Zusammenfassung
True Detective, so der Gedanke der folgenden Überlegungen, nutzt die Miniserie als geschlossene, serielle Erzählform an der Schwelle zum posttelevisuellen Zeitalter als ein ,visuelles Laboratorium‘. Konkret stellt die Serie die von Stanley Cavell konstatierten Sehpraxen des Monitorings und des Viewings gegenüber. Während Monitoring als Überwachen und ungefiltertes Im-Blick-Haben der Medialität des Fernsehens angehört, ist diesem das Viewing als Beobachten, als Sichtbar-Werden-Lassen gegenübergestellt.
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Notes
- 1.
In Anlehnung an den von Néstor García Canclini geprägten Begriff eines „semiotischen Laboratoriums“, das eine strukturelle „multitemporale Heterogenität“ erzeugt (vgl. Canclini 2005).
- 2.
„When the company started in 1996, feature films drove title-sequence work, but the money and effort these days goes into series made by premium cable channels such as HBO, Starz and Netflix, Houghton says. […]. These shows live longer than a box-office weekend-rider, and it allows us the opportunity to play it out a lot longer because people revisit it and reconnect with the show in ways that you don’t do with features any more“ (Clair 2015).
- 3.
Prokic und Schlicker Typoskript.
- 4.
„[T]he spiked heels of a stripper and the skin of her backside were built in 3D“ (Kalina 2015).
- 5.
Richard Misrach zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen Landschaftsfotografen der USA. In Zusammenarbeit mit der Landschaftsarchitektin Kate Orff initiierte er 2012 den Katalog und die Ausstellung Petrochemical America, die sich mit den Umwelt- und Gesundheitsproblemen im Zusammenhang mit der Abhängigkeit von Öl-Gewinnung auseinandersetzen. Vgl. https://fraenkelgallery.com/artists/richard-misrach (zuletzt 7.06.2015).
- 6.
Dramaturgisch erlaubt die Errettung der (fast) toten Kinder einen Vergleich mit Brian de Palmas Casualities of War (1989). Hier kommt es während des Vietnamkriegs zu einem erfolglosen Versuch, eine von Vergewaltigung und Missbrauch gezeichnete Vietnamesin zu retten. Michael J. Fox in der Rolle des scheiternden Retters erscheint ähnlich wie die zwei Detectives am Ende des Films als Held, obwohl er versagt hat. Seine Heldenhaftigkeit ist eine der Nachträglichkeit. Für diesen Hinweis danke ich Ivo Ritzer.
- 7.
E.T.A. Hoffmanns Fräulein von Scuderi bildet den Auftakt des Detektivmotivs in der deutschen und, wie Kittler behauptet, in der Weltliteratur (vgl. Kittler 1991).
- 8.
Der Inszenierungs-Topos dieser Doppelgesichtigkeit von Rust und Marty findet sich übrigens bei einem kürzlich für das Fernsehen reanimierten Detektiv-Paar. Die Detektive Agent Dana Scully und Fox Mulder werden sehr häufig in den 10 Staffeln der erfolgreichen US-Serie The X-Files (FOX, 1993–2002, seit 2016) janusköpig angeordnet und verkörpern die Einheit der Differenz von Ratio und Paranoia; Rust Cohle kann durchaus auch als Parodie von Agent Mulder gedeutet werden.
- 9.
Auf der Tagung Imaginationen der Störung vom 19.-21.05.2015 an der TU Dresden schlägt Isaak Winkel-Holm vor, Rust Cohle als Figuration des jüdischen Propheten zu lesen. Eine Lesart, die im Sinne von Winkel-Holms Kernargumentation der Szenarioplanung durchaus attraktiv ist, jedoch weder erlaubt, eine Verbindung zur naheliegenden Detektiverzählung noch zur Medialität des Seriellen zu stiften. Dennoch müsste weiter verfolgt werden, wie die seherischen Fähigkeiten antiker Figuren (etwa Kassandra) oder eben von Propheten in moderne Figuren integriert und an moderne Temporalordnungen angepasst werden.
- 10.
Diesen Hinweis verdanke ich Lars Koch ebenso wie die schöne Nebenbeobachtung, dass die Person, die Walter Benjamin zu ‚seinem‘ Künstler Paul Klee brachte, dessen Arbeiten zahlreichen paradigmatischen Gedanken Pate standen war, im Übrigen seine Frau Dora, deren Namensgleichheit mit dem ersten ‚Engel‘ kaum von der Hand zu weisen ist, so Lars Koch. Sicherlich ist der Signifikant Dora überdeterminiert gewählt, so wurden einige schwere Hurrikans Dora benannt, etwa der im Nachbarstaat Florida tobende Hurrikan Dora im Jahr 1964, der Schaden im Wert von 280 Mio. US$ verursachte. Außerdem muss natürlich auf den „Fall Dora“ (eigentlich Ida Bauer) von Sigmund Freud und Marcel Breuer hingewiesen werden. Durch den „Fall Dora“ gelangt Freud zu wesentlichen Impulsen für seine Hysterie-Studien, u. a. zu der Erkenntnis, dass aus den bruchstückhaften Erinnerungen und Berichten hysterischer Patientinnen eine vollständige Geschichte zu rekonstruieren sei. Die Patientin Dora wehrt sich jedoch gegen den Freudschen Herrendiskurs und bricht die Behandlung nach nur 11 Wochen ab. Wie in True Detective verkomplizieren verschiedene Zeitebenen (Missbrauch in der frühen Jugend der Patientin), Behandlung um 1900 und Verschriftlichung des Falls durch Freud im Jahr 1905 in verschiedenen Kontexten (SA Bd. IV) die Aufklärung des Falls. Mit dem „Fall Dora“ entwickelt Freud seine von der feministischen Kritik stark beanstandete Theorie, dass der Missbrauchsvorwurf hysterischer Patientinnen vielmehr Ausdruck sexueller Wünsche sei. Siehe zur im Bezug auf die Dora aus True Detective zutreffenden Überlagerung von Kriminalfall und psychoanalytischem Fall: Matthias Bauer: Der unheimliche Fall der Psychoanalyse. Wie Sigmund Freud im historischen Kriminalroman erst als Detektivfigur eingesetzt und dann des ,Seelenmords‘ verdächtigt wird, in: Barbara Korte/Sylvia Paletschek (Hgg.): Geschichte im Krimi. Beiträge aus den Kulturwissenschaften, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 59–76.
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Prokić, T. (2017). Serie und Ereignis. True Detective als visuelles Laboratorium an der Schnittstelle zum Posttelevisuellen. In: Arenhövel, M., Besand, A., Sanders, O. (eds) Wissenssümpfe. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-13590-4_11
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