Zusammenfassung
Die Critical Surveillance Studies boomen seit einigen Jahren, obwohl ihnen – oder gerade deswegen – nach wie vor eine klare Definition ihres Gegenstandes ‚Überwachung‘ fehlt. Ihr Kernproblem begründet dabei gleichzeitig ihre Popularität und politische Reichweite: Überwachungsdiskussionen sind normative Diskussionen. Nicht das wie auch immer definierte Überwachen gilt per se als Problem (bei Patienten auf Intensivstationen etwa wird es nicht problematisiert, ebenso wenig, wenn es um die Herkunft von Rindfleisch geht), sondern wer wen zu welchem Zweck überwacht oder wozu Alltagstechnologien wie Handy und Internet oder alltäglich entstehende Datensammlungen potenziell verwendet werden könnten. Die normative Kritik aufgrund dieser Potenzialität bringt den Überwachungskritikern teilweise den Vorwurf ein, paranoid zu sein (Hess und Scheerer 2004). Dem entgegen schwingt des Öfteren die These der Demokratisierung von Kontrolle durch Überwachungstechnologien mit: Weil Datensammlung und Computer ubiquitär seien und somit Überwachung alle beträfe und weil Techniken nur binär – ja/nein, richtig/falsch – entscheiden könnten, spielten typischerweise zuschreibungsrelevante Variablen wie Schichtzugehörigkeit, Geschlecht, Lebensführung oder Ethnizität bei Prozessen der Kriminalisierung und Ausgrenzung keine Rolle mehr. Soziale Kontrolle wäre neutral und somit demokratisiert (vgl. dazu auch Marx 1995).
This is a preview of subscription content, log in via an institution.
Buying options
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Learn about institutional subscriptionsPreview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Adams, A. A. und J. M. Ferryman. 2012. The Future of Automated CCTV Analysis and Its Ethical Implication. Vortragsmanuskript, The Fifth Biannual Surveillance and Society Conference „Watch This Space: Surveillance Futures“. Sheffield.
Berger, P. L. und T. Luckmann. 2000. Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. 5. Aufl. Frankfurt/Main: Fischer Verlag.
Blumer, H. 1981. Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus. In Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, hrsg Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen, 5. Aufl., 80-146. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Davies, S. G. 1999. CCTV: a new battleground for privacy. In Surveillance, Closed Circuit Television and Social Control. hrsg. Norris et al., 243-254. Aldershot/Brookfield USA/Singapore/Sydney.
Feest, J., und E. Blankenburg. 1972. Die Definitionsmacht der Polizei. Düsseldorf: Bertelsmann.
Gill, M., und A. Spriggs. 2005. Home Office Research Study 292: Assessing the impact of CCTV. http://www.homeoffice.gov.uk/rds/pdfs05/hors29.pdf. Zugegriffen: 27.02.2007.
Keckeisen, W. 1974. Die gesellschaftliche Definition abweichenden Verhaltens. München: Juventa Verlag.
Lianos, M., und M. Douglas. 2000. Dangerization and the End of Deviance. British Journal of Criminology40, 261–278.
Hess, H., und S. Scheerer. 2004. Theorie der Kriminalität. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 43: Kriminalsoziologie, hrsg. von S. Karstedt, und D. Oberwittler: 69–92.
Hess, H., und S. Scheerer. 2011. Radikale Langeweile. In Langweiliges Verbrechen, hrsg H. Peters und M. Michael, 27–52. Wiesbaden: VS Verlag.
INDECT Consortium 2009/2012: D1.1 Report on the collection and analysis of user requirements. http://www.indect-project.eu/files/deliverables/public/INDECT_Deliverable_D1.1_v20091029a.pv.pdf/viewZugegriffen: 01.09.2012.
Introna, L. D., und D. Wood. 2004. Picturing Algorithmic Surveillance. The Politics of Facial Recognition Systems. Surveillance & Society2 (2/3), 177–198.
Marx, G. T. 1995. The Engineering of Social Control: The Search for the Silver Bullet. In Crime and Inequality, hrsg J. Hagan and R. Peterson, 225–246. Stanford: Stanford University Press.
Monroy, M. 2012. Nasenhaare in Großformat. Telepolis. http://www.heise.de/tp/artikel/37/37653/1.html. Zugriffen: 20.09.2012.
Norris, C. 2005: Vom persönlichen zum Digitalen. Videoüberwachung, das Panopticon und die technologische Verbindung von Verdacht und gesellschaftlicher Kontrolle. In Bild – Raum – Kontrolle. Videoüberwachung als Zeichen gesellschaftlichen Wandels, hrsg L. Hempel und J. Metelmann, 360–401. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Norris, C., und G. Armstrong. 1999. The maximum surveillance society. The rise of CCTV. Oxford/New York: Berg.
Norris, C., J. Moran, und G. Armstrong. 1999. Algorithmic surveillance: the future of automated visual surveillance. In Surveillance, Closed Circuit Television and Social Control, hrsg. Dies., 255-276. Aldershot/Brookfield USA/Singapore/Sydney.
Rammert, W. 2005. Gestörter Blickwechsel durch Videoüberwachung? Ambivalenzen und Asymmetrien soziotechnischer Beobachtungsordnungen. In Bild – Raum – Kontrolle. Videoüberwachung als Zeichen gesellschaftlichen Wandels, hrsg L. Hempel und J., 342- 359. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Rothmann, R., und S. Vogtenhuber. 2012. Videoüberwachung, Ereigniserkennung und Automation. Wien: IHS. http://www.equi.at/dateien/Rothmann-Vogtenhuber_2012.pdf. Zugegriffen: 01.09.2012.
Schütz, A. 1972. Der Fremde. Ein sozialpsychologischer Versuch. In Gesammelte Aufsätze II. Studien zur soziologischen Theorie, hrsg A. Schütz, 53–69. Den Haag: Nijhoff.
Thomas, W. I., und D. S. Thomas. 1928. The Child in America. Behavior Problems and Programs. New York: Knopf.
Ullrich, P. 2011. Gesundheitsdiskurse und Sozialkritik – Videoüberwachung von Demonstrationen. Zwei Studien zur gegenwärtigen Regierung von sozialen Bewegungen und Protest. München: Deutsches Jugendinstitut.
Wehrheim, J. 2008. Videoüberwachung. Das Interesse am Ungewöhnlichen im gewöhnlichen Alltag, In Bilderatlas des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts, 1949-2006, Bd. 2, hrsg. Paul, Gerhard, 622-629. Göttingen. Vandenhoeck und Ruprecht.
Wehrheim, J. 2011. Kriminologie, Sicherheit und die herrschende Normalität des ungleichen Sterbens. Zur gesellschaftlichen Funktionalität von Kriminalisierung und Securitization. In Langweiliges Verbrechen, hrsg H. Peters und M., Michael , 53–70. Wiesbaden: VS Verlag.
Wehrheim, J. 2012. Die überwachte Stadt. Sicherheit, Segregation und Ausgrenzung. 3. Aufl. Opladen/Toronto: Leske und Budrich.
Welsh, B. C., und D. P: Farrington. 2002. Crime prevention effects of closed circiut televison: a systemetic review. London: Home Office.
Welzer, H. 2009. Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden. Frankfurt a. M.: Fischer Verlag.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2014 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Wehrheim, J. (2014). Definitionsmacht und Selektivität in Zeiten neuer Kontrolltechnologien. In: Schmidt-Semisch, H., Hess, H. (eds) Die Sinnprovinz der Kriminalität. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-03479-5_8
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-03479-5_8
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-03478-8
Online ISBN: 978-3-658-03479-5
eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)