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Ein Frauenhaus als institutionalisierter Geschlechterraum Sozialer Arbeit? Eine qualitative Fallskizze zu Ordnungen, Beziehungen und räumlichen Relationen

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Soziale Arbeit und institutionelle Räume

Part of the book series: Sozialraumforschung und Sozialraumarbeit ((SRF,volume 18))

Zusammenfassung

Dieser Beitrag stellt ein Frauenhaus in Niederösterreich in den Mittelpunkt der institutionell-räumlichen Analyse. Dabei zeigt sich, dass die Einrichtung für die Nutzer*innen als Transit- oder Übergangsraum fungiert, in dem Sicherheit produziert und Unterstützung geleistet wird. Über eingeräumte Aneignungsmöglichkeiten kann ein „Gefühl von Zuhause“ und Sein-können hergestellt werden, wenngleich die institutionellen Bedingungen die Autonomie, Privatheit und Intimität der Frauen und ihrer Kinder begrenzen. Die durch eine feministisch-fachliche Praxis geprägte und von Solidarität getragene institutionelle Kultur im Fallbeispiel scheint eng mit den sozialen, reflexiven und politischen Haltungen der Mitarbeiterinnen, der unhierarchischen Teamkonstellation sowie der geringen Größe der Einrichtung verbunden zu sein. Mit dem Blick nach draußen zeigt sich, dass die Grenzziehung zwischen Innen- und Außenwelt eine wesentliche raumbildende Bedeutung für Frauenhäuser hat. Es ist das unumstrittene, zu gewährende Ziel der Sicherheit, aufgrund dessen die Einrichtung prioritär als Schutzraum gedacht wird und sich daher nach außen als unsichtbar zu positionieren versucht. Die im familiären und häuslichen Bereich erlittenen Gewalterfahrungen dehnen sich auf den öffentlichen Raum aus und konstituieren diesen als unsicher, bedrohlich und permanent gefährlich mit. So entsteht eine raumrelationale Konstellation von privat-männlichem Gewaltraum, öffentlich-männlich dominiertem Angstraum und teilprivat-weiblichem Schutzraum.

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Notes

  1. 1.

    Lorene Hannelore Gottschalk (2009, S. 171 ff.) zeigt in ihrer australischen Studie, dass (abseits bestehender rechtlicher Ansprüche) jene Leiterinnen von Frauenhäusern, die MTFs als Frauen anerkennen, die Aufnahme in ihre Einrichtungen befürworten, während jene, die dies nicht tun, diesen den Zugang verwehren würden.

  2. 2.

    Zentrales Bindeglied dieser dichotomisierten Raum-Geschlechterordnung ist die Problematisierung des öffentlichen Raumes, in dem Männlichkeitsbilder in Konflikt bzw. Konkurrenz zueinander stehen: die „gefährliche“ Männlichkeit (arm, amoralisch und fremd) muss von der bürgerlich-hegemonialen Männlichkeit (wohlhabend, moralisch und vertraut) kontrolliert und unterworfen werden. Die Zuweisung von Weiblichkeit in den privaten Raum sowie die Kontrolle von Frauen im außerhäuslichen Bereich ist also von dem dominierenden patriarchalen, heteronormativen Männlichkeitsbild abgeleitet (vgl. z. B. ähnlich Ruhne 2003, S. 13 ff.).

  3. 3.

    Diese Studie des Österreichischen Instituts für Familienforschung über Gewalt in der Familie und im nahen sozialen Umfeld (2011, S. 30) kommt zum Schluss, dass Männer körperliche Gewalt primär an öffentlichen Orten erfahren, während Frauen körperlicher und sexueller Gewalt viel häufiger in der eigenen Wohnung durch Angehörige des sozialen Nahraums ausgesetzt sind.

  4. 4.

    Die Erhebungsprotokolle, welche beschreibende sowie deutende Passagen der jeweiligen Verfasser*in enthalten, wurden kurz vor der gemeinsamen Interpretation von allen drei Autor*innen dieses Beitrags gelesen und mit zusätzlichen Deutungen versehen. In der gemeinsamen Interpretationsphase diskutierten wir die gesammelten Deutungen, notierten die Ergebnisse und codierten diese am Ende des Tages „offen“. Erst an darauffolgenden Treffen zogen wir unsere theoriegeleiteten Kategorien hinzu und codierten „axial und selektiv“. Wir orientierten uns also generell am Vorgehen der Grounded Theory, wenngleich dieses theoriegeleitete Codieren nicht dem Leitbild entspricht (vgl. Strauss 1998, S. 92–114). Die fünf Protokolle der Erhebung im Fraunenhaus sind mit F1 bis F5 bezeichnet.

  5. 5.

    Das erste Frauenhaus Österreichs wurde 1978 in Wien gegründet, derzeit gibt es 30 Frauenhäuser in Österreich, von denen der Großteil in Städten verortet ist. Dem „Austrian NGO Shadow Report“ (2016, S. 54) folgend ist Österreich an Frauenhausplätzen deutlich (mind. um 8 %) unterversorgt, insbesondere in ländlichen Gebieten von Oberösterreich, Niederösterreich und der Steiermark.

  6. 6.

    Wie auch im Schattenbericht erwähnt wird, nehmen nicht alle Frauenhäuser in Österreich gewaltbetroffene Söhne ab 14 Jahren auf, die mit ihren Müttern Schutz im Frauenhaus suchen (vgl. GREVIO Shadow Report 2016, S. 55). So entscheidet auch das Frauenhaus „wendepunkt“ im Einzelfall über die Aufnahme von männlichen Jugendlichen und sucht für diese gegebenenfalls eine nahegelegene, separate Kinder- und Jugendeinrichtung als Unterkunft (vgl. F1, S. 3). Geschlecht ist also ein entscheidendes Strukturierungsmerkmal, das den Zugang zu Frauenhäusern bestimmt.

  7. 7.

    Im Folgenden sprechen wir von „Mitarbeiterinnen“, nicht von „Mitarbeiter*innen“. Das rührt daher, dass wir während unserer Erhebungen nur mit weiblichen Frauenhaus-Mitarbeiterinnen in direkten Kontakt getreten sind. Von „Nutzer*innen“ (etc.) sprechen wir, wenn auch die Kinder der „Nutzerinnen“ mitgemeint sind.

  8. 8.

    Die Geheimhaltung der Adresse scheint insbesondere in kleineren Ortschaften kaum möglich (vgl. WAVE 2004, S. 68).

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Fischlmayr, A., Sagmeister, A., Diebäcker, M. (2018). Ein Frauenhaus als institutionalisierter Geschlechterraum Sozialer Arbeit? Eine qualitative Fallskizze zu Ordnungen, Beziehungen und räumlichen Relationen. In: Diebäcker, M., Reutlinger, C. (eds) Soziale Arbeit und institutionelle Räume. Sozialraumforschung und Sozialraumarbeit, vol 18. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19500-7_5

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-19499-4

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