Zusammenfassung
Die Geschichtsschreibung der Architekturmoderne ist bisher selten ein Forschungsthema. Architekturhistoriker_innen und -theoretiker_innen, die seit den 1960er Jahren aus einer kritischen Position gegenüber der Avantgarde der Architekturmoderne argumentieren, geraten in methodische Widersprüche, da sie von einer linearen, evolutionären Formentwicklung in der Architektur ausgehen, die sich mit der Geschichtstheorie der Moderne deckt. Der vorliegende Überblick versucht diese theoretische Problematik anhand ausgewählter Publikationen über die Architekturmoderne skizzenhaft zu beleuchten. Besonderer Wert wird darauf gelegt, verschiedene signifikante geschichtsmethodische Ansätze der 1960er bis 1980er Jahre, welche die Architektur des 20. Jahrhunderts erklären, im Kontext zu erläutern.
Der vorliegende Text stellt keine umfassende und chronologisch exakte Darstellung der Architekturmoderne und deren Kritik dar, vielmehr versteht er sich als thesenhafte Übersicht und als Einstieg zu ihrer Geschichtsschreibung im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Er konzentriert sich deshalb auf ausgewählte Literatur.
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Notes
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Hitchcocks und Zevis Bücher werden oft nicht gleichermaßen prominent wahrgenommen, weil der eine methodisch, der andere inhaltlich den Kern der Moderne zu verpassen scheint. Hitchcock, der vor allem neben Philip Johnson als Co-Kurator der legendären MoMA-Show The International Style 1932 in New York bekannt wurde, argumentiert wie ein traditioneller Kunsthistoriker, der die Moderne nicht aus ihrem gesellschaftspolitischen Auftrag, sondern aus Form- und Stilentwicklungen aus dem 19. Jahrhundert ableitet. Der italienische Architekt und Architekturhistoriker Zevi hingegen sieht sich vor allem einer bestimmten Moderne verpflichtet, die er organische Architektur nennt, deren Hauptvertreter für ihn Frank Lloyd Wright ist. Die „organische Architektur“, zu der auch Architekten wie Erich Mendelsohn, Hans Scharoun und Hugo Häring zählen, ist jedoch meistens als Nebenstrang der Architekturmoderne angesehen worden.
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Einen ersten Überblick bietet: Conrads 1964.
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Vgl. insbesondere: Tafuri 1968.
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Methodisch-kritische Schriften wie Fredric Jamesons Essay „Postmodernism or, The Cultural Logic of Late Capitalism“, welcher auch auf die Rolle der Architektur eingeht und dabei bemerkt, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg gar nicht mehr möglich sei, „die historische Vergangenheit einfach zu repräsentieren“, sind zwar gelesen, aber in den Konsequenzen negiert worden. Vgl. Jameson 1986.
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[„La metropoli, il luogo dell’alienazione assoluta, è, non a caso, al centro delle elaboriazioni delle avantguardie.“].
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[„Allontare l’angoscia comprendendone e introiettandone le cause: questo sembra essere uno die principali imperativi etici dell’arte borghese.“].
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[„La metropoli, il luogo dell’alienazione assoluta, è, non a caso, al centro delle elaboriazioni delle avantguardie.“].
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[„È la dialettica immanente all’intero decorso dell’arte moderna, infatti, che sembra opporre fra di loro chi tenta di scavare fin nelle viscere stesse del reale per conoscerne ed assumerne valori e miserie, e chi vuole spingersi al di là del reale, chi vuole costruire ex novo nuove realtà, nuovi valori, nuovi simboli pubblici.“].
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[„[…] quello che può anche apparire il ‚dramma‘ dell’architettura, oggi: quello, cioè, di vedersi obbligata a tornare pura architettura, istanza di forma priva di utopia, nei casi migliori, sublime inutilità.“].
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Im deutschsprachigen Raum einflussreich wurde der auf dem Deutschen Städtetag 1960 gehaltene Vortrag des Soziologen Edgar Salin, der für die positive Kraft des „Urbanen“ plädierte. Salin 1960.
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[„La città, oggetto di questo libro, viene qui intesa come una architettura.“].
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Rossi bedient sich mehrfach des Begriffes „kollektives Gedächtnis“, den er von Maurice Halbwachs, einem französischen Sozialpsychologen, entliehen hat.
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Es sei an dieser Stelle vermerkt, dass Aldo Rossi Mitglied der PCI (Partito Comunista Italiano) war. Seine Architekturtheorie lediglich als Formalismus zu begreifen, ginge an wesentlichen Aspekten seiner Ideen vorbei, die gleichwohl hier nicht diskutiert werden können. Vgl. auch Schnell 2009.
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Tafuri beschreibt die endgültige Trennung von Stadtplanung und Architektur im amerikanischen Städtebau als Trennung zwischen der Ideologie der Arbeit und der Ideologie des Konsums.
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[„[…] per la liberazione delle energie, potenziali ma inibite, di quella stessa borghesia.“].
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Giedion formuliert die Idee einer „anonymen Kultur“ in seinen späteren Schriften sogar noch umfassender, besonders in Giedion 1948.
Literatur
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Schnell, A. (2016). Historiografie und Kritik der Architekturmoderne. In: Gaugele, E., Kastner, J. (eds) Critical Studies. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-10412-2_10
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