Zusammenfassung
Marcus S. Kleiner rekonstruiert in seinem Beitrag die Inszenierungen von Männlichkeit und Männerfreundschaft in True Detective als dem zentralen Thema der Serie. Er analysiert die Männerfiguren der Serie als größtenteils kaputt, d.h. sie sind aus der Ordnung gekommen und können sich nicht mehr den gesellschaftlichen Anforderungen und Zwängen, hier hinsichtlich hegemonialer Männlichkeit, unterwerfen. Marty Hart und Rust Cohle, so Kleiner weiter, stehen dabei für zwei verschiedene gesellschaftlich akzeptierte Rollenmodelle, die jedoch beide in ihren Selbst- und Fremdwahrnehmungen scheitern. Als Lösung bietet die Serie in ihrem finalen Erzählstrang die Männerfreundschaft, die es den beiden Detectives ermöglicht, dass beide sich im Spannungsfeld von Identität und Alterität verändern können und sie zugleich in die Lage versetzt, eine substanzielle, gelingende Intimbeziehung zu einem anderen Menschen aufzubauen. Allerdings, so bemerkt der Autor resümierend, könnte sich dieses Korrektiv als sehr labil erweisen.
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Notes
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„Cohle“ beendet seinen Polizeidienst im Jahr 2002 nicht primär aufgrund dieses Vorfalls. Er wird bei seiner selbstmächtigen Wiederaufnahme der Ermittlungen im „Dora Lange“-Fall nach mehrfachen Abmahnungen vom Dienst suspendiert. Seine Ermittlungen erscheinen als unerwünscht, weil sie die Verstrickungen der Polizei und von gesellschaftlichen Würdenträgern aufdecken könnten. 1995 haben „Cohle“ und „Hart“ den Fall scheinbar erfolgreich aufgeklärt und den vermeintlichen Tatverdächtigen „Reggie Ledoux“ (Charles Halford) gestellt. „Hart“ hat ihn bei diesem Einsatz erschossen. Beim Verhör mit einem Raubmörder im Jahr 2002 äußert dieser, dass „Ledoux“ nicht der gesuchte Mädchenmörder sei; er vom „Gelben König“ wisse, ein Detail im „Dora Lange“-Fall, das der Öffentlichkeit vorenthalten wurde; und in die Morde gesellschaftlich bedeutende Persönlichkeiten verstrickt seien (Staffel 1, 5. Episode: The Secret Fate of All Life/Das geheime Schicksal allen Lebens). Daraufhin nimmt „Cohle“ die Ermittlungen wieder auf.
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„The emptiness that we confess/in the dimmest hour of day/in the common town, they make a sound/like the low sad moan of prey/the bitter taste, the hidden face/of the lost forgotten child/the darkest need/the slowest speed/the pattern reconciled/these photographs mean nothing/to the poison that they take/before a moments glory/the light begins to fade […].“
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Hierbei geht es nicht, wie Hitzler (1997, S. 32 f.) betont, um die Wahrhaftigkeit des Eindrucks, sondern um seine situative Glaubwürdigkeit – genau dies ist die zentrale Kategorie zur Bewertung von und der gelingenden Aneignung von Körperdarstellungen im Musikvideo: „Auch Akteure des Alltags bauen […], wie Schauspieler vor einer Theaterkulisse, eine (Schein-)Normalität auf. Sie stellen […] die sozialen Aspekte ihrer Persönlichkeit dar. Sie bewegen sich im sozialen Spielraum gleichsam als gemeinsames Produkt ihrer darstellerischen Leistungen und der Bestätigung durch das Publikum.“
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„Cohle“ monologisiert größtenteils – gerade auch, um seine (scheinbar) intellektuelle und weltanschauliche Überlegenheit zu demonstrieren. Er redet kaum mit anderen, führt selten einen Dialog und wartet in Kommunikationssituation häufig nur auf sein Stichwort, um mit seinen Monologen zu beginnen, die aber nur äußerst selten jemanden interessieren bzw. denen seine Umwelt nicht zuhört oder die diese als befremdlich wahrnimmt. Die Kommunikationssituation von „Cohle“ kann als existenzielle Einsprache bezeichnet werden.
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- 7.
In True Detective bleibt offen, ob „Cohle“ diese Weltsicht erst durch den Tod seiner Tochter und das Scheitern seiner Ehe hat, oder diese schon immer besessen hat. Das ist ein weiteres Beispiel für die Bedeutung der Leerstellen in der Serie.
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Eine vergleichbare Perspektive auf sein Leben äußert „Hart“ im Gespräch mit den Detectives „Papania“ und „Gilbough“: „Sie kennen ja den Job. Man sucht den roten Faden […] und spinnt sich eine Geschichte zusammen. Tag für Tag“ (2. Episode, Seeing Things/Visionen).
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Dies veranschaulicht eindrucksvoll die kurze Szene, als er in seinem Spint im Polizeirevier die Medaille „Bester Cowboy 1982“ entdeckt (5. Episode, The Secret Fate of All Life/Das geheime Schicksal allen Lebens).
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Auch seinen Töchtern kommt er nicht wirklich nah bzw. geht nicht substanziell auf ihren Wunsch nach Aufmerksamkeit und Nähe ein. Ein Beispiel hierfür ist ein gemeinsamer Fernsehabend, bei dem er im Sessel sitzt, isst und Football sieht, sich aber nicht mit seinen Töchtern beschäftigt. Sie sind zusammen ohne zusammen zu sein (3. Episode, The Locked Room/Der verschlossene Raum). Als Teenager hat seine Tochter „Audrey“ einen Goth-Rock/Emocore-Style. Sie rebelliert, sehr zum Ärger von „Hart“, der ihr mit vollkommenem Unverständnis gegenübertritt, gegen ihre bürgerliche Familie und distanziert sich von deren Ritualen, etwa das gemeinsame Abendessen. Ihre jüngere Schwester „Maisie“ (Brighton Sharbino) repräsentiert hingegen die Erwartungen an eine bürgerliche Mittelstandstochter indem sie z. B. als Cheerleader erfolgreich ist. „Hart“ betont, wie stolz er daher auf sie ist. Als „Audrey“ nach dem Gruppensex im Auto mit zwei ihrer Freunde aus der Clique von der Polizei erwischt und verhaftet wird, die Kollegen sie zu „Hart“ nach Hause bringen, reagiert „Hart“ erneut nur cholerisch, macht „Audrey“ Vorwürfe, schlägt sie und fährt anschließend auf die Polizeistation, um die beiden Freunde von „Audrey“ brutal zusammen zu schlagen (5. Episode, The Secret Fate of All Life/Das geheime Schicksal allen Lebens).
- 11.
Gleichwohl ist „Hart“ eifersüchtig auf „Cohle“, weil dieser sich sehr gut mit seiner Ehefrau versteht und die beiden intensiv miteinander reden. Als er unerwartet auf die beiden in der Küche ihres Hauses trifft, nachdem „Cohle“ den Rasen vor dem Haus gemäht hat, fordert „Hart“ ihn sehr bestimmt auf, das Haus zu verlassen, und sagt ihm, er soll sein Haus nicht mehr in seiner Abwesenheit betreten (3. Episode, The Locked Room/Der verschlossene Raum).
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Als Leitlinien der Darstellung von Männlichkeit und Männerfreundschaft fungieren, wie zuvor ausführlich dargestellt wurde, die Strukturkategorien Identität und Differenz, die Relationalität von Geschlecht, Diskurse und Erfahrungen sowie Krise und Hegemonie (vgl. Martschukat und Stieglitz 2008, S. 51–76).
Literatur
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Kleiner, M.S. (2017). Kaputte Typen. Männlichkeit als Krisenerzählung und Männerfreundschaft als (Er-)Lösung in True Detective . In: Arenhövel, M., Besand, A., Sanders, O. (eds) Wissenssümpfe. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-13590-4_10
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