Zusammenfassung
Der Beitrag thematisiert eine Abgrenzung des wirtschaftspolitischen Journalismus gegenüber den übrigen Spielarten des Wirtschaftsjournalismus. Dieser ist nicht auf spezifische Zielgruppen fokussiert, wirtschaftspolitische Journalismus ist breit angelegt. Es ist Aufgabe des wirtschaftspolitischen Journalismus, narrative Brücken zu bauen, um die ökonomische Realität verständlich zu machen. Er betrachtet Entwicklungen vor dem Hintergrund gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge und nimmt somit eine systemische Perspektive ein. Erläutert werden die Funktionen des wirtschaftspolitischen Journalismus für Wirtschaft und Politik. Es wird ein theoretisch fundiertes Selbstverständnis des wirtschaftspolitischen Journalismus skizziert.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Notes
- 1.
Während praktisch jeder britische Bürger seine eigene Lage beurteilen konnte, antworteten 9 % in Bezug auf die britische und 19 % in Bezug auf die europäische Wirtschaft „weiß nicht“.
- 2.
Die Nähe zum Konzept des „Frames“ ist unübersehbar. Nach Entman (1993, S. 52) besteht ein Frame aus vier Elementen: Problemdefinition, Diagnose, moralisches Urteil, Lösungsvorschläge. Das Narrativ hat einen höheren Komplexitätsgrad, insbesondere in zeitlicher Hinsicht.
- 3.
Zu diesem Ergebnis kommen z. B. Elchardus und Spruyt (2016) nach einer Analyse zum Phänomen des flämischen Populismus: „Support for populism appears foremost as a consequence of a very negative view of the evolution of society – declinism – and of the feeling of belonging to a group of people that is unfairly treated by society.“
- 4.
So war eine langfristige Kosten-Nutzen-Analyse der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens ein komplexes Unterfangen; ein entsprechendes Papier des britischen Finanzministeriums vom April 2016 (HM Treasury 2016) füllt 200 Seiten und war kaum öffentlich kommunizierbar. Der Leave-Kampagne hingegen genügte ein Slogan („Take back control“) und eine Zahl – 350 Mio. £, die Großbritannien angeblich pro Woche nach Brüssel überweist und die man besser ins nationale Sozialsystem stecken könnte –, um die Mehrheit der britischen Wähler auf ihre Seite zu bringen. Sie konnte an das tradierte, stark negativ gefärbte EU-Narrativ eines „Owellschen Superstaats“ anknüpfen, das in britischen Medien seit den 90er Jahren präsent ist (Wring 2016). Überprüfbare Fakten hatten wenig Chancen, mythische Narrative waren stärker (Banducci und Stevens 2016).
- 5.
Einer Umfrage zufolge fordern 96 % der Bevölkerung und 95 % der Entscheider vom Wirtschaftsjournalismus neutrale und präzise Informationen, 93 bzw. 94 % die Thematisierung künftig relevanter Themen (Mast 2012, S. 146).
- 6.
Dies ist die Kernaussage der Theorie „rationaler Erwartungen“ (z. B. Muth 1961; Friedman 1979; Sargent 2013), die sich insbesondere mit der korrekten Antizipation der Inflationsrate beschäftigt. Für Finanzmärkte lässt sich zeigen, dass die Effizienz sinkt, wenn Informationen nicht zur Verfügung stehen, weil Wirtschaftszeitungen wegen Streiks nicht erscheinen (Peress 2014). Shiller (2002) betont die Rolle der Medien in Phasen „irrationalen Überschwangs“.
- 7.
Entsprechend hat die europäische Wettbewerbspolitik das Ziel, Kartelle zu zerschlagen, Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung zur Fairness gegenüber Kunden und Wettbewerbern zu zwingen, Fusionen, die zu massiven Wettbewerbsbeschränkungen führen, zu untersagen sowie wettbewerbsverzerrende Subventionen zu untersagen (Europäische Kommission 2012).
- 8.
Siehe auch Insider-Outsider-Theorie (Lindbeck und Snower 2002).
- 9.
Siehe die Entscheidung der EU-Kommission, von Apple 13 Mrd. EUR an Steuernachzahlungen zu verlangen für gewährte Steuervorteile durch den irischen Staat. Siehe z. B. http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/eu-kommission-irland-klagt-gegen-apple-steuernachzahlung-1.3146373.
- 10.
- 11.
Dieses Ziel ist im GG Art. 109 und EUV Art. 104 festgeschrieben.
- 12.
So verfolgt die EU als Lehre aus der Finanzkrise im Rahmen ihres Verfahrens die Beschränkung hoher staatlicher Verschuldung im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakt sowie die frühzeitige Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte durch ein permanentes Monitoring der Mitgliedstaaten, in das eine Vielzahl von Indikatoren einfließt (siehe auch http://ec.europa.eu/eurostat/web/macroeconomic-imbalances-procedure/indicators), wobei es allerdings mit der Durchsetzung von korrigierenden Maßnahmen hapert.
- 13.
- 14.
- 15.
So nahm in Polen nach der Regierungsübernahme der nationalkonservativen PiS-Partei mit ihrer immigrantenfeindlichen Rhetorik die Übergriffe auf Ausländer stark zu (Wasik und Foy 15 September 2016).
- 16.
Dass dies inzwischen eine verbreitete Praxis ist, lässt sich aus dem Katalog von Geboten verstehen, den der Arbeitskreis Compliance 2015 als Empfehlungen herausgegeben hat (Inea 2015).
Literatur
Akerlof, G. A. (1970). The market for “Lemons”: Quality uncertainty and the market mechanism. The Quarterly Journal of Economics, 3, 488–500.
Akerlof, G. A., & Shiller, R. J. (2015). Phishing for phools. The economics of manipulation & deception. Princeton: Princeton University Press.
Azfar, O. (2007). Disrupting corruption. In A. Shah (Hrsg.), Performance accountability and combating corruption (S. 255–283). New York: World Bank Publications.
Banducci, S., & Stevens, D. (2016). Myth versus fact: Are we living in a post-factual democracy? In D. Jackson, E. Thorsen, & D. Wring (Hrsg.), EU Referendum Analysis 2016: Media, Voters and the Campaign. Early reflections from leading UK academics (S. 22). Bournemouth: Centre for the Study of Journalism, Culture and Community.
Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). (2016). 86th annual report. Basel: BIZ.
Bhatia, K., Evenett, S. J., & Hufbauer, G. C. (2016). Why General Electric is localising production. http://voxeu.org/article/why-general-electric-localising-production. Zugegriffen: 28. Aug. 2016.
Berry, M. (2016). Understanding the role of the mass media in the EU Referendum. In D. Jackson, E. Thorsen, & D. Wring (Hrsg.), EU Referendum analysis 2016: Media, voters and the campaign. Early reflections from leading UK academics (S. 14). Bournemouth: Centre for the Study of Journalism, Culture and Community.
Boynton, G. R., & Richardson, G. W., Jr. (2016). Agenda setting in the twenty-first century. New Media & Society, 19, 1916–1934.
Corner, J. (1999). Critical ideas in television studies. Oxford: OUP.
Elchardus, M., & Spruyt, B. (2016). Populism, persistent republicanism and declinism: An empirical analysis of populism as a thin ideology. Government and Opposition, 1, 111–133.
Entman, R. M. (1993). Framing: Toward clarification of a fractured paradigm. Journal of Communication, 43, 51–58.
Eurobarometer. (2016). Standard Eurobarometer 85, Spring 2016, Public opinion in the European Union. Brüssel: EU.
Europäische Kommission (2012). Was ist Wettbewerbspolitik? http://ec.europa.eu/competition/consumers/what_de.html. Zugegriffen: 20. Oct. 2016.
Freedom House (2016). Freedom of the press 2016. Battling for the dominant message. https://freedomhouse.org/sites/default/files/FH_FTOP_2016Report_Final_04232016.pdf. Zugegriffen: 12. Sept. 2016.
Friedman, B. M. (1979). Optimal expectations and the extreme information assumptions of rational expectations macromodels. Journal of Monetary Economics, 5, 23–42.
Hamilton, J. T. (2004). All the news that’s fit to sell: How the market transforms information into news. Princeton: Princeton University Press.
Hayek, F. A. (1945). The use of knowledge in society. The American Economic Review, 35, 519–530.
Heinrich, J. (2010). Öffentlichkeit: Was sagt die Ökonomie dazu? In T. Eberwein & D. Müller (Hrsg.), Journalismus und Öffentlichkeit (S. 73–85). Wiesbaden: VS Verlag.
Heinrich, J., & Moss, C. (2006). Wirtschaftsjournalismus. Grundlagen und Praxis. Wiesbaden: VS Verlag.
Institute for European Affairs (Inea). (2015). Kodex für die Medienarbeit von Unternehmen. Empfehlung des Arbeitskreises „Corporate Compliance“ auf seiner Essener Sitzung am 30. Januar 2015. http://www.manager-magazin.de/static/pdf/Kodex_Medienarbeit.PDF. Zugegriffen: 15. Sept. 2016.
HM Treasury. (2016). The long-term economic impact of EU membership and the alternatives. https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/517415/treasury_analysis_economic_impact_of_eu_membership_web.pdf. Zugegriffen: 8. Sept. 2016.
Jarren, O., & Donges, P. (2011). Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Eine Einführung (3. Aufl.). Wiesbaden: VS Verlag.
Kaeser, E. (22. August 2016). Das postfaktische Zeitalter. Neue Zürcher Zeitung. http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/googeln-statt-wissen-das-postfaktische-zeitalter-ld.111900. Zugegriffen: 20. Sept. 2016.
Krueger, A. (1974). The political economy of the rent-seeking society. American Economic Review, 64, 291–303.
Lindbeck, A. & Snower, D. (2002). The insider-outsider theory: A survey. IZA Discussion Paper 534, o. S.
Mast, C. (2012). Neurorientierung im Wirtschaftsjournalismus. Redaktionelle Strategien und Publikumserwartungen. Wiesbaden: VS Verlag.
McCombs, M. E., & Shaw, D. L. (1972). The agenda-setting function of the mass media. Public Opinion Quarterly, 36, 176–187.
Müller, H. (2012). Euro-Vision. Warum ein Scheitern unserer Währung eine Katastrophe wäre. Frankfurt a. M.: Campus.
Müller, H. (2016). Fighting Europe’s crisis with innovative media: A modest proposal. Journal of Business and Economics, 7, 1399–1409.
Müller, H. (2017). Populism, De-globalisation and media competition: The spiral of noise. Central Eastern European Journal of Communication 2017, in Spring Edition, 62–76.
Muth, J. F. (1961). Rational expectations and the theory of price movements. Econometrica, 29, 315–335.
Nielson, R. K. (2016). The business of news. In T. Witschge, C. W. Anderson, D. Domingo, & A. Hermida (Hrsg.), The sage handbook of digital journalism (S. 51–67). Newbury Park: Sage.
Nordheim, G. v., Boczek, K., Koppers, L., & Erdmann, E. (2017). Reuniting a divided public? Tracing the TTIP debate on Twitter and in traditional media. International Journal of Communication (im Erscheinen).
Olson, M. (2002). The logic of collective action. Public goods and the theory of groups (20. Aufl.). Cambridge: Harvard University Press.
Peress, J. (2014). The media and the diffusion of information in financial markets: Evidence from newspaper strikes. Journal of Finance, 69, 2007–2043.
Roberts, D. (2010). Post-truth politics. http://grist.org/article/2010-03-30-post-truth-politics/. Zugegriffen: 12. Sept. 2016.
Ross, S. A. (1973). The economic theory of agency: The principal’s problem. American Economic Review, 63, 134–139.
Sargent, T. J. (2013). Rational expectations and inflation (3. Aufl.). Princeton: Princeton University Press.
Shiller, R. J. (2002). Irrational exuberance in the media. In World Bank (Hrsg.), The right to tell. The role of mass media in economic development (S. 83–93). Washington D. C: World Bank.
Shiller, R. J. (2017). Narrative economics. Cowles Foundation Discussion Paper No. 2069.
Silberstein-Loeb, J. (2014). The international distribution of news: The associated press, press association, and Reuters 1848–1947. New York: Cambridge Univ. Press.
Stiglitz, J. (2002). Transparency in government. In World Bank (Hrsg.), The right to tell. The role of mass media in economic development (S. 27–44). Washington DC: World Bank.
Tullock, G. (1967). The welfare costs of tariffs, monopolies, and theft. Western Economic Journal, 5, 224–232.
Wasik, Z. & Foy, H. (15. September 2016). Immigrants pay for Poland’s fiery rhetoric. Financial Times, S. 5.
White, W. R. (2009). Should central banks ‚lean or clean‘? Frankfurt a. M.: Center for Financial Studies.
World Trade Organisation (WTO). (2016). Report on G 20 trade measures. Genf: The World Trade Organisation.
Wring, D. (2016). From super-market to Orwellian super-state: the origins and growth of newspaper scepticism. In D. Jackson, E. Thorsen, & D. Wring (Hrsg.), EU Referendum Analysis 2016: Media, Voters and the Campaign. Early reflections from leading UK academics (S. 12). Bournemouth: Centre for the Study of Journalism, Culture and Community.
Wyss, V. (2011). Narration freilegen: Zur Konsequenz der Mehrsystemrelevanz als Leitdifferenz des Qualitätsjournalismus. In K. Imhof, R. Blum, H. Bonfadelli, et al. (Hrsg.), Krise der Leuchttürme öffentlicher Kommunikation – Vergangenheit und Zukunft der Qualitätsmedien (S. 31–47). Wiesbaden: VS Verlag.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2017 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
About this chapter
Cite this chapter
Müller, H. (2017). Funktionen und Selbstverständnis des wirtschaftspolitischen Journalismus. In: Otto, K., Köhler, A. (eds) Qualität im wirtschaftspolitischen Journalismus. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-17467-5_2
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-17467-5_2
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-17466-8
Online ISBN: 978-3-658-17467-5
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)