Zusammenfassung
François Truffauts Film „Der Wolfsjunge“ (1969) setzt Itards Bericht (1801/07) über seinen Versuch mit dem „wilden Kind von Aveyron“ detailliert in Bilder. Das Kind wurde im Jahr 1800 in Südfrankreich entdeckt und vom berühmten Psychiater Pinel als „Idiot“, d. h. als nicht bildsam diagnostiziert. Itard versuchte dieses Kind, das er später „Victor“ nannte, zu erziehen. Sein Bericht stellt einen folgenreichen Quellentext der Heilpädagogik und zugleich eine Urszene der Entdeckung der Bildsamkeit des Menschen dar.
Der vorliegende Text ist eine modifizierte Fassung, die ursprünglich auf Japanisch erschien ist: Imai, Y. (2013). Chûi. Kyôikuteki Kainyû o kôshin saseru Kyoshôten (Aufmerksamkeit. Der virtuelle Fokus, der die pädagogische Einwirkung potenziert). In: H. Morita, & N. Morita (Hrsg.) (2013), Kyôikushisôshi de yomu Gendaikyôiku (Aktuelle Lage der Bildung von Perspektiven ihrer Ideengeschichte) (S. 330–357). Tokyo.
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Notes
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Auch im Umfeld der Pädagogik wird das Thema „Aufmerksamkeit“ zunehmend mit Interesse bedacht. Im Bereich der Kognitions- und Entwicklungspsychologie wird seit der Mitte der 1970er Jahre die „gemeinsame Aufmerksamkeit (joint attention)“ als ein entscheidender Faktor für die frühkindliche Entwicklung untersucht. (vgl. Tomasello 1999). Im Bereich der Wahrnehmungspsychologie wird neuerdings die „selektive Aufmerksamkeit (selective attention)“ als Berührungsfläche zwischen dem Geist und der Welt thematisiert (vgl. Pylyshyn 2011). Eine traditionsreiche Fachzeitschrift Perception and Psychophysics wurde 2009, in ihrem 50. Jahrgang, zu Attention, Perception, and Psychophysics umbenannt (vgl. Hagendorf et al. 2011). Hieraus wird ersichtlich, wie sich Aufmerksamkeit in diesem Bereich zu einem gewichtigen Themenkreis entwickelt.
- 2.
Ein Versuchsapparat, der einer Versuchsperson für eine sehr kurze Zeit (bis 1/1000 s) visuelle Reize darbieten kann.
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Diese Konsequenz war kein Zufall. Nach Crary handelt es sich „bei der modernen Zerstreuung […] um einen Effekt und in vielen Fällen auch einen konstituierenden Bestandteil der zahlreichen Versuche, bei menschlichen Subjekten Aufmerksamkeit zu produzieren“ (Crary 2002, S. 47).
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Im Kapitel „The Development of Attention“ stellt Dewey fest: „the child has a question of his own, and is actively engaged in seeking and selecting relevant material with which to answer it, considering the bearings and relations of this material – the kind of solution it calls for. The problem is one’s own; hence also the impetus, the stimulus to attention, is one’s own – it is discipline, or gain in power of control; that is, a habit of considering problems“ (Dewey 1976, S. 103).
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Der Bericht formuliert wie folgt: „Da zur Zeit viele kinematographische Bilder (lebende Photographien) in ihrer Ausführung mangelhaft sind, das Hässliche, Verbildende und sittlich Gefährdende in ihnen überwiegt und viele Theaterräume billigen Anforderungen der Hygiene nicht genügen, halten wir den Besuch der Theater lebender Photographien für Kinder für gefährlich. Dem Besuch von Vorführungen dieser Art hat die Schule erziehlich entgegenzuwirken. Technisch und inhaltlich einwandfreie kinematographische Darstellungen können dagegen ein ausgezeichnetes Mittel der Belehrung und Unterhaltung sein“ (Dannmeyer 1907, S. 38 f.).
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Nach Hermann Häfker, einem der bedeutendsten „Kinoreformer“, ist die „Wesensaufgabe“ des Films folgende: „der durch Menschenhand und -nerv möglichst wenig gefälschten, möglichst wirklichkeitsgetreuen Wiedergabe von natürlichen Bewegungen, auf Grund ihrer chemisch-automatischen Selbstaufzeichnung“ zur Geltung zu verhelfen (Häfker 1913, S. 12).
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Herwig konstatiert die negativen Wirkungen des Films wie folgt: „Das Vielerei, das das Kino bietet, die schnell vorbeiziehenden, schroff einander abwechselnden verschiedenartigsten Eindrücke […] kann [...] bewirken, dass häufigen Besucher kinematographischer Vorführungen, ganz besonders natürlich, wenn sie noch in jugendlichen Alter stehen, bis zu einem gewissen Grade unfähig werden, auch außerhalb des Kinos ihre Aufmerksamkeit auf bestimmte Gegenstände zu konzentrieren, dass sie beim Unterricht oder bei der Arbeit unaufmerksam werden, dass ihr Urteilsvermögen geschwächt wird und dass einer Neigung zur Oberflächlichkeit in recht beträchtlichem Maße Vorschub geleistet wird“ (Hellwig 1914, S. 66).
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In den 1920er Jahren waren die praktischen Bedingungen des Filmeinsatzes nicht wesentlich besser als in den 1910er Jahren. Wegen den technischen und finanziellen Einschränkungen war es für die einzelne Schule noch schwierig, über Vorführungsmöglichkeiten zu verfügen. Lehrer*innen waren manchmal auf die Kinotheater angewiesen. Praktische Bedingungen des Schul- und Unterrichtsfilms kamen erst in den 1930er Jahren zustande, als der Schmal- und der schwer brennbare Film entwickelt wurden und dann das NS-Regime für den pädagogischen Filmeinsatz großzügige finanzielle Unterstützung leistete. Die filmpädagogische Diskussion der 1920er Jahre ist wegen ihrer theoretisch experimentierenden Reflexion bemerkenswert.
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Denn: „Das wahre Augenmaß der Berechtigung solcher (filmkritischer) Einwände aber, desgleichen der angemessene Umkreis einer Verwendung des Films in der Schule können erst im Rahmen einer ausgebauten Didaktik des Schulfilms ersichtlich werden“ (Meister 1925, S. 722).
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Imai, Y. (2020). Technik, Aufmerksamkeit und Emotion. In: Bilstein, J., Winzen, M., Zirfas, J. (eds) Pädagogische Anthropologie der Technik. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-11683-5_8
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