozess mit den Engagierten ist und durch Institutionen beeinflusst wird. Die Organisationen ihrerseits tragen durch die Bewahrung und die Vermittlung institutionalisierten Wissens und ebensolcher Praktiken an ihre Engagierten zur Verstetigung des Wissens bei. Welches Wissen aber als relevant erscheint, um in die Organisation eingeschrieben zu werden, hängt von den institutionellen Rahmenbedingungen in strukturempfindlichen Perioden der Organisationen und ihrer Engagierten ab. Aus Beobachtungen im Feld der Flüchtlingshilfe zeigt sich die empirische Relevanz der Verbindung der beiden theoretischen Ansätze, da hier innerhalb einer Organisation bei den Engagierten weitgehend homogene Erfahrung und Vorstellungen aufzufinden sind, was auf einen geteilten Wissensvorrat hinweist, aber die Organisationen und ihre Lösungsstrategien zugleich sehr heterogen sind. Daher kann vermutet werden, dass es zu unterschiedlichen Prägungen der Organisationen über die Zeit hinweg kommt.

Abstract

The purpose of this article is to combine approaches of the sociology of memory and organizational sociology in order to provide an understanding of how civil society organizations handle crisis situations. In addition, the question will be examined of how the subjective experiences and ideas of those involved in the so-called refugee crisis will be integrated in their refugee aid organizations and made permanent. From a theoretical perspective, it appears that the development of a collective memory of an organization is an ongoing negotiation process with the included volunteers influenced by institutions. For their part, the organizations stabilize the collective memory by preserving and communicating institutionalized knowledge and practices to their volunteers. However, what knowledge seems to be relevant to be enrolled in the organization depends on the institutional framework in sensitive periods of the organizations and their volunteers. Observations in the field of refugee aid show the empirical relevance of the combination of the two theoretical approaches. Among the volunteers within an organization largely homogeneous experiences and ideas can be found, indicating a shared stock of knowledge. At the same time the organizations and their solution strategies are very heterogeneous. Therefore, it can be assumed that there are different imprints on the organizations over time.