Zusammenfassung
Jürgen Kädtler analysiert in seinem Beitrag Innovationsarbeit in Forschungs- und Entwicklungsbereichen. Mit der Finanzialisierung der Unternehmen werden Innovationsprojekte stärker nach kurzfristigen Zielen gemanagt und Innovationsbudgets unter den Vorbehalt nachzuweisender Profitabilität gestellt. Innovationsprojekte werden zunehmend „verregelt“, so dass Ungewissheiten von den MitarbeiterInnen in Form von Zeit- und Leistungsdruck oder längeren Arbeitszeiten ausgeglichen werden müssen. Dazu tragen weitere Entwicklungen bei: die Überbuchung des Personals in Projekten; die Budgetkürzung zur Verbesserung finanzwirtschaftlicher Kennziffern; oder die Unterminierung von Vertrauensbeziehungen in Restrukturierungen. Die Betriebsräte werden von den Beschäftigten geschätzt, weil sie für verlässliche und stabile Rahmenbedingungen durch Tarifverträge und Beschäftigungssicherung sorgen; als Garanten individueller Gestaltungs- und Autonomiespielräume hingegen spielen sie demnach keine nennenswerte Rolle.
Die in diesem Aufsatz präsentierten Überlegungen und empirischen Befunde stützen sich zu großen Teilen auf ein Forschungsprojekt zu „Innovationsarbeit und Mitbestimmung“, das von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert und von Volker Wittke, Hans-Joachim Sperling, Harald Wolf und dem Verfasser am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) durchgeführt worden ist (vgl. ausführlich: Kädtler et al. 2013.
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Die sozialrechtliche Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten gehört zwar der Vergangenheit an, und entsprechend kennt auch die amtliche Statistik den Unterschied nicht mehr. Unter soziologischer Perspektive dürfte die Unterscheidung gleichwohl noch für viele Jahre Sinn machen.
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Die übereinstimmende Diagnose, dass die (bisherige) Stärke der deutschen Ökonomie auf ihrer Stärke bei inkrementellen Innovationen beruht, bei relativer Schwäche bei radikalen Innovationen, wird einmal als Schwäche im Hinblick auf die absehbare Zukunft interpretiert (Kern 1996, 1998), ein andermal als Voraussetzung nachhaltiger wirtschaftlicher Stärke, bei der die relative Schwäche bei radikalen Innovationen die nolens volens in Kauf zu nehmende Kehrseite der Stärke bei inkrementellen Innovationen darstellt (Sorge 1999; Wengenroth 2007).
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Die Ausführungen dieses und des folgenden Abschnitts stützen sich in wesentlichen Teilen auf Formulierungen von Harald Wolf in (Kädtler et al. 2013, S. 15–16).
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Es spricht einiges dafür, den Ausgangspunkt der im September 2015 bekannt gewordenen Manipulation von Diesel-Abgaswerten durch Volkswagen in einer ‚Software-Lösung‘ des hier erörterten Entwickler Dilemmas zu sehen: Mit gleichermaßen verbindlichen wie so nicht einlösbaren Vorgaben konfrontiert, setzten Entwickler auf Manipulation als Ausweg.
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An dieser Stelle soll nochmals ausdrücklich betont werden, dass Finanzialisierung eine an Finanzmarktrationalität orientierte Form der Unternehmenssteuerung meint und nicht umstandslos mit Einflussnahme (externer) Finanzmarktakteure gleichgesetzt wird.
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Kädtler, J. (2016). Innovationsarbeit: Unsicherheit, Finanzialisierung und die Rolle von Mitbestimmung. In: Haipeter, T. (eds) Angestellte Revisited. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-11233-2_7
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