Zusammenfassung
Als Ergebnis heterogener Kooperation kann ein Typus von Innovation bezeichnet werden für dessen Zustandekommen die Beiträge vieler unterschiedlicher Akteursgruppen notwendig sind, ein Prozess der Vereinheitlichung aber nicht stattfindet. Dieser Beitrag stellt zwei prominente Ansätze aus der Wissenschafts- und Technikforschung dar, die geeignet scheinen, unterschiedliche Aspekte heterogener Kooperation konzeptionell zu fassen. Die in beiden Konzepten vorgestellten Koordinationsmodi legen auch fest, auf welche Sorte empirischer Phänomene sich die beiden Konzepte sinnvoll anwenden lassen.
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Notes
- 1.
Bei sozialen Innovationen stellt sich das möglicherweise anders dar, denn diese sind Änderungen sozialer Praktiken, also von Gewissheiten sowie organisationalen und anderen praktisch wirksamen Regulierungen und bringen alternative Lösungen für als gesellschaftlich drängend wahrgenommene Probleme ins Spiel (Zapf 1989). Die Änderung sozialer Praktiken fügt sich aber vermutlich nicht umstandslos einem Modell, das von der expliziten Ausarbeitung von Alternativlösungen und einer anschließenden Wahl ausgeht, sondern eher einem Modell, das von der langfristigen Veränderung von praktischen Überzeugungen ausgeht (so schon Gillwald 2000 und aktuell Jürgen Howaldt und Michael Schwartz in diesem Band).
- 2.
Deutlich wird diese Passung nicht zuletzt an der Schattenseite einmal stabilisierter Innovation. Die Homogenität der Wahrnehmungen erfolgreicher Innovatoren wird in einigen Ansätzen als zentraler Grund für das Scheitern dieser Innovatoren im nächsten Innovationszyklus angeführt – sie können die Trägheit der einmal erfolgreich etablierten sozialen Kontexte – etwa die in die Organisationsstruktur eingelassenen Routinen und Wissensbestände (Henderson und Clark 1990) oder die enge Bindung an Präferenzen der aktuellen Kundschaft (Christensen 2011) nicht mehr überwinden.
- 3.
Das unterscheidet Innovationsprozesse, die sich als auf heterogener Kooperation basierend bezeichnen lassen, von „verteilter Innovation “ (siehe auch den Beitrag von Felix Schrape über „Verteilte Innovationsprozesse“, in diesem Band, und Rammert 2000), denn dort wird auf eine Vermehrung der an Innovation beteiligten Akteursgruppen abgestellt, was zweifellos viele neue Kooperationserfordernisse mit sich bringt, an der Vorstellung von Innovation als im Ergebnis vereinheitlichender Selektion aber nichts ändert. Das gilt auch für netzwerkförmig organisierte Innovationen (Sydow und Windeler 2000), die zwar unterschiedliche Akteursgruppen anders als in einer einzigen Organisation koordinieren müssen, am Ende aber doch auf ein vereinheitlichtes Ergebnis hinauslaufen.
- 4.
Eine weitere denkbare Möglichkeit ist, dass das dominante Modell der Innovation eine Übergeneralisierung einer verwirrend vielfältigen Empirie von Innovationsverläufen darstellt, wenn denn die soziologische Analyse nur nah genug auf diese Verläufe heranzoomt. Dann, so Andrew H. Van de Ven et al. 1999, ergibt sich ein Feuerwerk (oder ein Brombeerbusch) aus vielfältig verzweigten Innovationsepisoden, deren Personal und Erfolgskriterien sich im Laufe des Innovationsprozesses selbst permanent ändern. Das ist sicherlich auch ein Verständnis von einem heterogenen Prozess. Diesem möglichen Verständnis soll hier aber nicht nachgegangen werden (siehe den Beitrag von Eric Lettkemann über „Das Feuerwerksmodell der Innovation“, in diesem Band).
- 5.
Es gibt nicht nur den genannten einen Originaltext, in dem das Konzept formuliert wurde, sondern den zeitgleich erschienenen Text Star 1989, in dem die grundlegende Definition und die Typik des Konzeptes zwar gleichlautend vorgestellt, aber auf einen ganz anderen Anwendungsfall bezogen werden. Dieser Fall ist die seinerzeitige Diskussion über die Grundlagen der Forschung zu verteilter künstlicher Intelligenz. Star formuliert die Grenzobjekte hier im Rahmen der These, dass sich schlecht strukturierte, weil interpretationsoffene Lösungen, ganz anders als in der Forschung zu künstlicher Intelligenz und Informatik üblicherweise angenommen, als besser funktionierende Lösungen erweisen. Gießmann 2015 diskutiert ausführlich den Herkunftskontext dieses Textes sowie die Frage, welche Interpretations- und Verwendungsmöglichkeiten für das Konzept sich daraus ergeben könnten.
- 6.
So scheint seit einiger Zeit das Konzept der Grenzobjekte in der Nachhaltigkeitsforschung eine Konjunktur zu erleben, denn dort sind Probleme heterogener Kooperation offenkundig. Zentrale Konzepte wie etwa „nachhaltige Resilienz“ oder methodische Konstrukte wie „Nachhaltigkeitsindikatoren“ werden in unterschiedlichen Fachkulturen und bei unterschiedlichen Stakeholdern höchst unterschiedlich verstanden. Die Nutzung von intermediären Tools ist entsprechend verbreitet, und diese werden nun als Grenzobjekte bezeichnet – allerdings ohne jeden Bezug auf den Kerngedanken des Originalkonzeptes. Um nur ein Beispiel zu nennen: Katre Leino et al. 2017 untersuchen das Tool einer „cross-sector multi-stakeholder platform“ als Grenzobjekt und berichten, die Nutzung dieser elektronischen Wissenslandkarte als Grenzobjekt habe dazu geführt, dass sich zwischen ganz unterschiedlichen Stakeholdern (NGOs, Nahrungsmittelproduzentinnen, Regierungsagenturen) in Bezug auf nachhaltige Nahrungsproduktion „three processes realised in their interactions with the boundary object“ herausgebildet haben: „creating a shared understanding of the system; changing mind-sets; and creating a sense of ownership of the issues“ (Leino et al. 2017, S. 1). Hier scheint also offenkundig ein Gegenstandsbereich vorzuliegen, der nach einer soliden Anwendung des Kerngedankens des Konzeptes der Grenzobjekte nachgerade schreit.
- 7.
Ganz in der Tradition der Aktor-Netzwerk-Theorie ist es allerdings das Ziel der Analyse von Vinck, die Vielfalt der Übersetzungen und Repräsentationen in einem Netzwerk, und insbesondere die Rolle nichtmenschlicher Elemente in diesem Netzwerk zu analysieren, und nicht die spezifische Sozialform, die durch die Zirkulation entsteht.
- 8.
In jüngster Zeit hat eine intensive medienwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Konzept und seiner Einbettung in das Werk von Star begonnen (Gießmann und Taha 2017), was naheliegend erscheint, denn „schließlich sind alle von Star vorgestellten Grenzobjekte Medien oder Medientechniken“ (Schüttpelz 2017, S. 233). In den medienwissenschaftlichen Befassungen werden, wie in vielen anderen Kontexten, in denen das Konzept Anwendung fand, höchst unterschiedliche Umgangsweisen mit dem Kern des Konzeptes vorgeschlagen. So wird in Gießmann 2015 herausgestellt, dass sich aus dem großen thematischen Spektrum von Stars Forschungsinteressen und ihren interdisziplinären Kooperationen „nicht nur eine Vielzahl von Referenzen und Anspielungen, sondern auch eine gewisse Fluktuation in den theoretischen Annahmen selbst“ ergab (Gießmann 2015, S. 212). Die Interpretationsoffenheit ist demzufolge eine große Stärke des Originalkonzeptes. Bei Schüttpelz wird dagegen vor einer „fortlaufenden Verwässerung des Konzeptes“ (Schüttpelz 2017, S. 233) gewarnt und stattdessen ein Versuch vorgestellt, die Typik der Grenzobjekte aus dem Originalaufsatz als Ausdruck aller möglichen Ausprägungen der sozialphilosophischen Kategorie „struktureller Unterdeterminiertheit“ zu interpretieren. Hier wird das Konzept also als geschlossen und fertig gesehen.
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Meister, M. (2021). Heterogene Kooperation, Grenzzonen und Grenzobjekte. In: Blättel-Mink, B., Schulz-Schaeffer, I., Windeler, A. (eds) Handbuch Innovationsforschung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-17668-6_33
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