Zusammenfassung
Jugend als Akteurin sozialen Wandels! So haben wir vor drei Jahren einen Band betitelt und damit ein Ergebnis einer längeren empirischen wie theoretischen Beschäftigung mit Übergängen junger Menschen festgehalten. Die Botschaft: dass Jugendliche in ihren vielfältigen Übergängen ins Erwachsensein komplizierte Aushandlungsprozesse zu durchlaufen haben, denen sie sich in der Tat kaum entziehen können, dass sie mit diesen ihnen auferlegten Auseinandersetzungen gleichzeitig aber auch eine unglaubliche Chance erhalten: gemeint ist die Chance der Gestaltung, die Chance des Anders-Machens, des Variierens von Rollenkonzepten und damit der Gestaltung ganz unterschiedlicher gesellschaftlicher Bereiche. Hierzu wurden in unserem Forschungskontext insbesondere die Themenbereiche der Übergänge in die Arbeit, der Übergänge in Migrationskontexten, der Übergänge in die Elternschaft, der Gestaltung von jugendkulturellen Settings ausgeleuchtet. Auf individueller Ebene geht es dabei immer auch um die Veränderung von Selbst- und Weltverhältnissen, mithin um Bildung in einem Verständnis, in dem Bildung nicht in Reflexivität aufgeht. Doch diese individuellen Bildungsprozesse können in gesellschaftliche Themen ausstrahlen: in die Gestaltung von Geschlechterrollen, oder bescheidener von Geschlechtsrollenbildern, in die Gestaltung von Partizipationsprozessen, in die Gestaltung von sozialen Praxen und Repräsentationsformen. Jugendliche werden so potentiell zu Protagonist_innen für sozialen Wandel in diesen Bereichen.
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Notes
- 1.
Genau hier macht die dokumentarische Methode als Interpretationsweg Sinn: indem sie fragt, was sich in den Äußerungen von Befragten an gesellschaftlichen Anforderungen, Zumutungen, Diskursen etc. dokumentiert (Nohl 2012).
- 2.
Ein methodologisches Problem sei hier noch einmal kurz benannt: Was uns für die Auswertung zur Verfügung steht, und dies ist im Hinblick auf die hier fokussierte Akteursperspektive besonders relevant, sind die Arten und Weisen, in denen sich die Befragten mehr oder weniger prononciert in ihrer aktiv gestalterischen Funktion im Interview darstellen. Wir müssen hier also unterscheiden zwischen der Praxis des Erzählens und der erzählten Praxis , und gleichzeitig müssen wir davon ausgehen, dass beide in einem Verweisungszusammenhang zueinander stehen. So wird etwa die Gruppenpraxis häufig erst dann explizit benannt, wenn die einzelnen hierzu in irgendein (verändertes, erzählenswertes) Verhältnis treten. Die Gruppenpraktiken dienen somit häufig als Kontrastfolie für die Selbstdarstellungen der einzelnen und werden so oft erst thematisiert.
- 3.
Ein Typus rechtfertigt sich in der dokumentarischen Methode, die wir für unsere Auswertung genutzt haben, dadurch, dass aus dem Material heraus Variationen von Orientierungen (minimal und maximal zueinander kontrastierend) gefunden werden können (Nohl 2012).
- 4.
Dieser und die folgenden Namen sind Pseudonyme, die sich die interviewten Jugendlichen selbst gegeben haben.
- 5.
Dies ist i. ü. kein Novum, auch wenn die Bezüge zueinander deutlicher werden – doch wahrscheinlich hatten auch schon frühere Bewegungen seit den späten 1960-er Jahren jugendkulturelle Bedeutung bekommen. Hierzu wurde nach meinem Kenntnisstand noch nie systematisch geforscht.
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Stauber, B. (2014). Jugend und sozialer Wandel. In: Faas, S., Zipperle, M. (eds) Sozialer Wandel. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-04166-3_6
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