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Staatsbürgerschaftsmodelle in westlichen Demokratien. Zu Bedeutung der Staatsbürgerschaft im Integrationsprozess von türkischen Nachkommen in Schweden und in der Schweiz

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Migration und Minderheiten in der Demokratie

Zusammenfassung

Als Demokratien werden heute verschiedene Staatsformen bezeichnet, die Bürgerinnen und Bürgern an der Herrschaftsausübung teilnehmen lassen. In westlichen Demokratien wird diese Teilnahme meist über repräsentative Verfahren, wie Wahlen der Exekutiven (des Präsidenten und/oder des Parlaments) und/oder über Willensbildungsprozesse, wie Initiativenrecht und Abstimmungen, definiert. Dabei definieren sich die Staaten über ein politisches Selbstverständnis und sind folglich sozial und kulturell konstruiert. Sie basieren auf einer „imagined community“, welche sich auf ein gemeinsames ethnisches oder kulturelles Erbe, eine Sprache, eine Religion, ein Gebiet oder eine gemeinsame Geschichte beruft. In den meisten Demokratien wird die Teilnahme durch die Staatsbürgerschaft geregelt. Die Staatsbürgerschaft wird in diesem Verständnis als eine exklusive Beziehung zwischen Staat und Bürgerin oder Bürger verstanden und oft mit Nationalität, respektive der Staatszugehörigkeit gleichgesetzt. Sie bildet das grundlegende Instrument zur Integration der Bevölkerung in die Rechtsgemeinschaft der Demokratie. Diese politische Beziehung zwischen Bürgerin, Bürger und Staat, verfestigte sich mit der Nationalstaatenbildung im 18. Jahrhundert, als die Demokratie zunehmend die autoritären Staatsformen ersetzte, und festigte sich im 19. Jahrhundert im Wohlfahrtsstaat. Mit der Entwicklung des Sozialstaates erhielt der demokratische Staat die Aufgabe, die Gleichheit unter seinen Staatsbürgern zu fördern. Die Staatsbürgerschaft ist fortan das Mittel, die Solidarität unter den Bewohnerinnen und Bewohnern zu stärken und soll den sozialen Zusammenhalt der Nation festigen. Sie ermöglicht die Mitgliedschaft von Individuen und deren gesellschaftliche Partizipation in einer politischen Gemeinschaft, indem sie die notwendigen Rechte und Pflichten für die Teilnahme in einem Staat definiert. Über gemeinsame Traditionen, welche auf der imagined community basieren, und politische Institutionen werden eine soziale Identifikation der Bürgerinnen und Bürger und ihre Solidarität untereinander erreicht. Die Staatsbürgerschaft beinhaltet folglich ein Gefühl der Zugehörigkeit und erfordert die Loyalität gegenüber anderen Staatsbürgerinnen und -bürgern und die Anerkennung der staatlichen Autorität

„Würde der Pass keinen Unterschied machen, denkt man nicht darüber nach ob man ihn hat oder nicht.“

Interview mit Dila, türkischstämmige Schweizerin

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Notes

  1. 1.

    Die Analyse wurde ermöglicht dank der freundlichen Bereitstellung der Daten durch Dr. Rosita Fibbi in der Schweiz und Dr. Constanza Véra-Larrucea in Schweden.

  2. 2.

    In Frankreich in Paris und Strassburg, in Deutschland in Berlin und Frankfurt, in Spanien in Madrid und Barcelona, in Österreich in Linz und Wien, in den Niederlanden in Amsterdam und Rotterdam, in Belgien in Brüssel und Antwerpen, in der Schweiz in Basel-Stadt und Zürich und in Schweden in Stockholm.

  3. 3.

    Die Nachkommen oder Folgegeneration der Migranten, sind Personen, die in dem Land geboren sind, zu dem mindestens ein Elternteil migriert ist. In der Forschung spricht man in diesem Zusammenhang auch oft von der zweiten Generation.

  4. 4.

    Die Staatsbürgerschaft wird in den folgenden Ausführungen mit dem Begriff Bürgerrecht gleichgesetzt. Der Begriff beschreibt einen Rechtsstatus, bei welchem alle sozialen, bürgerlichen und politischen Rechte und Pflichten eines Staates erworben werden. Folglich sind Bürger jene Individuen, die alle Staatsbürgerrechte ausüben können. Im Gegensatz dazu beschreibt die Nationalität die Zugehörigkeit zu einer Nation/Volk, welche sich auch ethnisch oder kulturell definieren kann (vgl. Bauböck 2006).

  5. 5.

    Belgien und die Schweiz basieren beispielsweise beide auf einem multilingualen und föderalen Staatskonzept. Ihre Staatsbürgerschaftspolitik ist jedoch sehr unterschiedlich. Belgien verfolgt eine eher liberale Politik, während die Schweiz restriktive Bedingungen setzt (vgl. Kraler 2006).

  6. 6.

    Das republikanische Modell der Schweiz ist von jenem in Frankreich zu differenzieren. In republikanischen Demokratien stehen politische Partizipation und eine gemeinsame Wertebasis im Vordergrund. Dies hat in der Schweiz zur Folge, dass man von den Migrantinnen und Migranten eine „erfolgreiche“ Anpassung an „Schweizer Werte“ einfordert, bevor sie eingebürgert werden. In Frankreich dagegen führt die republikanische Denkweise dazu, dass man über ein ius soli (Prinzip des Geburtsortes) die Assimilation der neuen Bürgerinnen und Bürger an „die französische Kultur“ erreichen will. Auch hier ist die kulturalistische Argumentation mit ihrer Forderung nach einer kulturell homogenen Gemeinschaft wegweisend.

  7. 7.

    Der Bundesrat hat 2011 eine Totalrevision des Bürgerrechtsgesetzes vorgenommen, welches 2014 vom Parlament verabschiedet wurde. Das neue Bürgerrechtsgesetz wird voraussichtlich 2017 in Kraft treten. Die Änderungen sind v.a. im Bereich der Aufenthaltsdauer und der Festlegung von Integrationskriterien, wie Spracherwerb, wirtschaftliche Teilhabe und Angaben einer „erfolgreichen Integration“

  8. 8.

    Eine Studie der Eidgenössischen Kommission für Migrationsfragen (EKM) zur föderalen Diversität der Migrationspolitik zeigt auf, dass die migrationspolitische Landschaft in der Schweiz zwischen den liberalen französisch- und italienischsprechenden Kantonen und den eher kommunitaristisch – konservativen deutschsprachigen Kantonen gespalten ist (vgl. Wichmann et al. 2011). Ebenso ist der Urbanitätsgrad ein bestimmender Faktor für den Inklusionsgrad der kantonalen Migrationspolitik. Urbane Kantone der lateinischen Schweiz tendieren dazu, Einbürgerungen stets zu erleichtern und gewähren Ausländern zum Teil politischen Rechte auf kommunaler Ebene. Ländliche deutsprachige Kantone dagegen neigen zu restriktiveren Massnahmen, welche den Zugang zu den Bürgerrechten erschwerten (ebd.: 94 ff.).

  9. 9.

    Eine erleichterte Einbürgerung ist nur für Nachkommen von Auslandschweizern und für ausländische Ehepartner vorgesehen.

  10. 10.

    Bis zu 4 Mio. Türken leben im Ausland, wovon sich alleine 3,2 Mio. in Westeuropa aufhalten. Über 60 % davon leben in Deutschland.

  11. 11.

    Da die TIES-Studie hauptsächlich nominale und ordinale Variablen erfasste, wurde eine logistische Regression durchgeführt. Die logistische Regression schätzt den Einfluss verschiedener unabhängiger Variablen auf eine binäre Variable. Die berechneten Odds Ratio (OR) sind immer ein Chancenverhältnis der Gruppenzugehörigkeit. Das Resultat ist folglich als ein Wahrscheinlichkeitswert im Bezug zur Referenzkategorie und der abhängigen Variable zu interpretieren.

  12. 12.

    Mit dem Regierungswechsel 2006 ist in Schweden eine Tendenz zu assimilatorischen Struktur wahrzunehmen. Die Integrationspolitik hat sich noch nicht stark verändert, doch werden migrationspolitische Themen zunehmend debattiert.

  13. 13.

    Siehe Fussnote 6.

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Tab. A1 Logistische Regression zur Wahrscheinlichkeit eines nachobligatorischen Bildungsabschlusses
Tab. A2 Logistische Regression zur Wahrscheinlichkeit der wirtschaftlichen Eingliederung

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Gilliéron, G. (2016). Staatsbürgerschaftsmodelle in westlichen Demokratien. Zu Bedeutung der Staatsbürgerschaft im Integrationsprozess von türkischen Nachkommen in Schweden und in der Schweiz. In: Eigenmann, P., Geisen, T., Studer, T. (eds) Migration und Minderheiten in der Demokratie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-04031-4_6

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