1 Einleitung

Der Markt für Stromerzeugung und Stromverteilung in Deutschland befindet sich einer Phase der Transformation. Es geht dabei um die Liberalisierung von Energiemärkten, die Schaffung neuer Märkte für erneuerbare Energien (EE) und eine Auseinandersetzung um die generelle Architektur dieser Märkte und der korrespondierenden großen zentral oder dezentral auszugestaltenden technischen Infrastrukturen.

In der Wirtschaftssoziologie und in der theoretischen Soziologie insgesamt wird oft beklagt, dass ein zu großes Interesse an der Identifizierung von Stabilität sowie den Institutionen und Strukturen bestünde, die Stabilität absichern. Demgegenüber würde zu wenig Augenmerk auf die Analyse von Dynamik und Veränderung gelegt (vgl. Fligstein und McAdam 2012).

Sieht man sich die Entwicklung des Marktes für Stromerzeugung und Stromverteilung an, so hat man Schwierigkeiten in den letzten 30 Jahren viel Stabilität oder Systemhaftigkeit zu erkennen. Stattdessen lässt sich ein noch nicht abgeschlossener Prozess der Entwicklung von Strukturen und Institutionen beobachten. Insofern stellt sich hier auch eine besondere Herausforderung wie Chance für sozialwissenschaftliche Ansätze, die diesen Veränderungsprozess als Transition (Geels 2014), Transformation oder Konversion deuten wollen.

Bestehende Institutionen werden bewusst zerstört („Liberalisierung“) und es wird versucht bewusst, quasi „von oben“, neue Rahmen für Märkte zu gestalten. Auf der anderen Seite gab und gibt es Versuche, Märkte quasi „von unten“ neu zu schaffen. Versuche bei denen soziale Bewegungen eine entscheidende Rolle spielten (King und Pearce 2010).

Im Folgenden werden wir die Entwicklung des Marktes für Stromerzeugung und Stromverteilung – im Folgenden als Strommarkt abgekürzt – unter Anwendung des analytischen Instrumentariums der Theorie strategischer Handlungsfelder rekonstruierenFootnote 1. Das theoretische Konzept wird im folgenden Abschnitt dargestellt (Abschn. 2). Darauf aufbauend werden wir den deutschen Strommarkt als sich in einem Zustand der Transformation befindend charakterisieren (Abschn. 3). Den Prozess der Veränderung unterteilen wir in drei Phasen (Abschn. 46). Bei der Darstellung der Phasen gehen wir so vor, dass wir jeweils die wichtigsten Entwicklungen aus der Perspektive der Incumbents und dann aus der Perspektive der Herausforderer beschreiben. Beide sind in unterschiedlicher Art und Weise von Umweltveränderungen betroffen und ihre Organisationsbemühungen und gewählten Strategien unterscheiden sich signifikant. Abschließend werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst (Abschn. 7).

2 Märkte als Felder

Es ist hinreichend dargestellt worden, dass Strukturen, Institutionen ebenso wie Organisationen tendenziell veränderungsresistent sind. Pfadabhängigkeiten spielen eine wichtige Rolle und Veränderungen in Institutionen und Strukturen, insbesondere grundsätzlicher Art, sind eher selten zu beobachten. Die institutionalistisch und evolutionstheoretisch basierte Forschung argumentiert, dass größere Veränderungen in erster Linie durch sich wandelnde Anforderungen der Umwelt angestoßen werden (Meyer und Rowan 1977) bzw. durch Krisen und Schocks und nicht durch die etablierten Hauptakteure in Organisationen, Sektoren oder Politikfeldern.

Der Energiesektor ist hierfür ein gutes Beispiel. Dessen Entwicklung war auf der einen Seite in der Regel immer stark beeinflusst gewesen von einer kleinen Gruppe industrieller und politischer Akteure, die politische und regulatorische Entscheidungen in engem Schulterschluss trafen (Victor 2002). Wesentliche Anstöße für Veränderungen im Energiesektor sind durch externe Einflüsse zustande gekommen: Der Ölpreis-Schock Mitte der 1970er-Jahre, die Tschernobylkatastrophe und die darauf aufbauende breite Stimmung in der deutschen Bevölkerung gegen einen weiteren Ausbau der Atomkraft, die durch die Europäische Kommission vorangetriebene Liberalisierung der Energiemärkte und schließlich Fukushima.

Die externen Einflüsse können unter bestimmten, genauer zu analysierenden Bedingungen, zu Veränderungen in Handlungsfeldern (wie z. B. Märkten) beitragen, ebenso wie unter „Normalbedingungen“ davon auszugehen ist, dass externe Herausforderungen von den Akteuren erst einmal innerhalb der und mithilfe der existierenden Strukturen abgearbeitet werden. Krisen, technologische Entwicklungen etc. können von interessierten Akteuren als Chance oder Bedrohung interpretiert werden, Anlass für Reorganisationsbemühungen werden, in denen sich Alternativen zur herrschenden Problembearbeitung in Handlungsfeldern entwickeln und die durch eine Veränderung in gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen getragen werden. Prozesse der Veränderung von Handlungsfeldern drehen sich um die Frage, wer was unter welchen Bedingungen bekommt - unterliegen also einer Verteilungslogik. Eine analytische Perspektive, die uns erlaubt, solche Prozesse besser zu verstehen, ist die Theorie der strategischen Handlungsfelder von Neil Fligstein und Doug McAdam (Fligstein und McAdam 2011).

Die Theorie geht davon aus, dass sich Handeln in konstruierten sozialen Ordnungen auf der Mesoebene abspielt. Hier bezieht sich die Theorie auf die verschiedenen Varianten institutionalistischen Denkens. Die Ordnungen werden im Hinblick auf ihre Genese als ein Produkt sozialer Bewegung(en) betrachtet. D. h. im Mittelpunkt steht nicht das Interesse an der Analyse von als stabil oder sich im Gleichgewicht befindlichen institutionellen LogikenFootnote 2, sondern deren konstante Veränderung. Die Theorie postuliert, dass Felder durch eine soziale Struktur gekennzeichnet sind, die durch die Positionen von Incumbents, Challengers und Governance Units näher bestimmt werden kann. Veränderungen werden von „Challengers“ vorgetragen, die in der Lage sein müssen, Vorstellungen über Ziel, Zweck und Regeln im Feld zu formulieren und Koalitionen aufzubauen, die ein entsprechendes Verständnis mittragen. Strategische Handlungsfelder sind dabei nicht autonom, sondern in eine Vielzahl von anderen strategischen Handlungsfeldern eingebettet bzw. überlagern sich mit ihnen. Veränderungen im Umfeld eines strategischen Handlungsfeldes können wesentlich zu Veränderungen im Feld beitragen. Die wichtigste theoretische Folgerung aus der Interdependenz der Felder ist, dass die Umgebung des Feldes eine permanente Quelle von Verunsicherung darstellt und exogene Schocks zu gravierenden Feldveränderungen führen können. Fligstein und McAdam nennen Perioden, in denen ein strategisches Handlungsfeld unter Anpassungsdruck kommt, „Episodes of Contention“. Die Zeiten des Konfliktes werden in der Regel durch einen Kompromiss beendet. Kategorial lassen sich die folgenden Alternativen für die Entwicklung von strategischen Handlungsfeldern angesichts von Herausforderungen unterscheiden:

  1. a.

    Eine Wiedereinsetzung bzw. Fortführung der alten Ordnung mit einigen Anpassungen

  2. b.

    Zusammenbruch des strategischen Handlungsfeldes und Auflösung in unorganisierten sozialen Raum

  3. c.

    Weitere Ausdifferenzierung des strategischen Handlungsfeldes

  4. d.

    Entstehung einer neuen Struktur im strategischen Handlungsfeld (Transformation)

Die Transformation eines Feldes ist verknüpft mit der erfolgreichen Realisierung von radikalen Innovationen – im Gegensatz zu inkrementellen Innovationen. Mit Hilfe eines Zitates von Padgett und McLean – leicht modifiziert – könnte man sagen: „Incremental innovations improve on existing ways, activities, conceptions, and purposes of doing things, while radical innovations change the ways things are done. Under this definition, the key to classifying something as a radical innovation is the degree to which it reverberates out to alter the interacting system of which it is a part“ (vgl. Padgett und MacLean 2006).

Im Hinblick auf die Veränderung von Energiemärkten geht es also um die Frage, wie sich neue Strukturen entwickeln können, bestehende verändert werden oder die Beharrungstendenzen so groß sind, dass die Vorstellungen von einer Transformation des Energiesystems kaum plausibel erscheinen. Die Transformation des Energiesystems soziologisch zu betrachten, müsste also heißen: Wird es neue Routinen der Stromversorgung und -verteilung geben, die sich von den bestehenden, vorfindbaren Formen signifikant unterscheiden? Gibt es auf den neu entstehenden bzw. sich verändernden Märkten neue Bewertungen, neue Wettbewerbsregelungen, neue Formen der Kooperation (vgl. Beckert 2007)?

Neue Strukturen können dabei nie aus dem Nichts entstehen, sondern rekonfigurieren und verändern mehr oder minder intensiv bestehende Elemente oder setzen Existierendes neu zusammen. Das heißt, eine Transformation ist erst einmal (kurzfristig) nur dann vorstellbar, wenn es bereits in der Gegenwart signifikante Ansätze für eine Neuorientierung gibt, die für eine Transformation genutzt werden können.

Märkte werden durch die Entscheidungen von Akteuren, die festlegen, wer unter welchen Bedingungen an Transaktionen beteiligt wird, welche Regeln gelten sollen, wie der Markt beobachtet wird, welche Sanktionen und zu welchen Zeitpunkten diese relevant werden, organisiert. Die Entscheidungen sind mit dafür verantwortlich, dass sich die Strukturen von Märkten erheblich voneinander unterscheiden und sich ebenso distinkte Marktdynamiken herausbilden, die wiederum in Beziehung stehen zu den verschiedenen Typen von Akteuren, die sich auf einem Markt bzw. an dessen Entstehung beteiligen sowie deren Intentionen und Organisationsfähigkeiten.

3 Der deutsche Strommarkt als Feld

Der deutsche Strommarkt befindet sich in einem Prozess der Transformation. Das lässt sich sagen, obwohl es eigentlich nicht „einen“ einheitlichen Markt gibt, sondern eine Vielzahl von Märkten, die nach zum Teil sehr unterschiedlichen Logiken funktionieren. Zu Beginn der 1990er-Jahre war der Markt von etablierten Stromversorgern mit Gebietsmonopolen, großen Kraftwerksblöcken, die mit fossilen Brennstoffen oder Nuklearenergie arbeiteten, und der Dominanz zentralistischer Verteilstrukturen gekennzeichnet. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist er dadurch bestimmt, dass es eine Vielzahl neuer Akteure gibt, die sich um Produktion und Verteilung von Elektrizität kümmern, kleine dezentrale Erzeugungseinheiten, die mit EE arbeiten, „typisch“ geworden sind und dezentralere Architekturen verwirklicht werden.

Es ließen sich noch andere Merkmalsausprägungen nennen, die verdeutlichen, dass wir es mit einem seltenen Fall einer institutionellen Transformation zu tun haben. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie diese Transformation erklärt werden kann. Welche kausalen Pfade haben zur Transformation geführt?

Der Strommarkt hat sich im betrachteten Zeitraum (Ende der 1980er-Jahre bis 2015) nicht in einem stabilen Zustand befunden. Dennoch können Elemente identifiziert werden, die das „traditionelle“ Feld des Strommarkts prägten (vgl. Tab. 1):

Tab. 1 Strategisches Handlungsfeld „Der traditionelle Strommarkt“

Transformation müsste bedeuten, dass sich das durch die in Tab. 1 genannten Merkmale charakterisierbare strategische Handlungsfeld verändert und neue Strukturen entstehen, die sich auf Dauer zu Institutionen verfestigen. Nun sind, wie angedeutet, größere Veränderungen in strategischen Handlungsfeldern selten. Die bestimmenden Akteure im jeweiligen Feld werden versuchen, den Status quo und damit ihre Position im Handlungsfeld zu verteidigen. Die Entwicklung der EE bietet hierfür ein gutes Beispiel. Von Beginn an betrachteten die etablierten Akteure der Elektrizitätsversorgung EE als einen Fremdkörper und eine potenzielle Bedrohung ihrer dominanten Position im Feld, sowie der Orientierung an zentralistischen Strukturen mit großen Kraftwerken. Wie an anderer Stelle gezeigt (Fuchs und Wassermann 2012) schafften es eine Koalition von feldexternen Akteuren unter Ausnutzung einer Veränderung in der politischen Zusammensetzung der Bundesregierung Ende der 1990er-Jahre, eine Nische für die Förderung von EE erneuerbarer Energien einzurichten und das etablierte Regime zumindest in Teilen infrage zu stellen.

Oben haben wir nach Fligstein und McAdam vier Alternativen für die Entwicklung von strategischen Handlungsfeldern identifiziert: a) eine Wiedereinsetzung bzw. Fortführung der alten Ordnung mit einigen Anpassungen; b) einen Zusammenbruch des Handlungsfeldes und seine Auflösung in unorganisierten sozialen Raum; c) eine Ausdifferenzierung des strategischen Handlungsfeldes und d) eine strukturelle Transformation des strategischen Handlungsfeldes. Die Entwicklung der EE entspricht zunächst dem Modell der Ausdifferenzierung. Für die Erneuerbaren Energien entwickelte sich eine neue institutionelle Ebene, die weitgehend unabhängig von den Strukturen der traditionellen Elektrizitätsversorgung funktionierte (vgl. Tab. 2).

Tab. 2 Strategisches Handlungsfeld „Erneuerbare Energien“ (EE)

Mittlerweile befinden sich die EE allerdings nicht mehr in einer Nische. Ihr Anteil an der Elektrizitätsversorgung wächst kontinuierlich und übt damit einen erheblichen Veränderungsdruck auf das etablierte System aus, der noch einmal durch die Energiewende-Entscheidung der Bundesregierung verstärkt wurde (vgl. Abb. 3). Der dezentral generierte Strom muss von den Elektrizitätsversorgern übernommen und mit Priorität verteilt werden. Das heißt bei nur gering steigendem Gesamtverbrauch verringert sich der Anteil an fossil-atomar produzierter Elektrizität, der von den etablierten Energieversorgern zur Verfügung gestellt werden kann, kontinuierlich.

Das heißt auch, dass die Strategie des „institutional layering“ (Thelen 2004) an ihr Ende gekommen ist. Die EE können nicht mehr einfach in ihrer eigenen Welt neben den etablierten Technologien der Elektrizitätserzeugung weiterwachsen. Gerade bei einem stagnierenden oder – wie gehofft – sogar sinkendem Primärenergieverbrauch, haben wir es mit Merkmalen eines Nullsummenspiels zu tun. Energie und die Grundstrukturen des Systems der Stromversorgung und -verteilung müssen thematisiert werden.

Gründe für die ökonomische Betätigung auf diesem Markt durch neue Akteure lagen in den 1990er-Jahren primär in ökologischen Motivationen (gegen Atomkraft, für Klimaschutz), aber auch in Anliegen, die sich gegen den Staat, Großkonzerne und für mehr bürger- und ortsnahe Marktmodelle engagierten. Nach der Etablierung eines neuen Regulierungsrahmens für EE (1998/2000) spielten verschiedene Typen von ökonomischen Motiven (z. B. lokale bzw. regionale Wertschöpfung, ökonomische Revitalisierung von Gemeinden, Energieexport etc.) eine wichtigere Rolle für den Markteintritt von Akteuren. Mittlerweile wurde der Regulierungsrahmen für EE-Märkte so verändert, dass von den Akteuren spezifische Formen von Koordinationshandeln verlangt werden (Teilnahme an Auktionen, Ausschreibungen, längerfristige Planungen, Netzmanagementverpflichtungen), um am Markt teilnehmen zu können, die die ursprünglichen ökologischen und partizipatorischen Intentionen der Beteiligten in den Hintergrund drängen.

4 Phase I: Erste Mobilisierung der Herausforderer und die Formierung der „Incumbents“

In der wissenschaftlichen wie der politischen Diskussion wird die Energiewende in Deutschland oft mit der im Jahr 2011 gefällten Entscheidung der Bundesregierung zum Ausstieg aus der Kernenergie verknüpft. Entsprechend wird auch die Erwartung formuliert, dass es einen Masterplan und detaillierte Vorgaben für die Veränderung des Energiesystems geben müsse. Auch die bislang erfolgreiche Geschichte des zunehmenden Anteils der EE an der Stromerzeugung wird oft als das Ergebnis (guter) politischer Entscheidungen (z. B. Erneuerbare-Energien-Gesetz) interpretiert, die insbesondere auf der Ebene des Bundes gefällt wurden. Dies übersieht aber zweierlei. Zum einen hat die Geschichte der Energiewende ihre Wurzeln bereits in den 1980er-Jahren und in den Diskussionen von gesellschaftlichen Gruppen, die nach Alternativen zur Kernenergie suchten und noch wenig Möglichkeiten direkter politischer Einflussnahme hatten. Zum anderen fanden Experimente mit EE zunächst dezentral und auf lokaler Ebene statt. Es waren Experimente, die sich erheblichen Widerständen vonseiten der etablierten Politik und Energieversorger gegenübersahen. Mit anderen Worten: Die Energiewende wurde zunächst wesentlich von Akteuren auf lokaler und dezentraler Ebene vorangetrieben, die keinem Masterplan folgten, sondern spezifische ortsnahe Formen der Organisation, Mobilisierung und der Umsetzung von technologischen Pfaden wählten, um Veränderungen auf den Energiemärkten herbeizuführen.

4.1 Strommärkte und regionale Versorgungsmonopole

Historisch betrachtet galt in Deutschland der Strommarkt als ein natürliches Monopol. Neun vertikal integrierte Energieversorger stellten Strom in klar voneinander abgegrenzten geografischen Räumen zur Verfügung. Die Energieversorger standen unter direkter staatlicher Aufsicht (vgl. Bontrup und Marquardt 2011). Die neun Energieversorger waren gewissermaßen das Rückgrat eines Systems in dem sich weiterhin 80 regionale Stromversorger und ca. 900 städtische Versorger tummelten. Einige der regionalen Stromversorger hatten auch eigene Erzeugungseinheiten, die meisten städtischen Versorger jedoch nicht. Die Elektrizitätsgewinnung in den 1990er-Jahren basierte im Wesentlichen auf fossilen Brennstoffen und Atomenergie sowie einem kleinen Anteil Wasserkraft (vgl. Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

(Quelle: AG Energiebilanzen e. V. 2015. Auswertungstabellen. http://www.ag-energiebilanzen.de/#20150.803_brd_stromerzeugung1990-2014. Zugegriffen: 19.11.2015)

Elektrizitätsproduktion in Deutschland in Mrd. kWh nach Energieträgern.

Wichtigster Rohstoff für die Generierung von Strom war die Kohle, Steinkohle wie Braunkohle. Die deutsche Steinkohleproduktion wurde als ein Gut von nationalem strategischem Wert betrachtet und bekam seit den 1960er-Jahren Subventionen, da sie sich gegenüber der billiger zu importierendem Kohle als nicht wettbewerbsfähig erwies. Trotzdem sank die Zahl der Kohleminen zwischen 1960 und 1990 von 146 auf 39. Im Jahre 2000 arbeiteten noch 12 und bis 2018 soll die Kohleproduktion gänzlich eingestellt werden, nachdem sowohl das Bundesverfassungsgericht wie die Europäische Kommission die nationalen Subventionen als nicht rechtskonform bezeichnet hatten. Die Verwendung von Kohle für die Stromgewinnung wurde lange Zeit kräftig subventioniert mit 0,4 Mrd. EUR im Jahre 1975 und mehr als 4 Mrd. EUR in den frühen 1990er-Jahren (Jacobssen und Lauber 2006). Die Subventionen machen deutlich, dass die Politik sich gegenüber den Steinkohleproduzenten und den Regionen, in denen diese tätig waren, besonders verpflichtet fühlte. Noch heute (2015) sind die Steinkohlesubventionen der bei weitem größte Subventionsgegenstand in Deutschland. Die günstiger zu produzierende Braunkohle konnte demgegenüber weiterhin zu wettbewerbsfähigen Preisen gefördert werden und behielt ihren Platz als wichtigster einheimischer fossiler Rohstoff in der Energieversorgung (www.kohlestatistik.de.).

Ein zweites wichtiges Fundament stellte die Atomenergie dar. Gegen die Weiterentwicklung der Atomenergie hatte sich allerdings ein breiter gesellschaftlicher Widerstand formiert, der bereits in den 1980er-Jahren quasi zu einem Neubaustopp für Kraftwerke führte. Das Tschernobylunglück verstärkte die negative Einstellung der Bevölkerung gegen die Atomkraft und nicht nur die neu gegründete Partei Die Grünen, sondern auch die SPD begann sich zu einem Ausstieg aus der Atomenergie zu bekennen. Dies hatte jedoch zunächst wenig Einfluss auf die Politik der regierenden konservativ-liberalen Koalition und die großen Energieversorger, die weiterhin fest zur Atomkraft standen.

In dieser Periode zeigten die Marktakteure nur wenig Interesse an EE, die nur geringe Mengen an Elektrizität produzieren konnten und nicht in das Geschäftsmodell passten, das auf großtechnische Lösungen beruhte. Zudem gab es grundsätzliche Vorbehalte bei den Energieversorgern wie in der Politik gegenüber der Leistungsfähigkeit der EE. Pilotprojekte und kleinere Unterstützungsprogramme wurden als Zugeständnisse an die Forderungen einer uneinsichtigen Zivilgesellschaft interpretiert, sollten aber im positiven Sinne dazu dienen, die Ungeeignetheit von Wind und insbesondere Sonne für die Stromerzeugung zu demonstrieren. Als 1990 ein erstes Einspeisegesetz für EE erlassen wurde, wiesen die Energieversorger nicht nur sofort auf die mangelnde Effektivität und die Gefahren für die Netzstabilität hin, sondern gingen auch vor Gerichte (bis hin zum Europäischen Gerichtshof), um die Förderung der EE zu untersagen (Tacke 2004). Parallel dazu entwickelten die Interessenverbände der Industrie Werbekampagnen und Lobbyingstrategien, die darauf zielten, nachzuweisen, dass die EE unzuverlässig und zu teuer seien (Tacke 2004). Die Kampagnen stießen zwar auf wenig Resonanz in der Öffentlichkeit, aber die Regierung spielte mit dem Gedanken, die Regulierungen des ersten Einspeisegesetzes zuungunsten der EE-Akteure zu verschlechtern. Dieses Vorhaben scheiterte zwar (Jacobsson und Lauber 2006), aber eine zukunftsweisende Regulierung, die die Unsicherheit der Akteure über die weitere Entwicklung auf dem Markt verringert hätte, wurde auch nicht etabliert. Das führte zu einem partiellen Exodus von Marktteilnehmern, die die Situation in Deutschland für zu unkalkulierbar hielten und entweder aufgaben oder auf Märkte im Ausland setzten.

4.2 Nischenmärkte für erneuerbare Energien

Vor 1990 nutzten die Energieversorger ihre Monopolposition aus, um unabhängigen Stromproduzenten den Zugang zum Stromnetz zu verwehren (Neukirch 2010). Obwohl EE bis dahin keinen relevanten Anteil am Strommarkt hatten, wurden sie von der Bevölkerung sehr positiv eingeschätzt. Das hatte mehrere Gründe: das allgemein große öffentliche Interesse an Energiefragen seit der Ölkrise, die bereits angesprochene starke Anti-Atomkraft Bewegung und negative Bewertungen der Atomkraft insgesamt und schließlich die Idee, dass EE einen sauberen Weg der Energiegewinnung darstellen könnten (Mautz et al. 2008). Obwohl die konservativ-liberale Regierung kaum Interesse an EE hatte, sah sie sich doch angesichts des öffentlichen Drucks veranlasst, einige kleinere Unterstützungsprogramme für Windräder und Photovoltaik (PV) aufzulegen. Unter den ersten Betreibern von Windrädern waren insbesondere Bauern, umweltorientierte Bürger und kleinere Energieversorger. Mit PV experimentierten Hausbesitzer, die ebenso ökologisch orientiert waren und insbesondere gute Verbindungen zu einschlägigen Forschungseinrichtungen und Umweltverbänden aufwiesen. Eine größere Verbreitung scheiterte jedoch an den unklaren regulatorischen Rahmenbedingungen für die Netzeinspeisung und die damals noch sehr hohen Kosten für die Installationen. Ohne politische Unterstützung für den Aufbau eines neuen Marktes, der es erlauben würde, eine kritische Masse von Installationen zu bauen, ging es nicht. Das war die einhellige Einschätzung von Verbänden und Interessensgruppen, die sich mit dieser Frage beschäftigten (Byzio et al. 2002). Die Opposition im deutschen Bundestag nahm diese Anregungen auf und versuchte mehrfach in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre Gesetzesinitiativen auf den Weg zu bringen. Diese Initiativen scheiterten insbesondere am entschiedenen Widerstand des Wirtschaftsministeriums, das für Energiefragen zuständig war (Jacobsson und Lauber 2006). Im Jahre 1990 gelang es jedoch durch neuerliche Lobbying-Arbeit und die Bildung einer breiten Unterstützerkoalition, die über die grünen Interessen hinausging (und z. B. den VDMA einschloss), ein erstes Stromeinspeisegesetz für EE zu verabschieden. Der Widerstand der Regierung und der Energieversorger war verhalten. Dies ist nicht nur auf die vermutete geringe Bedeutung des Gesetzes zurückzuführen und die Erwartung, dass wie angesprochen, Versuchsinstallationen eher zeigen würden, dass EE keine realistische Alternativen darstellen, sondern auch deswegen, weil Regierung und Energieversorger mit der Erschließung der Märkte in den neuen Bundesländern beschäftigt waren. Dort ergaben sich unerwartete Wachstumsmöglichkeiten, da die Energieversorgung in den neuen Bundesländern nach dem Schema der alten Bundesländer umgebaut werden sollte. Die Regierung sah das Gesetz auch als eine Möglichkeit an, kurz vor den anstehenden Bundestagswahlen ihr Image aufzupolieren. Die etablierten Energieversorger gingen davon das, dass nur eine zu vernachlässigende Menge an Strom in das Netz eingespeist werden würde (Jacobsson und Lauber 2006). Noch im Jahre 1994 verkündete die damalige Umweltministerin Angela Merkel, dass EE niemals einen höheren Beitrag als 4 % für die nationale Stromversorgung liefern könnten (Lauber und Jacobsson 2013).

Die etablierten Akteure irrten sich aber. Das erste Einspeisegesetz wurde von den interessierten Akteuren als eine Chance betrachtet, die Vorstellungen über eine Transformation des Strommarktes in die Realität umzusetzen. Das Gesetz sah vor, dass Anlagen, die EE zur Stromgewinnung benutzen, an das Netz angeschlossen werden können und setzte auch einen Preis für den eingespeisten Strom fest. Das Gesetz sah auch vor, dass die etablierten Monopolanbieter nicht direkt von den finanziellen Unterstützungen für EE profitieren konnten.

Für die Anbieter von Windstrom war der festgelegte Einspeisungstarif zunächst hoch genug, um ökonomisch profitabel Anlagen zu betreiben (Byzio et al. 2002). Dies trug dazu bei, dass die Windenergie in den folgenden Jahren auf einem niederen Niveau kontinuierlich ausgebaut wurde. Viele der kleinen nun entstehenden Windkraftanlagen wurden von Gruppen von Bürgern betrieben, viele von ihnen kamen aus der Anti-AKW Bewegung. Sie waren davon überzeugt, dass es nicht ausreicht nur gegen Atomkraft zu sein, sondern es auch notwendig sei, eine realistische Alternative zu entwickeln (Byzio et al. 2002). Mitte der 1990er-Jahre bekam die Windkraftentwicklung einen zusätzlichen Push durch die Erfolge der deutschen Turbinenbauer, z. B. Enercon, Husumer Schiffswerft, Tacke (Neukirch 2010). Die mit wirtschaftsstrukturellen Problemen kämpfenden Regionen im Norden Deutschlands interessierten sich nun aus industriepolitischen Gründen für diese Technologie.

Die Situation für die PV war schwieriger. Die vom Gesetzgeber vorgegebenen, zu niedrigen Einspeisetarife, erlaubten keine ökonomisch sinnvolle Anwendung. Trotzdem wurden die bereit gestellten Fördergelder für Photovoltaik-Installationen schnell überzeichnet und trotz der Unrentabilität der Stromgewinnung entstanden vielerorts Pilotanlagen. Das 1000 Dächer Programm half dabei mit, 5,3 MW an Anlagenkapazität zu installieren, wurde aber 1993 wieder beendet (Jacobsson und Lauber 2006). Große Solarproduzenten wie Siemens verließen Deutschland Mitte der 1990er-Jahre und andere Firmen drohten damit, es ihnen gleich zu tun. In dieser für die Entwicklung der PV kritischen Zeit, versuchten insbesondere NGOs wie Greenpeace zu zeigen, dass sich PV, sinnvoll gefördert, tatsächlich ökonomisch profitabel in Deutschland herstellen und installieren ließe. Die Hoffnung war, dass wie bei der Windenergie der Verweis auf Kompetenzen im industriellen Bereich eine Erleichterung beim Aufbau eines Marktes für PV bedeuten könnte (Fuchs und Wassermann 2008).

Der Biogas-Markt entwickelte sich noch einmal anders. Auch für Biogas war der vorgesehene Einspeisetarif zu niedrig, um zu einer realistischen Alternative für ökologisch motivierte Interessenten zu werden. Hier waren es ökologisch motivierte Bauern wie die „Bundschuh-Biogasgruppe“, die ihre eigenen Anlagen bauten, um Energie zu produzieren (vgl. Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

(Quelle: AG Energiebilanzen e. V. 2015. Auswertungstabellen. http://www.ag-energiebilanzen.de/#20150.803_brd_stromerzeugung1990-1997. Zugegriffen: 19.11.2015)

Stromproduktion in Deutschland in Mrd. kWh (1990–1997) nach Energieträger.

5 Phase II: Dynamisches Wachstum, schnelle Expansion und Differenzierung der Märkte

5.1 Liberalisierung der Energiemärkte

Das Jahr 1998 läutete die Liberalisierung des deutschen Energiemarktes ein. Dies bedeutete, dass die Monopolsituation für die Energieversorger aufgehoben wurde und sie mittelfristig ihr Netzgeschäft von dem Verteilgeschäft trennen mussten. Für die Übertragungsnetze wurden vier Lizenzen an Unternehmen(skonsortien) vergeben, die jeweils für ein abgegrenztes Versorgungsgebiet die Netze verwalten und ausbauen sollten. Auf der Verteilebene bildeten sich mit politischer Unterstützung vier große Energieversorger heraus (EnBW, EON, RWE, Vattenfall), die die meisten der kleinen Energieversorger aufkauften. 2004 waren die „großen Vier“ bereits für 90 % des in Deutschland generierten Stroms verantwortlich (Bundesnetzagentur 2007). In Fällen, in denen Konkurrenten nicht aufgekauft werden konnten, versuchten die Versorger über Beteiligungen ihren Einfluss auszudehnen (Bontrup und Marquardt 2011). Nachdem der deutsche Markt unter den „großen Vier“ quasi aufgeteilt war, wendeten sie sich in ihren Wachstumsbemühungen auf der internationalen Ebene zu. Das anhaltende Wachstum trug dazu bei, dass der Wert der Firmen an den Börsen bis 2006 kontinuierlich anstieg (vgl. Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

(Quelle: Finanzen.net 2015. Börsenspiel. Aktienkurse der Energieversorger. http://www.finanzen.net/aktienkurse. Zugegriffen: 12.11.2015)

Aktiennotierungen der Energieversorger RWE, E.ON und EnBW.

Die dem Wachstum zugrunde liegenden Geschäftsmodelle konzentrierten sich weiterhin auf die Nutzung großer Kohle- und Gaskraftwerke sowie den Weiterbetrieb der alten Atomkraftwerke. Investitionen in EE in Deutschland stellten für die „großen Vier“ keine realistische Option dar (Pahle 2010).

Die Subventionen für Kohle sanken von 44,5 Mrd. im Jahr 2000 auf 25 Mrd. EUR im Jahr 2013 (vgl. 13 Subventionsbericht der Bundesregierung), stellten aber immer noch eine substanzielle staatliche Unterstützung dar. Das 2005 ins Leben gerufene „European Emissions Trading System“ wurde von den Kohlekraftwerksbetreibern zunächst als eine potenzielle Bedrohung wahrgenommen, da es zu einer Kostenerhöhung bei der konventionellen Produktion hätte führen können. Die Energieversorger begannen auf den „Carbon Capture & Storage“ (CCS) Zug aufzuspringen und investierten in entsprechende Forschung und Pilotprojekte, die von der Bundesregierung unterstützt wurden und für die auch die EU Gelder anvisiert hatte (Fuchs 2015). CCS versprach eine signifikante Senkung der CO2-Emissionen und gleichzeitig waren Erwartungen an den potenziellen Export der Technologie in kohleabhängige Länder wie China und Indien damit verbunden. Die zunächst insbesondere auf internationaler und EU Ebene vorangetriebene CCS Option fand schnell Eingang in nationale Pläne und Zielvorstellungen (Schreiber et al. 2010).

Die Atomenergie sah sich in der Phase wachsenden Widerständen ausgesetzt. Die 1998 neu formierte rot-grüne Koalition hatte sich einen Atomausstieg auf die Fahnen geschrieben und begann Verhandlungen mit den Energieversorgern, die im Jahre 2000 zum sogenannten Atomkonsens und einem entsprechend angepassten Atomgesetz (2002) führten. Der Atomkompromiss sah vor, dass die Atomenergie sukzessive aus dem deutschen System der Stromgewinnung herausgenommen werden würde. Die Energieversorger stimmten unter großen Vorbehalten zu, gingen aber davon aus, dass eine neue Regierung die Laufzeitbeschränkungen wieder einkassieren würde. Insbesondere nach Bildung der schwarz-gelben Koalition forcierten sowohl die neue Regierung wie die Energieversorger die Vorstellung von Atomkraft als Brückentechnologie. Das heißt, bis realistische Alternativen vorhanden seien, müsse die Atomkraft weiter als legitime Option behandelt werden. Dementsprechend verlängerte die neue Bundesregierung die Laufzeit der Atomkraftwerke wieder.

Parallel dazu wuchs aber der Anteil der EE an der Stromgewinnung sehr schnell von 4,7 %im Jahr 1998 auf 15,9 % im Jahr 2009 (vgl. Abb. 1). Da das EEG die Priorität der Einspeisung von EE nach wie vor verlangte, wurde den Energieversorgern langsam bange vor der wachsenden Konkurrenz. Sie versuchten verstärkt, die EE als nicht marktkonform, zu teuer und Arbeitsplätze gefährdend darzustellen (vgl. Kungl 2014).

Den PR-Strategien der Energieversorger wirkte das steigende Interesse der Öffentlichkeit an Klimafragen entgegen. Lange vor Fukushima wurde dadurch ein Duck aufgebaut, nach Lösungen zu suchen, das Stromgewinnungs- und -verteilungssystem klimaneutral umzubauen.

5.2 Ein Markt für Erneuerbare Energien

Im Jahre 2000 veröffentlichte die rot-grüne Bundesregierung ein Klimaschutzprogramm, das u. a. vorsah, dass der Anteil der EE am Stromgestehungsmix bis zum Jahre 2010 auf 10 % steigen solle. Bereits zwei Jahre später wurde das Ziel auf 12,5 % angehoben und eine Marke von 60 % für das Jahr 2050 anvisiert (Jacobsson und Lauber 2006). Um diese Ziele zu erreichen, wurde ebenfalls im Jahre 2000 das EEG verabschiedet, das die Netzbetreiber dazu verpflichtete, Strom aus EE-Anlagen mit Priorität einzuspeisen. Es legte neue, angehobene Vergütungen für die eingespeiste Energie für einen Zeitraum von 20 Jahren fest, um dadurch Planungs- und Investitionssicherheit zu ermöglichen und passte die zu bezahlenden Vergütungen an den jeweiligen Entwicklungsstand der Technologien an. Das heißt etwa, dass im Fall der PV Vergütungen angesetzt wurden, die nun einen ökonomisch sinnvollen Betrieb entsprechender Anlagen ermöglichten.

Das EEG knüpfte an Vorläuferlösungen an, mit denen in den 1990er-Jahren auf lokaler Ebene experimentiert worden war (z. B. in Aachen, Freising, Hammelburg). Das EEG war auch das Resultat einer effektiven Koalitionsbildung verschiedener Interessensgruppen und Verbände aus dem Umweltbereich, aber auch der Industrie (z. B. Eurosolar, Förderverein Solarenergie, Greenpeace, PV-Unternehmen und ihre Verbände, weitere Industrieverbände aus dem Metallbereich und Maschinenbau, vgl. Jacobsson und Lauber 2006; Fuchs und Wassermann 2008).

Administrativ wurde die Entwicklung von regulatorischen Lösungen, die den EE-Markt begünstigten auch dadurch vorangetrieben, dass die entsprechenden Kompetenzen 2002 vom Wirtschafts- ins Umweltministerium verlagert wurden.

In der Folgezeit wurde das EEG regelmäßig an sich verändernde Rahmenbedingungen und wechselnde politische Prioritäten angepasst (vgl. Hoppmann et al. 2014). Durch kleinere und größere Veränderungen, insbesondere in den Jahren 2004, 2009, 2012 und 2014, wurde aus einer kleinen und handlichen Marktregulierung ein nur mehr für Experten und Anwälte durchschaubares komplexes Regulierungsinstrument, dessen Ziel am Ende eine Begrenzung des als unkontrollierbar betrachteten Marktwachstums wurde. Über die Jahre hinweg wurden die finanziellen Anreize für den Bau von EE-Installation kleinerer Anbieter signifikant verschlechtert. Die Förderung konzentrierte sich zunehmend auf größere Einheiten (Offshore Windparks, Solar-Farmen an Autobahnen und Konversionsflächen etc.). Gleichzeitig wurde der Vergütungsmechanismus in einer Weise verändert, dass private Haushalte in zunehmendem Maße die Kosten des Ausbaus der EE ebenso wie die Kosten für die Ausnahmeregelungen für industrielle Anwender zu zahlen hatten. Das führte zu einer insbesondere von den Energieversorgern und der Bundesregierung inszenierten Diskussion über die nicht tolerierbare Belastung privater Haushalte durch die EE-Förderung. Trotz der Diskussionen blieb die Unterstützung der EE in der Bevölkerung aber konstant hoch.

Die Expansion des EE-Sektors ging einher mit einer Veränderung von Motivationslagen und den Akteurstypen am Markt. Mautz et al. (2008) sprechen von einer sozialen Öffnung, die das Resultat der wachsenden Zahl neuer Marktakteure und der Schaffung verschiedenster Verbände und Interessengruppen war.

Die etablierten Energieversorger betrachteten die EE nach wie vor als eine irrelevante Größe und spielten daher bei der Marktentwicklung kaum eine Rolle. EE blieben das Anliegen neuer Marktakteure, die insbesondere kleinere Anlangen bauten.

Die Märkte für die verschiedenen EE entwickelten sich aber trotzdem leicht unterschiedlich:

  1. a)

    Onshore Wind wuchs mehr oder weniger kontinuierlich, wobei die ökonomische Motivation für den Bau von Anlagen eine entscheidende Rolle spielte. Das heißt, Projektierer und Investment-Gesellschaften gewannen an Bedeutung. Die Windmarkt professionalisierte sich, während die Heterogenität der Akteure abnahm (Bruns et al. 2010).

  2. b)

    Biomasse wurde insbesondere von den städtischen Energieversorgern vorangetrieben (trend:research 2011). Einige der städtischen Energieversorger bildeten in der Folgezeit Allianzen und versuchten Druck gegenüber der marktbeherrschenden Stellung der „großen Vier“ aufzubauen (Bontrup und Marquardt 2011).

  3. c)

    Biogas wuchs nach 2002 langsam und dynamischer ab 2006 (vgl. Abb. 2). Bei Biogas waren es Bauern, die die Marktentwicklung vorantrieben. Die EEG Änderungen von 2004 boten attraktivere Förderbedingungen.

  4. d)

    PV, die 1999 durch das sogenannte 100.000 Dächer Programm gefördert worden war, wuchs langsam nach 2000 und dynamisch nach 2006. Die für die Expansion relevanten Akteure differierten entsprechend der jeweiligen Marktsegmente. Kleinere Anlagen wurden insbesondere von Einzelpersonen gebaut. Größere Einheiten wurden in dieser Phase verstärkt von Bauern installiert (auf Feldern und Scheunendächern) und ein sich langsam entwickelndes Interesse an Solarfarmen wurde von Projektentwicklern befriedigt (Dewald und Truffer 2011). PV wurde in diesen Jahren zu einer Erfolgsgeschichte, die stark von öffentlicher Unterstützung und Interesse profitierte. Ein wichtiges Element hierbei war der Erfolg der einheimischen PV-Industrie, deren Umsätze von 201 Mio. EUR im Jahre 2000 auf 7 Mrd. EUR in Jahre 2008 anwuchsen. Die Exporte wuchsen entsprechend von 273 Mio. EUR im Jahre 2004 auf ca. 5 Mrd. 2010 (BSW- Solar 2014).

Die nun in großer Zahl startenden Energieinitiativen stellten ökonomische Überlegungen stärker in den Mittelpunkt als ihre Vorgänger (s. Tab. 3). Externe Mobilisierer (wie z. B. Projektierer, überregional agierende Firmen) begannen eine Rolle zu spielen und es lassen sich verschiedene Typen von Initiativen identifizieren. Die Veränderung drückt sich auch in einigen strukturellen Charakteristika der Initiativen aus. Während die früheren Versuche eher in wirtschaftlich prosperierenden Gemeinden stattfanden, gab es nun eine Vielzahl von Initiativen gerade in ökonomisch strukturschwachen Gegenden mit dem Ziel, die lokale Ökonomie zu beflügeln und die Gemeinde durch Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel zu reaktivieren.

Tab. 3 Zwei Logiken lokaler Mobilisierung

Die Rolle von externen Mobilisierern wurde generell wichtiger. Mit voranschreitender Formierung des Feldes „dezentrale Energiegewinnung“ ging eine Professionalisierungstendenz einher. Das heißt, spezialisiertes Wissen entstand, das von Beratern, Projektierern und interessierten Firmen in die Fläche getragen wurde und damit zu einer gewissen Vereinheitlichung bei den Planungen der dezentralen Initiativen führte. Zum anderen formulierten potenzielle Geldgeber Erwartungen im Hinblick auf Form und Inhalt von Konzepten dezentraler Energieversorgung, die eine Förderung bekommen sollen. Auch dies trug dazu bei, dass geförderte Initiativen sich in Legitimation und Organisation stärker ähnelten als die frühen Versuche (vgl. auch Fuchs und Hinderer 2014).

6 Phase III: Energiewende als politisches Programm, Incumbents und Herausforderer ratlos

6.1 Energiewende-Entscheidung und der Ausstieg aus der Kernenergie

Nach 2008 veränderten sich sowohl die Rahmenbedingungen für die etablierten Energieversorger wie für die EE-Akteure. Rein zahlenmäßig lässt sich zunächst sehr schön zeigen, dass die Projektionen des EE-Wachstums der Bundesregierung durch die Wirklichkeit eingeholt wurden und damit die EE zu einer zunehmenden Bedrohung für die etablierten Energieversorger wurden. Das EE-Wachstum reduzierte kontinuierlich den Marktanteil der Incumbents und aufgrund regulatorischer Veränderungen wurde der von den Energieversorgern angebotene Strom auf dem Spotmarkt zu teuer. Das war ein nicht-intendierter, aber trotzdem entscheidender Effekt. Zum anderen hatten sich auch die globalen Bedingungen für die Energieversorger gewandelt. Im Zuge der weltweiten Finanzkrise erwiesen sich ihre Auslandsaktivitäten überwiegend als Fehlinvestitionen. In der Folge sank der Aktienkurs der Energieversorger zwischen 2008 und 2013 um 60–70 % (vgl. Abb. 3).

Schließlich wurde der zwischen rot-grüner Regierungskoalition und Energieversorgern ausgehandelte Atomausstiegsbeschluss von der konservativ-liberalen Koalition wieder zurückgenommen. Dies führte zwar zu zunächst starken, erfolglosen öffentlichen Protesten, die aber nach den Fukushima-Unglück (2011) wesentlich dazu beitrugen, dass die Regierung erneut ihren Kurs änderte und nunmehr einen beschleunigten Ausstieg aus der Atomenergie dekretierte. Acht der 17 sich im Betrieb befindlichen Atomkraftwerke mussten sofort abgeschaltet werden, die anderen sollten sukzessive folgen.

Die „Energiewende-Entscheidung“ ließ aber zunächst offen, wie der zukünftige Markt für Stromgewinnung aussehen sollte. Die Regierung reagierte auf den Atombeschluss nicht mit einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für das Wachstum der EE – eher das Gegenteil passierte. Dies brachte die Regierung in ein erhebliches Dilemma, da das Abschalten der Atomkraftwerke zu einer steigenden Nutzung von Kohle führte und damit zu einem vermehrten CO2-Ausstoß. Hinzu kam, dass die CCS-Aktivitäten von Bundesregierung und Energieversogern, die Kohlekraftwerke klimaverträglicher machen sollten, praktisch eingestellt wurden, da es aufgrund von Protesten der Bevölkerung und der folgenden Weigerung von Landesregierungen, in für CCS-geeigneten Ländern, Vorhaben zu unterstützen, praktisch zu einem Entwicklungsstopp kam (Pietzner und Schumann 2012). RWE musste einen Antrag auf EU-Unterstützung für Demonstrationsprojekte zurückziehen, da es nicht das Vorhandensein von geeigneten Lagerstätten für das abgeschiedene CO2 nachweisen konnte. Nach einer enttäuschenden Gesetzesvorlage im Jahre 2012 stellte auch Vattenfall seine CCS-Aktivitäten in Deutschland ein. Die wachsende Nutzung von billiger einheimischer Braunkohle, importierter Steinkohle und das Abschalten hochmoderner, aber teurer Gaskraftwerke führten dazu, dass der CO2-Ausstoß anwuchs.

Die etablierten Energieversorger reagierten auf die neue Situation mit unterschiedlichen Taktiken. Zunächst beschlossen die „großen Vier“ Kostenreduzierungsprogramme, stießen unrentable Geschäftsteile ab und reduzierten Beschäftigung (Kungl 2015). Zweitens versuchten sie neue Geschäftsfelder wie Dienstleistungsangebote und die Produktion mithilfe EE zu entwickeln. Quantitativ gesehen blieb dies aber zunächst relativ bescheiden. Lediglich 6,5 % der deutsche EE-Kapazität wurden von den „großen Vier“ zur Verfügung gestellt (trend:research 2011). Drittens wurde eine Reihe von diskursiven Strategien entwickelt, die die Förderung der EE delegitimieren sollten. Dies bezog sich auf die finanzielle Seite, das heißt die Kosten der EE-Förderung und die damit verbundene Steigerung der Kosten für Strom für private Haushalte (Hoppmann et al. 2014). Des Weiteren wurde nach wie vor auf die steigende Volatilität der Stromeinspeisung der Netze verwiesen und das damit verbundene Risiko von Blackouts und sinkender Systemstabilität. Schließlich wurde argumentiert, dass die fluktuierende Stromproduktion durch EE die Marktintegration und damit das normale Funktionieren eines Marktes behindern würde.

Die Strategien zeigten auf politischer Ebene Wirkung. Die FDP führte eine Diskussion um die gänzliche Abschaffung des EEG und konnte zumindest als Erfolg verbuchen, dass die Anpassungen von 2012 zu finanziellen Verschlechterungen für die EE-Interessenten führten, was zu einer erheblicher Verunsicherung bei den Investoren führte (Stegen und Seel 2013). Mit dem Ziel eine „marktorientiertere Regulierung“ anzustreben, wurden die Bedingungen 2014 noch einmal verschärft und die Realisierbarkeit vieler geplanter EE-Projekte nachhaltig in Zweifel gezogen. Dies spiegelte sich insbesondere an den unter den Erwartungen zurückbleibenden PV-Ausbauzahlen wider. Von den EE-Interessenten wurde nicht nur erwartet, dass sie mit niedrigeren Entschädigungen kalkulieren müssen, sondern es wurden auch Erwartungen hinsichtlich Direktvermarktung und Anforderungen an das Netzmanagement formuliert, die die EE-Betreiber erfüllen mussten. Dies stellt insbesondere die kleinen EE-Produzenten vor große Herausforderungen, die bislang für die Dynamik auf dem relevanten Markt verantwortlich waren. Die Energieversorger versuchten zudem die günstige Situation weiter für sich zu instrumentalisieren, in dem sie eine Diskussion um sogenannte Kapazitätsmärkte vorantrieben. Die Diskussion führte zwar bislang zu keiner gesetzlichen Regelung, einige Kraftwerke wurden trotzdem quasi in Zwangsbetrieb übernommen.

Insgesamt veranslasste das unerwartet starke Wachstum der EE-Branche, insbesondere PV, die politischen Akteure wachstumshemmende Maßnahmen einzuleiten und auf die Problemsicht der traditionellen Energieversorger einzugehen. Die Energieversorger versuchen ihre Position zu stärken, indem sie nunmehr auf den komplementären Charakter von EE und konventionellen Energieträgern verweisen. Ein Sinnbild der wieder veränderten Situation ist sicherlich auch, dass 2014 alle Energiekompetenzen in das Wirtschaftsministerium zurückverlagert wurden.

6.2 Frustrierte EE-Märkte

Die voranschreitende Expansion der EE von 14,5 % (2008) auf 26,2 % (2014) am Stromgestehungsmix war begleitet von einer kontinuierlichen Erweiterung des Akteurspektrums. Städtische Energieversorger etwa nutzten das „window of opportunity“, um sich eine stärkere und unabhängigere Stellung auf dem Energiemarkt zu verschaffen. Das betrifft nicht nur die bereits existierenden Energieversorger. In den letzten Jahren (2008–2012) wurden mehrere hundert regionale Energieversorger neu gegründet (Berlo und Wagner 2013).

Für die neu gegründeten Energieversorger spielten die ökonomischen Potenziale ebenso eine Rolle wie die Unterstützung der Bevölkerung, die positiv gegenüber den EE eingestellt blieb und eine negative Haltung gegenüber den großen Energieversorgern zeigte. Mehrere Bürgerbegehren zielten auf eine Rekommunalisierung der Energieversorgung und -verteilung, zum Teil nicht nur gegen den Widerstand der Energieversorger, sondern auch den der jeweiligen politischen Mehrheiten (Scheer et al. 2013). Ein Zeichen für die Mobilisierungsbereitschaft war auch die große Zahl von Energiekooperativen, die in diesem Zeitraum gegründet wurden. 2012 wurden 754 Energiekooperativen gezählt, von denen alleine in selben Jahr 199 gegründet worden waren (Holstenkamp und Müller 2013). Tab. 4 verdeutlicht die breite Eigentümerbasis der EE-Anlagen in Deutschland.

Tab. 4 Eigentümerstrukturen bei unterschiedlichen EE in Deutschland.

EE konnten bis 2012 nicht nur von den günstigen Förderbedingungen profitieren, sondern wurde auch von einem nicht zu erwartenden rapiden Preisverfall bei der Hardware unterstützt (PV Module und Windräder) – ein Preisverfall, der schneller voran ging als von der Regierung erwartet und damit ihre Berechnungen regelmäßig konterkarierte.

Die Marktentwicklung in den einzelnen Segmenten stellte sich folgendermaßen dar:

  1. a)

    Onshore Wind befand sich, unterstützt von einem breiten Set von Akteuren (Energieversorgern, Kooperativen, Investoren), auf einem kontinuierlichen Wachstumspfad.

  2. b)

    Biogas wuchs ebenso, da die EEG-Tarife eine größere Zahl von Bauern ansprachen und die Bauernverbände zunächst auch noch logistische Unterstützung anboten (Hahn et al. 2014). Die 2012 durchgeführten EEG-Anpassungen (geringere finanzielle Anreize, erhöhte logistische Anforderungen), ebenso wie eine mittlerweile negative Einstellung der Bauernverbände zu Energieaktivitäten, verlangsamten das Wachstum (Fachverband Biogas 2014).

  3. c)

    Die PV zeigte anfänglich noch ein weit stärker als erwartetes Wachstum (von 6,6 Mrd. kWh im Jahr 2009 auf 30 Mrd. kWh im Jahr 2013), das im Kontext einer positiven öffentlichen Wahrnehmung von PV und EEG-Unterstützung zu verstehen ist und von einer rapiden Produktion der Hardware-Kosten, insbesondere in China, und dem Import von preisgünstigen Modulen profitierte. Zudem hat sich in Deutschland eine PV-Unterstützungsinfrastruktur etabliert, die die Installation und Wartung von Modulen billiger und letztendlich auch die Stromproduktion günstiger macht als in Ländern mit höherer Sonneneinstrahlung. Die billigen chinesischen Importe führten jedoch zu enormen Problemen für die deutschen PV-Hardware-Produzenten. Sowohl auf den Weltmärkten wie auch auf dem heimischen Markt konnten sie immer weniger ihrer Produkte verkaufen, was innerhalb kurzer Zeit zu einem Niedergang der Industrie und einem erheblichen Verlust von Arbeitsplätzen führte. Gleichzeitig ging damit ein Bedeutungsverlust der PV-Unterstützerkoalition einher: die industriellen Akteure verschwanden und Landes- und Regionalpolitiker, die PV aus industriepolitischen Gründen unterstützt hatten, sahen ihre Felle davonschwimmen. Die Bundesregierung verfolgte diese Prozesse mit Wohlgefallen. Sie erteilte nicht nur vielen im In- und Ausland erhobenen Forderungen nach Strafzöllen auf chinesische Produkte eine Absage, sondern sah es auch sonst als unnötig an, der PV-Industrie unterstützend unter die Arme zu greifen. Der für EE zuständige Umweltminister wies darauf hin, dass die Förderung von EE nicht Teil der Hightech-Strategie der Bundesregierung sei. EE-Vertreter beklagten, dass sie keinen Zugang mehr zu den Ministerien hätten. Deren Augenmerk konzentrierte sich auf eine Lösung der Probleme der „großen Vier“. Nach 2012 erreichte die Bundesregierung ihr Ziel, das Wachstum der PV so stark zu reduzieren, dass es sogar hinter den niedrig angesetzten offiziellen Erwartungen zurückblieb.

Ein wichtiges Element der Strategie Großakteure und auch die Energieversorger an der Umgestaltung des Energiesystems zu beteiligen, wurde von der Bundesregierung in einem forcierten Ausbau der Offshore Windenergie gesehen. Offshore Windenergie schien aufgrund des großtechnologischen Charakters, der hohen finanziellen Aufwendungen und der langen Planungshorizonte gut in das Geschäftsfeld der etablierten Energieversorger zu passen. Erste Planungen der rot-grünen Koalition wurden 2010 noch einmal stark erweitert, obwohl es sich bei Offshore Wind um die mit Abstand teuerste Form der Stromgewinnung mit EE handelt. Trotzdem konnte die Offshore Windenergie aus verschiedenen Gründen die Erwartungen bislang nicht vollständig erfüllen und die Bundesregierung reduzierte Förderungen und Planungen im Jahre 2015 wieder erheblich (Tab. 5).

Tab. 5 Akteurskonstellationen in den drei Phasen der Entwicklung des deutschen Markts der Stromerzeugung und -verteilung

7 Zusammenfassung

Der Beitrag rekonstruierte den Prozess der Entwicklung des deutschen Marktes bzw. der Märkte für Stromerzeugung und -verteilung. Bei den Veränderungen der einschlägigen Märkte ging es darum, wer als legitimer Akteur auf dem Markt agieren kann und darf, welchen (wirtschaftspolitischen) Zielen die Entwicklung der Märkte folgen sollte, welche Güter auf welche Art und Weise legitim gehandelt werden dürfen und welche technische Infrastruktur letztendlich als Rückgrat für die Marktaktivitäten entsteht. Inhaltlich ging es dabei um die Frage, welche Rolle EE im deutschen Strommix spielen sollen und welche Architektur das System der Stromgewinnung und -verteilung erhalten soll (dezentral vs. zentral).

In zugespitzter Form haben wir zwischen „Incumbents“ unterschieden, die im Wesentlichen die tradierte Form der Stromgewinnung und -verteilung repräsentieren (fossile Energieträger, Atomkraft, zentrale Architekturen) und Herausfordererakteuren, die in allen wichtigen Belangen eine konträre Position vertreten (EE, dezentrale Architekturen). Wir konnten verfolgen, wie sich anfänglich eher marginale und ressourcenschwache Akteure organisierten, um über die Zeit hinweg die etablierten Akteure und Strukturen nachhaltig herauszufordern. „Incumbents“ wie Herausforderer nutzten „windows of opportunity“, die insbesondere von der Politik auf Druck der Zivilgesellschaft geöffnet wurden. Hierzu zählen die beiden Einspeisegesetze, die Liberalisierung der Märkte, Fukushima. Die Geschichte verdeutlicht auch, dass wir eine emergente und wenig bewusst angeleitete Entwicklung beobachten. Zwar finden Steuerungsversuche statt, die allerdings eine Vielzahl nicht-intendierter Effekte hatten. Insofern kann von einer planvollen Marktkonstruktion kaum die Rede sein.

Aus einer Feldperspektive lässt sich aber klar erkennen, dass wir es bei der Entwicklung des Strommarktes mit einem Beispiel für institutionelle Transformation zu tun haben. Die das Feld dominierenden Akteure haben sich ebenso verändert wie die Erwartungen darüber, wie ein funktionierender Strommarkt aussehen soll und was dort wie gehandelt werden soll. Den Incumbents ist es nicht gelungen, die Entwicklung in einer Art und Weise zu gestalten, die ihre Position im Feld abgesichert hätte. Die etablierten Energieversorger hielten lange an ihrer strategischen Konzentration auf Kernkompetenzen (fossile Kraftwerke, Atomenergie) fest, bis sie durch Veränderungen auf den Weltmärkten (Finanzkrise und abnehmender Bedarf an Strom) und politische Entscheidungen („Energiewende“) zu einer Umorientierung gezwungen wurden, auf die sie nicht hinreichend vorbereitet waren.

Aber auch die Herausforderer konnten ihre ursprünglichen Vorstellungen von einem dezentralisierten, basisdemokratischen Energiesystem nur partiell verwirklichen. Zwar waren sie erfolgreich bei der Realisierung des Zieles, EE zu etablieren, die Frage der Architektur des zukünftigen Systems dürfte aber eher gegen ihre Vorstellungen beantwortet werden. Zudem sind die Akteure, die EE in den 1990er-Jahren vorantrieben und unterstützten nicht mehr identisch mit den momentan Aktiven.

Entscheidende regulatorische Rahmenbedingungen für die Entwicklung des Strommarktes wurden von der Bundesregierung formuliert, die diachron wie synchron streckenweise widersprüchliche Ziele verfolgte. Trotz einiger Initiativen waren die 1990er-Jahren insbesondere gekennzeichnet durch die restriktive Haltung des Bundeswirtschaftsministeriums gegenüber einer Förderung der EE. Nach 1998 forcierte das Wirtschaftsministerium die Etablierung eines oligopolistisch strukturierten Energiemarktes, während speziell das Umweltministerium die Förderung EE auf dezentraler Ebene vorantrieb. Mit der Konzentration aller Energiekompetenzen im Wirtschaftsministerium der Großen Koalition steht nunmehr die Etablierung eines neuen Marktrahmens auf dem Programm.

Momentan (2015) ist der Strommarkt dadurch gekennzeichnet, dass ihm eine stabile soziale Struktur fehlt. Die alten Incumbents kämpfen um ihr Überleben. Die ehemaligen Herausforderer haben zwar das Ziel einer Reorientierung des Energiesystems auf EE realisiert, wer aber die weitere Entwicklung prägen wird und wie sich Herausforderer-Incumbent-Relationen dadurch verändern, ist offen.