Zusammenfassung
Mit der Zunahme der Bewusstseinsforschung ist in den letzten Jahren eine Debatte um die sozialen, kulturellen und pädagogischen Implikationen entsprechender Studien in Gang gekommen.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Notes
- 1.
Unser Erkenntnisinteresse an „Praktiken der Achtsamkeit“ schließt u. a. an praxistheoretische Überlegungen von Andreas Reckwitz an: „Indem sich die sozial-kulturelle Welt aus praxeologischer Perspektive nicht als Ensemble von Subjekten, von Handlungen, von Normen oder von Zeichen, sondern als eine Agglomeration sozialer Praktiken in Zeit und Raum – genauer: sozialer Praktiken, die ein bestimmtes Zeitregime und ein bestimmtes räumliches Arrangement aktiv hervorbringen – darstellt, setzt die praxistheoretische Sicht eine Materialität der Kultur, das heißt eine Verortung des Kulturellen auf der Ebene der sinnhaft regulierten, auf ihre Weise öffentlichen Bewegungen des Körpers sowie der verwendeten und wirksamen Artefakte voraus; gleichzeitig geht sie vom implizit-praktischen Charakter der in diesem Sinne inkorporierten (und auch in Artefakten gespeicherten) kulturellen Ordnungen des Wissens aus. Diese Implizitheit des Wissens – der interpretativen Schemata, des praktischen know how und der emotional-affektiven Identifizierungen – macht sowohl die reproduktive Tendenz der Praktiken zur routinisierten Wiederholung als auch ihre logische Unsystematizität und damit Unberechenbarkeit (mit Bourdieu die ,Logik der Praxis‘ statt der ,Logik der Logik‘) nachvollziehbar. Praktiken bezeichnen genau diese Doppelstruktur von Körperbewegungen/Artefaktarrangement und inkorporierten impliziten Wissensordnungen, welche erstere kulturell regulieren, ohne ihnen gegenüber vorgängig zu sein“ (Reckwitz 2006, S. 3). Praktiken der Achtsamkeit lassen sich dementsprechend auf der Grundlage pädagogisch-anthropologischer Lerntheorien bestimmen, da es bei ihrer Untersuchung nicht vorrangig um die Aspekte des Lernens geht, die intentional-konzeptionell beeinflussbar und insofern „einzuüben“ sind. Stattdessen interessiert uns die durch die Praktiken erzeugte Körper- und Geisteshaltung. Erst diese gegenstandstheoretische Bestimmung macht sie als lerntheoretischen bzw. pädagogisch-anthropologischen Forschungsgegenstand relevant.
- 2.
Die im vorliegenden Aufsatz verwendeten Begriffe „Praktiken“ und „Techniken“ sind in ihrer Betonung des Prozessualen verwandt. Auch der Verweis auf Leiblichkeit und Sozialität ist, zumindest wenn wir für den Begriff der Praktik auf Reckwitz und für den Begriff der Technik auf Foucault rekurrieren, in beiden Termini enthalten. Dennoch sind die Begriffe nicht deckungsgleich. So wird im Begriff der Technik – anders als im vorrangig das soziale und körperliche Procedere fokussierenden Begriff der Praktik – stets der Hinweis auf die Instrumentalität der Aktivität mitgeführt.
- 3.
Deshalb sollte, so Metzinger, dieser Unterricht auf gar keinen Fall in die Hände von Religionslehrern gelegt werden. Viel besser geeignet seien bspw. Sportlehrer (vgl. Metzinger 2006, S. 71).
- 4.
Fragwürdig daran ist nicht nur die Intentionalisierung der Achtsamkeit, sondern auch die fehlende Reflexion des Übungsbegriffs. Während der Übungsbegriff in der hiesigen pädagogischen Tradition Teil der Didaktik ist und dort als Festigung des mittels Lehre Gelernten durch Wiederholung verstanden wird, steht der Übungsbegriff in der buddhistischen Tradition eher dem nahe, was wir oben als Praktik bezeichnet haben.
- 5.
In dieser Hinsicht entspricht es der Technik des Kampfsports Aikidos, die als „play“ gelehrt wird und somit als ästhetischer Lernprozess, der jenseits intentional-konzeptioneller Strategien verläuft.
Literatur
Anderssen-Reuster, U. (2007). Achtsamkeit in der Psychotherapie und Psychosomatik. Haltung und Methode. Stuttgart: Schattauer.
Bahr, H.-D. (2007). Fragment über Muße. In: Ch. Wulf, & J. Zirfas (Hrsg.), Muße. Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie, 16 (1), 26–39.
Batchelor, M. (2003). Meditation. Freiamt: Arbor.
Black, M. (1954). Metaphor. In: Proceedings of the Aristotelian Society 55, 273–294.
Black, M. (1977). More about Metaphor. In: Dialectica 31, 431–457.
Bourdieu, P. (1976). Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Bourdieu, P. (2001). Meditationen. Zur Kritik der scholastischen Vernunft. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Buchheld, N., & Walach, H. (2001). Achtsamkeitsmeditation in Vipassana-Meditation und Psychotherapie. Forschungsstand und aktuelle Perspektiven. In: W. Belschner et al. (Hrsg.), Perspektiven transpersonaler Forschung (S. 65–85). Oldenburg: BIS.
Buchheld, N., & Walach, H. (2006). Die historischen Wurzeln der Achtsamkeitsmeditation. Ein Exkurs in Buddhismus und christliche Mystik. In: T. Heidenreich, & J. Michalak (Hrsg.), Achtsamkeit und Akzeptanz in der Psychotherapie. Ein Handbuch (S. 25–46). Tübingen: Dgvt.
Ernst, Ch., & A. Nehring (2013). Populäre Achtsamkeit – Kulturelle Aspekte einer Meditationspraxis zwischen Präsenzerfahrung und implizitem Wissen. In: Ch. Ernst, & H. Paul (Hrsg.), Präsenz und implizites Wissen. Zur Interdependenz zweier Schlüsselbegriffe der Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielefeld: transcript.
Foucault, M. (1993). Technologien des Selbst. In: Ders. et al. (Hrsg.), Technologien des Selbst (S. 24–62). Frankfurt/M.: S. Fischer.
Göhlich, M. (2005). Pädagogische Organisationsforschung. Eine Einführung. In: Ders., Ch. Hopf, & I. Sausele (Hrsg.), Pädagogische Organisationsforschung (S. 9–24). Wiesbaden: Springer.
Göhlich, M. (2007). Scholé, Arbeit und Organisation. In: Ch. Wulf, & J. Zirfas (Hrsg.), Muße. Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie, 16 (1), 40–47.
Gruber, H. (1999). Kursbuch Vipassana – Wege und Lehrer der Einsichtsmeditation. Frankfurt/M.: Spirit.
Kabat-Zinn, J. (2009a). Gesund durch Meditation. Das große Buch der Selbstheilung. Ulm: Fischer.
Kabat-Zinn, J. (2009b). Im Alltag Ruhe finden. Meditationen für ein gelassenes Leben. Ulm: Knaur MensSana TB.
Kaltwasser, V. (2008). Achtsamkeit und Präsenz. Die Lehrkraft als Ruhepool. Pädagogik, 60 (11), 16–19.
Kaltwasser, V. (2013). http://www.verakaltwasser.de/achtsamkeit/forschungsergebnisse/index.html#630118a08a0eeca0b. Zugegriffen: Januar 2013)
Kant, I. (1998). Kritik der Urteilskraft und Schriften zur Naturphilosophie. Werke in sechs Bänden, Bd. 5. Darmstadt: WBG.
Kant, I. (1983). Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Stuttgart: Reclam.
Lohmann-Haisler, A. (2012). Stressreport Deutschland 2012. Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2012. http://www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/Gd68.html. Zugegriffen: Januar 2013.
Majumdar, M. (2000). Meditation und Gesundheit. Eine Beobachtungsstudie. Essen: KVC.
Mannheim, K. (1980). Strukturen des Denkens. Hrsg. von D. Kettler, V. Meja, & N. Stehr. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Metzinger, T. (2006). Neurobics für Anfänger. In: Gehirn & Geist, 6, 68–71.
Reckwitz, A. (2006). Aktuelle Tendenzen der Kulturtheorien. Nachwort zur Studienausgabe 2006 von Die Transformation der Kulturtheorien. http://www.velbrueck.de/ws/3-938808-20-9.pdf. Zugegriffen: Januar 2013.
Rustemeyer, D. (2009). Diagramme. Dissonante Resonanzen: Kunstsemiotik als Kulturtheorie. Weilerswist: Velbrück.
Sauer, S., & Kohls, N. (2011). Mindfulness in Leadership: Does Being Mindful Enhance Leaders’ Business Success? In: S. Han, & E. Pöppel (Hrsg.), Culture and Neural Frames of Cognition and Communication. Vol. 3 (S. 287–308). Heidelberg: Springer.
Walach, H., Gander Ferrari, M.-L., Sauer, S, & Kohls, N. (2012). Mind-Body-Practices in Integrative Medicine. In: Religions 3, 50–81.
Wulf, Ch. (2007). Homo Pictor or the Making of the Human Being Through Imagination. In: Ch. Wulf, & S. Suzuki (Hrsg.), Mimesis. Poiesis and Performativity in Education (S. 25–44). Münster u. a.: Waxmann.
Wulf, Ch., & Hüppauf, B. (2006). Einleitung. Warum die Bilder die Einbildungskraft brauchen. In: Ch. Wulf, & B. Hüppauf (Hrsg.), Bild und Einbildungskraft (S. 9–47). München: Wilhelm Fink.
Wulf, Ch., & Zirfas, J. (2007). Die Muße. Vergessene Zusammenhänge einer idealen Lebensform. In: Ch. Wulf, & J. Zirfas (Hrsg.), Muße. Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie, 16 (1), 9–11.
Wulf, Ch. et al. (2009). Editorial. Handlung und Leidenschaft: Jenseits von actio und passio. In: Ch. Wulf, K.-P. Köpping, & B. Schnepel (Hrsg.), Handlung und Leidenschaft: Jenseits von actio und passio. Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie, 18 (2), 10–12.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2020 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature
About this chapter
Cite this chapter
Göhlich, M., Engel, J. (2020). Achtsamkeit. In: Bilstein, J., Winzen, M., Zirfas, J. (eds) Pädagogische Anthropologie der Technik. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-11683-5_5
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-11683-5_5
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-11682-8
Online ISBN: 978-3-658-11683-5
eBook Packages: Education and Social Work (German Language)