Zusammenfassung
Dem Beitrag liegt folgende linguistische Perspektive auf Coaching zugrunde: Coaching ist definiert als professionelles Gespräch, das von Coach und Klient/in lokal im Hier und Jetzt diskursiv ko-konstruiert wird. Diese Ko-Konstruktion erfolgt in und durch vier basale kommunikative Aktivitäten, ‚Definieren der Situation’, ‚Gestalten der Beziehung‘, ‚Ko-Konstruieren der Veränderung‘ und ‚Evaluieren des Coaching‘, bestehend jeweils aus (wiederkehrenden) kommunikativen Aufgaben und sprachlichen Verfahren zu deren Lösung. Die linguistische Evaluation des Coaching-Prozesses fokussiert dabei die Ko-Konstruktion der Veränderung, wobei das erfolgreiche oder weniger erfolgreiche Lösen der kommunikativen Aufgaben anhand der sprachlich-kommunikativen Reaktionen der Beteiligten selbst aufgezeigt wird.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Notes
- 1.
Brinker und Sager (2006, S. 11) folgend, wird ‚Gespräch‘ hier definiert als „… eine begrenzte Folge von sprachlichen Äußerungen, die dialogisch ausgerichtet ist und eine thematische Orientierung aufweist“. Die Gliederungseinheit dafür ist zum einen der Gesprächsbeitrag (= Äußerung), der begrenzt ist von Sprechpausen und Sprecherwechsel und variabel in der Länge ist. Zum anderen die Gesprächssequenz, die aus mindestens zwei Gesprächsbeiträgen besteht, die kommunikativ-funktional eine Einheit bilden und durch das Prinzip der ‚konditionalen Relevanz‘ miteinander verbunden sind: die Realisierung eines bestimmten Gesprächsbeitrags (z. B. eine Frage) macht eine bestimmte Realisierung des folgenden Gesprächsbeitrags (z. B. eine Antwort) erwartbar bzw. konditional relevant.
- 2.
D.h. das Gespräch zwischen Coach und Klient/in ist sowohl die primäre Kommunikations- und Interaktionsform der Beteiligten als auch das wichtigste Interventionstool des Coachs.
- 3.
Da es bis dato noch keine linguistische Forschung zu Coaching gibt, handelt es sich bei Graf (forthcoming) um Grundlagenforschung und die hier präsentierten Ergebnisse müssen zukünftig mittels Analysen anderer Coaching-Daten überprüft und gegebenenfalls verfeinert werden. Bei dem für die Analysen herangezogenen Coaching-Ansatz handelt es sich jedoch um einen Ansatz, der den vom Deutschen Bundesverband für Coaching (DBVC 2012) etablierten Standards für professionelles Coaching entspricht, so dass das analysierte Coaching professionelles Coaching repräsentiert. Darüber hinaus wurden die in Graf (forthcoming) definierten basalen kommunikativen Aktivitäten auch im Dialog mit der gängigen Coaching-Praxisliteratur entwickelt und mit praktizierenden Coachs diskutiert.
- 4.
Während im vorliegenden Beitrag ‚Veränderung‘ als übergeordnete thematische Ausrichtung der basalen Aktivität fungiert, kann Veränderung auch lokal auf sprachlicher Ebene im Zusammenhang mit einer sich verändernden sprachlichen Darstellung der Klient/innen analysiert werden (vgl. Graf 2011).
- 5.
Während die vier basalen Aktivitäten das Beratungsformat Coaching allgemein kommunikativ beschreiben, erlauben es gerade die fakultativen Kernelemente der jeweiligen kommunikativen Aufgaben die einzelnen Coaching-Ansätze voneinander abzugrenzen.
- 6.
Im Zusammenhang mit den vier basalen Aktivitäten fällt diese Aufgabe in die Aktivität ‚Definition der Situation‘, die sich u. a. dadurch auszeichnet, dass sie primär auf der Meta-Ebene des Coaching-Gesprächs, also im Rahmen eines Gesprächs über das Coaching-Gespräch, Orientierung für die Klient/innen bietet (vgl. Graf forthcoming).
- 7.
Laut Atkinson und Heritage (1984, S. 53 ff.) haben Beteiligte im Gespräch eine Anzahl alternativer, jedoch nicht gleichwertiger, kommunikativer Optionen zur Verfügung, was, und vor allem wie, sie antworten. Diese alternativen Erwiderungen sind nach dem Konzept der ‚Präferenz‘ geordnet: was ist an dieser Stelle im Gespräch erwartbar? (siehe Fußnote 1). Während präferierte Beiträge unmarkiert und ohne (Sprech-)Pausen gestaltet werden, werden dis-präferierte Beitrage oftmals nach Pausen durch Abschwächung, Heckenausdrücken (z. B. irgendwie, also eigentlich…) etc. gestaltet. Die Präferenzorganisation bringt aligning bzw. non-aligning behavior der Beteiligten zum Ausdruck: aligning behavior kooperiert auf der strukturellen Ebene der Interaktion, indem es die vorgeschlagene Aktivität ermöglicht und der formalen Gestaltung folgt (z. B. C stellt eine Frage und K antwortet sofort und inhaltlich abgestimmt auf die Frage). Non-aligning behavior hingegen realisiert sich typischerweise in herausfordernden, kritisierenden oder ablehnenden Erwiderungen und gefährdet so die thematische und strukturelle Weiterentwicklung des Gesprächs (z. B. C interpretiert eine Aussage von K und K lehnt diese Interpretation ab).
- 8.
Fragen sind aus linguistischer Sicht definiert als Äußerungen, die zum einen vom Gegenüber Information, Bestätigung oder eine Handlung erbitten (oder vom Gegenüber interpretiert werden als erbäten sie dies) und zum anderen so ins Gespräch eingebracht werden, dass sie den Empfänger/innen Rederaum bieten, einen responsiven Beitrag zu leisten (vgl. Ehrlich und Freed 2010, S. 6). D.h. Fragen werden nicht durch ihre äußere bzw. syntaktische Form, sondern ihre Funktion im Gespräch definiert. Durch den kommunikativen Akt des Erbetens von Information, Bestätigung oder einer Handlung erhalten professionell Agierende nicht nur das für ihre Agenden relevante Wissen von den Klient/innen, sie können dadurch auch das Gespräch und/oder die seine thematische Entwicklung steuern und kontrollieren (vgl. Drew und Heritage 1992, S. 49).
- 9.
Wie bereits an anderer Stelle hingewiesen, kann das Lachen der Klientin hier als non-verbaler Indikator für die markierte Situation (Ablehnung bzw. Widerstand) interpretiert werden.
Literatur
Atkinson, M., & Heritage, J. (Eds.). (1984). Structures of social interaction. Studies in conversation analysis. Cambridge: Cambridge University Press.
Brinker, K., & Sager, S. (2006). Linguistische Gesprächsanalyse. Eine Einführung. Berlin: Erich Schmidt Verlag.
DBVC. (Hrsg.). (2012). Leitlinien und Empfehlungen für die Entwicklung von Coaching als Profession. Osnabrück: Deutscher Bundesverband für Coaching.
Deppermann, A. (2008). Gespräche analysieren. Eine Einführung. Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften.
Dittmar, N. (2004). Transkription. Ein Leitfaden mit Aufgaben für Studenten, Forscher und Laien. Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften.
Drew, P. & Heritage, J. (1992). Analyzing talk at work: An introduction. In P. Drew & J. Heritage (Eds.), Talk at work. Interaction in institutional settings (S. 3–65). Cambridge: Cambridge University Press.
Ehrlich, S. & Freed, A. (2010). The function of questions in institutional discourse. In A. Freed & S. Ehrlich (Eds.), Why do you ask? The function of questions in institutional discourse (S. 3–19). Oxford: Oxford University Press.
Graf, E. (forthcoming). The Discourses of Executive Coaching. Linguistic Insights into Emotionally Intelligent Coaching. Habilitationsschrift Universität Klagenfurt.
Graf, E. (2011). „Wirksamkeitsforschung und authentische Coaching- Gesprächsdaten: Ist ‚Veränderung‘ im Coaching mittels sprachwissenschaftlicher Methoden analysierbar?“. In E. Graf, Y. Aksu, I. Pick & S. Rettinger (Hrsg.), Beratung, coaching, supervision: Multidisziplinäre Perspektiven vernetzt (S. 131–146). Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften.
Kallmeyer, W. (1985). Handlungskonstitution im Gespräch: Dupont und sein Experte führen ein Beratungsgespräch durch. In E. Gülich & T. Kotschi (Hrsg.), Grammatik, Konversation, Interaktion. Beiträge zum Romanistentag 1983 (S. 81–123). Tübingen: Niemeyer.
Kallmeyer, W. (2000). “Beraten und Betreuen. Zur gesprächsanalytischen Untersuchung von helfenden Interaktionen“. Zeitschrift für Qualitative Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung, 2, 227–252.
Lalouschek, J. (2008). Ärztliche Gesprächspläne und Anliegen von PatientInnen in der chronischen Schmerzbehandlung. Arbeitspapier zum Forschungsprojekt „Schmerzdarstellung und Krankheitserzählung“ Universität Wien, 1–65.
Lalouschek, J. (2013). Anliegensklärung im ärztlichen Gespräch – Patientenbeteiligung und neue Formen medizinischer Kommunikation. In F. Menz (Hrsg.). Schmerzdarstellung und Krankheitserzählungen (S. 353–444). Wien: V & R.
Sacks, H., Schegloff, E., & Jefferson, G. (1974). A simplest systematics for the organisation of turn-taking in conversation. Language, 50(4), 696–735.
Sarangi, S. (2001). On demarcating the space between ‘lay expertise’ and ‘expert laity’. Text, 21(1/2), 3–11.
Sator, M. & Graf E. (2014). Making one’s path while walking with a clear head – (Re-)Constructing clients’ knowledge in the discourse of coaching: Aligning and dis-aligning forms of clients’ participation. In E. Graf, M. Sator, & T. Spranz- Fogasy (Eds.), The Discourses of Helping Professions (S. 91–122). Amsterdam: John Benjamins.
Schulz, F. (2013). The psycho-managerial complex at work: A study of the discursive practice of management coaching. University of St. Gallen, Thesis. Bamberg: Difo- Druck.
Spiegel, C., & Spranz-Fogasy, T. (2001). Aufbau und Abfolge von Gesprächsphasen. In K. Brinker, G. Antos, W. Heinemann, & S. Sager (Hrsg.) Text- und Gesprächslinguistik. Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft (S. 1241–1252). New York: Mouton de Gruyter.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2015 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Graf, EM. (2015). Linguistische Evaluation eines Coaching-Prozesses – Die Ko-Konstruktion der Veränderung durch Coach und Klientin. In: Geißler, H., Wegener, R. (eds) Bewertung von Coachingprozessen. Springer, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-04140-3_11
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-04140-3_11
Published:
Publisher Name: Springer, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-04139-7
Online ISBN: 978-3-658-04140-3
eBook Packages: Psychology (German Language)