Zusammenfassung
Das deutsche Sozialversicherungssystem, in den 1880er Jahren unter der Ägide des Reichskanzlers Otto von Bismarck errichtet, erfuhr in der Weimarer Republik eine neue politische Ausrichtung. Verfolgte die einstige Gründung der gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung das Ziel, die Macht der Gewerkschaften einzudämmen und die obrigkeitsstaatliche Ordnung des Kaiserreichs durch eine verbesserte wirtschaftliche und soziale Integration der Arbeiterschaft zu stabilisieren, war der Weimarer Sozialstaat untrennbar verbunden mit der ersten deutschen Demokratie. So enthielt die neue Verfassung einen umfassenden Katalog sozialer Grundrechte und verkündete eine aktive Sozialpolitik. Auf die demokratische Aufbauphase folgte im Zuge der Wirtschaftskrise ein drastischer Leistungsabbau.
Im Dritten Reich stand der sozialpolitische Umgang mit den Risiken von Krankheit, Unfall und Altersarmut stets im Zusammenhang mit der Ideologie der»Volksgemeinschaft«. In welcher Weise die Maßstäbe des NS-Regimes zum Umbau der Sozialversicherung führten, wird anhand der Gleichschaltung 1933, der Entrechtung der jüdischen Ärzte, der Verfolgung von»Gemeinschaftsfremden« und des Leistungsausbaus im Krieg vorgestellt.
Nach dem Krieg erfolgte, aufbauend auf den vorhandenen Strukturen, die demokratische Neugründung des Sozialversicherungssystems. Maßgeblich für die Etablierung des Sozialstaats, wie wir ihn heute kennen, waren die Grundprinzipien der Wohlstandsverteilung, die mit der Rentenreform 1957 eingeführt wurden.
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von Miquel, M. (2015). Von Bismarcks »Wechselbalg« zu Adenauers Rentenreform. Einführung in die Geschichte der Sozialversicherung. In: Mülheims, L., Hummel, K., Peters-Lange, S., Toepler, E., Schuhmann, I. (eds) Handbuch Sozialversicherungswissenschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-08840-8_3
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