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Struktur und Dynamik des menschlichen Sozialverhaltens. Walter L. Bühls Entwurf eines integrativen Forschungsprogramms für die theoretische Soziologie

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Book cover Forschungsprogramme. Beiträge zur Vereinheitlichung der soziologischen Theoriebildung
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Zusammenfassung

Walter Bühl hat sich seit Jahrzehnten um eine Integration der soziologischen Theorie im Rahmen einer allgemeinen Theorie der Dynamik sozialer Systeme bemüht. Der nachfolgende Beitrag zeigt, in welcher Hinsicht dieses Unterfangen – aus der Sicht der Erfordernisse eines mikrofundierenden Erklärungsprogramms – als gescheitert eingestuft werden muss.

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Notes

  1. 1.

    Bühl (1974).

  2. 2.

    Vgl. Hummel und Opp (1971); Opp (1972) und Vanberg (1972) u. a.

  3. 3.

    Vgl. Schmid (1982a).

  4. 4.

    Vgl. Bühl (1975).

  5. 5.

    Vgl. Bühl (1984a, S. 311).

  6. 6.

    Eine solche Multiparadigmatik wurde seinerzeit unter anderem von Turner (1974) und Ritzer (1975) verteidigt. In Schmid (1982) habe ich zum ersten Mal – und ebenso erfolglos wie weiterhin – zugunsten einer einheitlichen soziologischen Theoriebildung argumentiert.

  7. 7.

    Vgl. Schmid (2017), wo ich seine Bemühungen um eine anti-reduktionistische Position in die damalige Problemlandschaft einfüge.

  8. 8.

    Bühl (1979).

  9. 9.

    Vgl. Bühl (1972).

  10. 10.

    Vgl. Bühl (2002).

  11. 11.

    Vgl. Bühl (1987, S. 44–58).

  12. 12.

    Vgl. Schmid (1989) für meinen eigenen Versuch, Parsons zu verstehen.

  13. 13.

    Meine Kritik an Luhmann ging allerdings andere Wege, als sie Bühl beschritten hat, vgl. Schmid (2001, 2003). Vgl. auch meine Bewertung von Luhmanns „soziologischer Aufklärung“ in diesem Band.

  14. 14.

    Vgl. hierzu die programmatischen Arbeiten in Wuketits und Schmid (1987).

  15. 15.

    Vgl. Bühl (1990). Auf die von René Thom angeregte Katastrophentheorie sind wir offensichtlich ebenso zeitgleich gestoßen (vgl. Freber und Schmid 1986) wie auf die Theorien systemischer Selbstreproduktion von Prigogine und Haken (vgl. Schmid 1998).

  16. 16.

    Vgl. Bühl (1978, 1998).

  17. 17.

    Vgl. Lau (1975). Auch würde ich die Steuerungsdebatte weniger systemtheoretisch betreiben als im Rahmen einer Handlungstheorie, die die Anreizwirkungen institutioneller bzw. gesetzgeberischer Maßnahmen beurteilen kann, vgl. Coleman (1993), die Arbeiten der Chicago School of Law (z. B. Posner 1997; McAdams 2004) oder Douglass C. North (2005).

  18. 18.

    Vgl. Popper (1961), Hayek (1969), Dass auch Max Weber sich dieser Denkfigur bediente, was mir selbstverständlich aufgefallen.

  19. 19.

    Bühl (1982, S. 11).

  20. 20.

    Vgl. zur Programmatik Bühl (1984, S. 298–315) und passim. In Bühl (1990) findet sich sein Bekenntnis zur Bildung formaler Modelle, zur Suche nach (höchst abstrakten) Gesetzmäßigkeiten nicht-linearer Systemdynamiken, wobei Bühl wahrscheinlich eher an „mathematische Gesetze“ als an sachliche Gesetzmäßigkeiten dachte, und sein Plädoyer zugunsten der Übernahme der in der allgemeinen Theorie dynamischer Systeme üblich gewordenen Forschungsstandards auch in den Sozialwissenschaften. Ich habe aber nicht den Eindruck, als habe sich – trotz der Fernunterstützung durch Renate Mayntz (1997) – diese Programmatik (zumal in der Soziologie) durchsetzen können.

  21. 21.

    Bühl (1982, S. 12, 1990, S. 49–56).

  22. 22.

    Bühl (1982, S. 1, 28).

  23. 23.

    Bühl (1982, S. 28).

  24. 24.

    Bühl (1982, S. 13). „Die Postulierung einer grundsätzlichen methodologischen Differenz zwischen Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften ist eine Fiktion“ (Bühl 1982, S. 13). An dieser Auffassung hat er bis zuletzt festgehalten, vgl. Bühl (2003, S. 30–40).

  25. 25.

    Bühl (1982, S. 11).

  26. 26.

    Vgl. Bühl (2003, S. 55–63).

  27. 27.

    Bühl (1982, S. 23).

  28. 28.

    Bühl (2003, S. 17).

  29. 29.

    Bühl (1982, S. 2).

  30. 30.

    Bühl (1982, S. 137, 162–163).

  31. 31.

    Bühl (1982, S. 28).

  32. 32.

    Bühl (1982, S. 9).

  33. 33.

    Die zu diesem Zweck vorgeschlagene theoriegeleitete Modellbildung hat demnach in Rechnung zu stellen, dass „…das soziale Verhalten des Menschen bzw. seine sozialen Systeme als multistabile Mehrebenen-Systeme zu konzipieren (sind)“ (Bühl 1982, S. 62–63). „Stabilität“ ist an dieser Stelle an der selektiven Reproduktivität von Systemen orientiert, nicht an Gleichgewichtsvorstellungen, wie ich gleich zeigen werde.

  34. 34.

    Bühl (1982, S. 424). Die Suche nach (kontingenten) Zusammenhängen zwischen mehreren Mechanismen sollte nach Bühl das Vorgehen der „historischen Soziologie“ anleiten und Aufgabe einer soziologisch informierten Makro- bzw. Mikrogeschichte sein (vgl. Bühl 2003, S. 155–183). Ich hätte nichts dagegen, wenn dies gelänge.

  35. 35.

    Bühl (1982, S. 29–41, 48–54, 431–442).

  36. 36.

    Bühl (1982, S. 47).

  37. 37.

    Viele dieser Themen nimmt der Autor später wieder auf und verortet sie dort im Zusammenhang mit einer Theorie der Historischen Soziologie (vgl. Bühl 2003).

  38. 38.

    Bühl hat späterhin zwischen „zyklischen“, „katastrophischen“, „fluktuativen“ und „evolutionären Formen des gesellschaftlichen Wandels“ unterschieden (vgl. Bühl 1990), allerdings ohne genau anzugeben, wann genau diese verschiedenen Dynamiken auftreten, und vor allem, wie sie sich wechselseitig beeinflussen oder auseinander hervorgehen. Im Rückblick mag es erscheinen, als habe er sich dazu entschlossen, die unvermeidbare Nichtlinearität evolutionärer Prozesse zum Ausgangspunkt modellierbarer Generalisierungen zu machen, wobei die Evolutionstheorie zu einer Teiltheorie im Rahmen einer allgemeinen Theorie dynamischer Systeme wird. Diesem Gedanken hatte ich – parallel zu Bühl arbeitend – in Schmid (1998) Raum gelassen. Auch in diesem Zusammenhang – so will es mir mittlerweile scheinen – verstand Bühl unter „Gesetzen“ in erster Linie die mathematisch eindeutige Formalisierbarkeit von (sachvariablen) Zusammenhängen, über deren Kausalitäten damit nichts gesagt sein muss.

  39. 39.

    Bühl (1982, S. 33).

  40. 40.

    Vgl. für Bühls Reaktion auf die fast zeitgleich vorgetragenen Ansprüche Niklas Luhmanns, die Sozialtheorie als Theorie autopoietischer Systeme neu begründen zu wollen, den viel zitierten Aufsatz Bühl (1987a).

  41. 41.

    Für ihn sind damit immer „Interaktionssysteme“, „Verbundhandlungen“ (joint actions), „soziale Beziehungen“ und „Bindungen“ oder aber die ihnen zugrunde liegenden, dauerhaften institutionellen Regeln gemeint; alle zusammen sind für ihn Bezugspunkt der Theoriebildung, vgl. Bühl (1982, S. 176–195). Ethisch schlägt sich diese Sicht in der These nieder, Grundlage einer „sozialen Systemethik“ müsse die „Solidarität“ sein (vgl. Bühl 1998, S. 231 u. a.). Ich will diese These nicht kommentieren, halte sie aber für sachlich nicht zwingend; und zudem führt – wie vor langer Zeit David Hume gezeigt hat – aus der naturalistischen Perspektive einer erklärenden Soziologie par tout kein Weg zur Moral.

  42. 42.

    Bühl (1982, 105–119).

  43. 43.

    Vgl. Buss (2004); Richerson und Boyd (2005).

  44. 44.

    Bühl (1982, S. 92).

  45. 45.

    Bühl (1982, S. 32) u. a.

  46. 46.

    Bühl (1982, S. 63–64).

  47. 47.

    Bühl (1982, S. 141–56).

  48. 48.

    Bühl (1982, S. 5). Genetische und kulturelle Prozesse sind für Bühl über „Rückkoppelungen“ verknüpft, vgl. Bühl (1982, S. 51).

  49. 49.

    Bühl (1982, S. 133).

  50. 50.

    Bühl (1982, S. 137).

  51. 51.

    Bühl (1982, S. 74).

  52. 52.

    Bühl (1982, S. 83) nennt drei Basisprobleme des menschlichen „Verbundhandelns“ (Bühl 1982, S. 162) das „Integrationsdilemma“, das „Abgrenzungs- bzw. Allianzdilemma“ und das „ökologische Adaptationsdilemma“. Späterhin findet sich ein Referat über „soziale Dilemmas“ (Bühl 2000, S. 52–64), ich habe aber nicht den Eindruck, dass der Autor seine Theoriebildung an diese Darstellung anschließt.

  53. 53.

    Bühl (1982, S. 62–63).

  54. 54.

    Bühl (1982, S. 247).

  55. 55.

    Bühl (1982, S. 457).

  56. 56.

    Bühl (1982, S. 241).

  57. 57.

    Vgl. dazu Schmid (2005a, 2006, 2011, 2011a); Maurer und Schmid (2010) u. a.

  58. 58.

    vgl. Bühl (1974, 1994, S. 262–314, 2003). D. h. von wahrheitsorientierter Theoriebildung scheint Bühl ebenso wenig gehalten zu haben wie von der Entwicklung einer deduktiven Methodologie (der Prüfung). Gleichwohl hat er immer auch die Prüfbarkeit des Wissens zum Wesensmerkmal der Wissenschaft erklärt. Dass die Entwicklung des Wissens sozial organisiert und evolutionär verläuft, müssen hingegen auch jene nicht leugnen, deren Wissenschaftsauffassung er unaufhörlich als logizistisch und lebensfern kritisiert. Wie viele in der Wolle eingefärbte Soziologen möchte er Wissenschaftstheorie (offenbar) „soziologisieren“, wovon ich mit Lakatos (1978b) buchstäblich nichts halte. Einige meiner Gegenargumente finden sich in meiner Auseinandersetzung mit Jeffrey Alexanders „Neofunktionalismus“ an anderer Stelle dieses Bandes.

  59. 59.

    Vgl. Bühl (2003, S. 61–63). Ich habe in den letzten Jahren mehrfach dafür plädiert, diesen Tatbestand zur Grundlage eines wissenschaftslogisch integrierten Erklärungsprogramms zu machen und anerkenne gerne, dass Bühl dies lange vor mir so gesehen und empfohlen hatte, vgl. Schmid (2005, 2006, 2008b, 2011).

  60. 60.

    Man vgl. für die noch in den späten 80er Jahren typische Problemsicht Alexander und Giesen (1987).

  61. 61.

    Bühl (1982, S. 74, 79, 101) u. a.

  62. 62.

    Bühl (2003, S. 117).

  63. 63.

    Ob diese Einbeziehung biologischer Verhaltensgrundlagen allerdings die These rechtfertigt, der zufolge „verborgene Antriebe“ dafür sorgen, dass die Akteure gefangenendilemmaartige Problemlagen meiden oder bewältigen können, scheint mir unschlüssig zu sein, obgleich Vertreter der Soziobiologie eine solche Sichtweise durchaus verteidigen (vgl. Tooby und Cosmides 1992; Boyd und Richerson 2005). Auf der anderen Seite dürfte die Berücksichtigung biologischer Handlungsgrundlagen nur dann einen Gewinn für die soziologische Analyse abwerfen, wenn diese soziobiologischen Theorien wahr sind. Für diesen Fall wäre hernach zu klären, welchen Erklärungswert angesichts dessen Entscheidungstheorien haben, in deren Rahmen die „Dilemmastruktur“ vieler Interaktionssituationen (und deren möglichen Lösungen) erst sichtbar werden. Zumindest müsste man Dilemmastrukturen als „Selektoren“ für Handlungsprogramme (oder „Moralen“) verstehen dürfen, vgl. Alexander (1987).

  64. 64.

    Dieser Rat wird selten befolgt, vgl. aber Flam (2000); Collins (2004); Elster (2007). Collins entsprechenden Versuch unterziehe ich an anderer Stelle dieses Buches einer kritischen Einordnung.

  65. 65.

    Vgl. Schmid (2004, S. 23–60, 2009a).

  66. 66.

    Es gibt Hinweise, dass Bühl diese Tiefenschichtung der Realität „ontologisch“ meint (vgl. Bühl 1984, S. 273), was – folgt man Quine (1961) – das Problem aufwirft, welchen Theorien er sie entnehmen möchte.

  67. 67.

    Tatsächlich plädiert Bühl dafür, dass überlebensfähige Forschungsprogramme über „mehrerer Theoriekerne“ verfügen sollten (Bühl 1994, S. 299), um Theoriepluralismus und einen kreativen Umgang mit Widersprüchen und Unverträglichkeiten sicher zu stellen. Das hier behandelte Problem unterschiedlicher Kausalitäten spricht er indessen nicht an. Gegen intertheoretische Kritik kann ich (im Übrigen natürlich) keinen Einwand erheben wollen, wüsste aber gerne, im Rahmen welcher Methodologie sie „organisiert“ werden kann. Vgl. meine Einführung zu diesem Band für eine Skizze meiner Vorstellungen zu diesem Thema.

  68. 68.

    Vgl. Bühl (2003, S. 17).

  69. 69.

    Vgl. Bühl (2003, S. 59) u. a.

  70. 70.

    Vgl. Bühl (1998, S. 37–60, 2003, S. 10, 58–60) u. a. Ich gestehe, dass ich auf den auch von Bühl vorgetragenen Vorwurf, jede Rationalerklärung gehe fehlerhafterweise von einem „kontextlosen Individuum“ aus (Bühl 2003, S. 58) oder setze ein „freischwebendes Individuum“ voraus (Bühl 2000, S. 41), zunehmend ungeduldiger reagiere. Ich bin aber überzeugt, dass Bühl – bei besserer Laune – sieht, dass Rationalerklärungen nur Sinn machen, wenn man die strukturellen und informationellen Begrenztheiten der Akteure kennt und wenigstens manche der Idealisierungen der ökonomischen Neoklassik aufzugeben bereit ist. Bühl weiß aber auch, dass in der Folge die Gewinnung eindeutiger Prognosen erschwert ist (vgl. Bühl 2003, S. 66–67). Die als ideologisch verbrämte „Lebensferne“ entscheidungstheoretischer Annahmen (Bühl 2000, S. 39) hat vornehmlich die Funktion, Modellbildungen „simpler“ und handhabbarer zu gestalten, was Bühl an anderen Stellen für seine eigenen Systematisierungsbemühungen natürlich akzeptiert, d. h. auch er kann selbstverständlich nicht davon ausgehen wollen, dass seine (systemdynamischen) Modelle alle Einflussfaktoren aufzählen, weshalb die Konzentration auf die „wesentlichen“ Zusammenhänge die Idealisierung (oder Konstantsetzung) von Annahmen erfordert. Modellkritisch ist dann nur, dass man fehlerhafte oder falsche Annahmen verwendet, ohne die Theorien zu kennen, die angeben, wo der Fehler liegen könnte, oder dass man modelliert, ohne die ableitungsnotwendigen Prämissen zu kennen, falls man übersieht, dass bestimmte Folgerungen nur richtig sein können, wenn zusätzliche Randbedingungen erfüllt sind und dergleichen (vgl. für meine Sicht der Dinge Schmid 2015).

  71. 71.

    Man benötigt eine Entscheidungstheorie, weil viele Handlungstheorien den Eindruck erwecken, die Akteure seien dem Einfluss ihrer Handlungssituation völlig wehrlos ausgesetzt. Demgegenüber könnte sich die Handlungstheorie auf den Tatbestand konzentrieren, dass Akteure ganz eigenwillige Fähigkeiten haben und „mannigfaltigen“ Motiven (Max Weber) folgen, d. h. höchst verschiedene Maximanden im Auge haben können. Die Abgrenzung zwischen den sozialwissenschaftlichen (Teil-) Disziplinen kann dann der Frage folgen, welche Motive (und Fähigkeiten) jeweils untersucht werden sollten.

  72. 72.

    Vgl. Bühl (2003, S. 50–51).

  73. 73.

    Bühl (2003, S. 44–45).

  74. 74.

    Ich halte mit Carl Hempel (1951) die Systemtheorie (wie im übrigen auch die Mathematik oder die Netzwerkanalyse) für eine (sehr allgemeine, kalkülfähige) Sprache, die sich zur Darstellung von Relationen und Prozessen gut eignet, aber keine eindeutige inhaltliche Interpretation besitzt, die endogen beschafft werden könnte, und zudem nicht impliziert, dass die mit ihrer Hilfe beschriebenen Prozessverläufe nomologischen Charakter besitzen müssen; so erlauben empirisch-induktive Forschungen über (eventuelle) Regelhaftigkeiten des Systemgeschehens keine Folgerungen auf deren Gesetzmäßigkeit oder Gesetzesartigkeit.

  75. 75.

    Bühl übernimmt in dieser Frage offenbar Mario Bunges Position (vgl. Bühl 2003), der keinen wirklichen Unterschied zwischen Mikro- und Makrokausalitäten macht, und übersieht zugleich, dass der von ihm mehrfach konsultierte Christopher Lloyd Bunges Meinung nachgerade nicht teilt (vgl. Bühl 2003). Würde dieser Unterschied aber nicht bestehen und könnte man die „Handlungspotenz“ der Akteure (Bühl 2003, S. 61) bzw. ihr „Verhaltenspotential“ (Bühl 1984, S. 247) auf die gleiche Stufe stellen wie die „sozialen Kräfte“ (Bühl 2003, S. 51), könnte Bühl kaum zugunsten der Notwendigkeit von Tiefenerklärungen (Bühl 2003, S. 55–63) der von ihm in den Vordergrund gerückten „Systemkausalitäten“ (Bühl 2003, S. 70) argumentieren wollen. Ohne derartige Tiefenerklärungen, denke ich, stehen Systemerklärungen – wie Bühl an einer Stelle zu Recht befürchtet – in Gefahr, in einem „leeren Dynamismus (zu) enden“ (Bühl 2000, S. 108). Das scheint zumindest für seine materialen Untersuchungen zur Dynamik von Wissenssystemen (vgl. Bühl 1974, 1984, 2000) zu gelten.

  76. 76.

    Vgl. die zahlreichen Stellen (Bühl 1984a, 2000, 2003), wo er „Eigenlogiken“ mit der „Suche nach Gesetzen“ gleichsetzt. Ich halte aus Sicht des Methodologischen Individualismus, den ich auch (bzw. gerade) dann für verbindlich halte, wenn es um die Erforschung sozialer Dynamiken geht, wenig von solchen Thesen, vgl. zur Kritik dieser „Eigenlogiken“ auch Greve (2015).

  77. 77.

    In Bühlscher Terminologie ist (sehr treffend, wie ich finde) von „strukturellen Begrenzungen und institutionellen Bahnungen“ die Rede (vgl. Bühl 2003, S. 17).

  78. 78.

    Daran ändert auch Bühls Bekenntnis zu biologisch-kulturellen Ko-Evolution (Bühl 1982, S. 34–41) nichts. Ebenso wenig kann man ein spezifisches oder konkretes Verhalten aus seiner neokortikalen Kontrolle erklären (Bühl 1982, S. 105–119, 216–217 u. a.), weil das für jede Art des Verhaltens gilt (vgl. Bendor und Swistak 2001, S. 1532). Ich muss Bühl an dieser Stelle das Argument entgegenhalten, das ich auch Sanderson gegenüber – an anderer Stelle dieses Bandes – formuliere: Man kann keine umstandsbedingten Handlungsvarianzen aus der für alle Akteure gleichen und konstant gesetzten biologischen Ausstattung erklären. An der zutreffenden These, dass die Akteure der soziologischen Handlungstheorie Tiere sind, ändert dieser Einwand natürlich nichts, wenngleich sich die Behauptung, dass die „Gesellschaftsordnung im Dienste der menschlichen Gehirnentwicklung“ (Bühl 1982, S. 465) stünde, etwas außerhalb des soziologischen Zuständigkeitsbereichs zu bewegen scheint.

  79. 79.

    Für den Sinn einer solchen „isolierenden“ Modelltechnik (vgl. Mäki 2001, S. 369–89).

  80. 80.

    Offenbar meint er, dass es solche ebenso einfachen wie übergreifenden Handlungsfunktionen angesichts der Vielgestaltigkeit menschlicher Handlungsorientierungen nicht geben wird. Ich würde gerne dagegen halten, dass wir jede handlungstheoretische Systematisierung einstellen können, wenn uns an dieser Stelle nichts einfällt.

  81. 81.

    Bühl scheint den Akteur nur in „kollektiven Zusammenhängen“ (Bühl 1982, S. 167) denken zu können, was die theoretische Leitidee einer individuellen Rationalität entwertet (Bühl 1982, S. 160–161). D. h. Bühl legt seine Handlungstheorie (zu) komplex an (Bühl 1982, S. 71–74, 109, 176–179), vertritt eine Art „Emanationstheorie des Handelns“ (Bühl 1982, S. 199) und vergisst darüber die Angabe einer eindeutigen Selektionsfunktion, die festlegt, welche Handlungen ein Akteur (in verschiedenen „Interaktionsfeldern“ (Bühl 1982, S. 176) und „Relationsstrukturen“ (Bühl 1982, S. 182)) ausführen wird. Bühl spricht zwar an einer Stelle vom „Potential eines Systems“ (Bühl 1982, S. 403), das als Stellvertreter eines irgendwie gearteten „operativen“ Prinzips gelten könnte, lässt diesen Begriff aber ebenso unbestimmt wie den des (vorgestellten oder mental antizipierten) „Ziels“ (Bühl 1982, S. 210). Auch sieht er, dass die sozialen „Interdependenzordnungen“ (Bühl 1982, S. 411) auf die Einhaltung von „gemeinsamen Regeln“ angewiesen sind (Bühl 1982, S. 409), legt aber keine Theorie der Regelentstehung und Regeleinhaltung vor, was zur Konsequenz hat, dass man keine Verbindungslinien zur neueren soziologischen Institutionentheorie erkennen kann. Die Folge davon ist, dass die Bühl’sche Institutionenauffassung ausschließlich auf das Gelingen von Gewohnheitsbildungen abstellt (Bühl 1982, S. 191–192) und alle übrigen Regelwirkungen außer Acht lässt. Ich bringe diesen Kritikpunkt – an anderer Stelle dieses Bandes – ausführlich auch gegen die Bourdieus’sche Gesellschaftsanalyse zur Sprache.

  82. 82.

    Natürlich kennt Bühl „Mechanismen von Kooperation und Konflikt“ (Bühl 2003, S. 50), aber er interpretiert sie nicht im Lichte einer Handlungstheorie, die besagen könnte, welche Probleme die Akteure damit lösen können (oder müssen), wie sie das im Einzelnen tun und welche Folgen dabei eintreten.

  83. 83.

    Das gilt nicht nur für Interaktionssysteme, sondern auch für Wissenssysteme, vgl. Bühl (2000, S. 103–115).

  84. 84.

    Vgl. Bühl (1982, S. 172), wo von einer „übersubjektiven Verhaltensordnung“ die Rede ist, aber auch Bühl (1984) und Bühl (2000) für Hinweise auf die Richtigkeit meiner Deutung. Auch scheint Bühl an die Integrationszuträglichkeit von „gemeinsamen Bewegungen“ (Bühl 1982, S. 232), von „Verbundentscheidungen“ (Bühl 1982, S. 411) und „gemeinsamen Werken“ (Bühl 1982, S. 341) und an die „Gemeinschaftsleistung“ der Sinnproduktion (S. 372–382) zu glauben, die doch allenfalls eine notwendige Bedingung gelingender Sozialintegration sein können, was der Autor natürlich weiß (Bühl 1982, S. 383). Diese Bemerkung gilt auch für seinen – im Übrigen nicht unbedingt zu kritisierenden – Versuch, die Verpflichtungen einer Ethik aus den „sozialen Positionen oder Funktionen von Individuen oder Gruppen“ (Bühl 1998, S. 432) heraus zu entwickeln. Dass man von ihm – als einem überzeugten Soziologen – keine Ethik erwarten kann, die sich etwa naturrechtlich verbürgten individuellen Handlungsrechten verdankt, dürfte mittlerweile klar sein.

  85. 85.

    Vgl. Bühl (1984, 2000).

  86. 86.

    Ob Walter Bühl eine akteurtheoretisch fundierte und damit tragfähige Theorie des „common knowledge“ hat vorlegen können, müsste man einer genaueren Lektüre von Bühl (1984) und Bühl (2000) entnehmen. Vgl. zur aktuellen Diskussion dieser Problematik Collin (1997). Dass das Problem vor einem strikt individualistischen Hintergrund und ohne in eine „déformation sociologique“ zu verfallen im Prinzip lösbar ist, zeigt Aumann (1975).

  87. 87.

    Dass es solche Annahmen, zumal im Bereich psychischer Systeme gibt, ja geben muss, ist Bühl selbstverständlich bekannt, vgl. Bühl (2000, S. 90).

  88. 88.

    So lehnt sich Bühl (2003, S. 56) an Essers Schematisierung einer Tiefenerklärung an, die ihrerseits eine Kopie der Colemanschen Badewanne darstellt, (offenbar) ohne zu bemerken, dass seine Kritik an der Colemanschen RC-Erklärungstechnik damit erheblich an Überzeugungskraft verliert. An anderer Stelle verwirft er das Badewannen-Schema allerdings (vgl. Bühl 2000, S. 45, Fußnote), was die genaue Identifikation dessen, was er dachte und uns sagen wollte, leider erschwert.

  89. 89.

    Bühl (1982, S. 19).

  90. 90.

    Sicher scheint zu sein, dass Bühl (wie Mario Bunge) Gesetze auch für makrostrukturelle Zusammenhänge annahm (vgl. Bühl 2003, S. 69–72), während ich „genetische“ oder „energetisierende“ Gesetze, die Kausalwirkungen (auf der Ebene der individuellen Handlungsorganisation) beschreiben, von – wie es früher einmal hieß – (struktur- oder pfadabhängigen und deshalb nicht-nomologischen) „Generalisierungen“ gerne unterschieden wüsste. Aber diese Unterscheidung scheint Bühl nicht zu behagen, wenn ich seine unbarmherzige Kritik am individualistischen Forschungsprogramm (vgl. Bühl 2000, S. 38–51) richtig einordne.

  91. 91.

    Bühl (1982, S. 83–88).

  92. 92.

    Bühl (1984, S. 376) u. a.

  93. 93.

    Bühl (2000).

  94. 94.

    Vgl. für eine nachhaltige Gegenstimme Sanderson (2001).

  95. 95.

    Bühl (1982, S. 77). Vgl. auch Bühl (2002), wo er der Phänomenologie nur dann eine Chance einräumt, wenn sie sich in eine systemtheoretisch angeleitete Mehrebenenanalyse des Sozialgeschehens einfügen lässt.

  96. 96.

    Bühl (2003, S. 10–11).

  97. 97.

    Bühl (1990, S. 1–14).

  98. 98.

    Bühl (1982, S. 2).

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Schmid, M. (2017). Struktur und Dynamik des menschlichen Sozialverhaltens. Walter L. Bühls Entwurf eines integrativen Forschungsprogramms für die theoretische Soziologie. In: Forschungsprogramme. Beiträge zur Vereinheitlichung der soziologischen Theoriebildung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-17611-2_5

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-17611-2_5

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-17610-5

  • Online ISBN: 978-3-658-17611-2

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