Zusammenfassung
Der Artikel führt in Zielsetzung und Einsatzszenarien quantitativer Filmrezeptionsanalysen ein, die sich dezidiert als Komplement qualitativer Verfahren für Forschungsprojekte mit großen Stichproben und Makrofragestellungen verstehen. Beispielhaft wird anschließend die Postrezeptive Lesartenanalyse (PLA) als konkretes Verfahren vorgestellt. Ihr Kategorienschema formalisiert interdisziplinäres Basiswissen zur Filmrezeption und bildet damit einen produktiven ‚Baukasten‘ für die Durchführung angewandter hypothesenprüfender oder hypothesengenerierender Forschungsprojekte zu Ähnlichkeiten im Filmerleben größerer Publika.
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Notes
- 1.
Die Explorative Faktorenanalyse ist ein statistisches Verfahren, mit dem hohe Korrelationen von drei oder mehr Variablen statistisch auf eine gemeinsame ‚Ursache‘ unterschiedlicher Ausprägung zurückgeführt werden können. Für diese ‚latenten‘ (nicht direkt beobachteten) ‚Faktoren‘ kann anschließend für jeden betrachteten Fall ein konkretes Ausmaß in Form eines Zahlenwerts, dem ‚Faktorscore‘ geschätzt werden. Wenn beispielsweise im Rahmen einer PLA in den Filmnacherzählungen mehrerer Personen immer wieder sowohl Akteurin A als auch Akteur B, als auch Akteurin C im negativen Licht thematisiert werden, welche im Film ein Elternpaar und die Großmutter darstellen, entstünde somit empirisch ein Faktor „negative Thematisierung der Familienangehörigen“, dessen konkrete Ausprägung fortan statt der Einzelcodierungen bei der Entwicklung der Lesartentypologie verwendet werden kann, was sowohl die statistische Analyse, als auch deren spätere Interpretation erleichtert – natürlich im Austausch gegen einen gewissen Verlust von Detailgrad. In genau diesem Sinne können im Rahmen der PLA vorgenommene Explorative Faktorenanalysen als Werkzeug zur ‚semantischen Verdichtung‘ des Analysematerials verstanden werden (vgl. weiterführend: Backhaus et al. 2003).
- 2.
Die Clusteranalyse ist ein statistisches Verfahren zur Entdeckung von Ähnlichkeiten in komplexen Fallstrukturen mit vielen Variablen mit dem Ziel der empirischen Herstellung von Typologien und Klassifikationen. Es existieren sehr unterschiedliche Verfahren zur Realisierung, die sich vor allem danach unterscheiden, wie die Ähnlichkeiten zwischen Fällen genau bestimmt werden, wie die betrachteten Indikatorvariablen gewichtet werden, wie der Algorithmus zur Findung von Gruppen arbeitet und ob eine Sortierung der Fälle oder eine Ermittlung nicht empirisch existierender Idealtypen angestrebt wird. Die Entscheidung über die Auswahl des geeigneten Verfahrens entscheidet sich demnach an der konkreten Forschungsfrage und der verfügbaren Software zur Implementation, es sei jedoch darauf hingewiesen, dass trotz der vermeintlichen Vielfalt an Optionen die strukturellen Ergebnisse verschiedener Verfahren bei bisherigen PLA-Analysen meist sehr ähnlich ausfielen, was durchaus typisch für Clusteranalysen insgesamt ist (vgl. weiterführend: Backhaus et al. 2003).
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Lepa, S. (2021). Quantitative Filmrezeptionsanalyse. In: Geimer, A., Heinze, C., Winter, R. (eds) Handbuch Filmsoziologie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-10729-1_37
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