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Höhlen-Mythos und Geburts-Metapher. Die Philosophie Blumenbergs und der erziehungswissenschaftliche Diskurs

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Hans Blumenberg: Pädagogische Lektüren
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Zusammenfassung

Nachdem Egbert Witte die Sperrigkeit Blumenbergs für die ‚pädagogische Kiste‘ – wie Klaus Mollenhauer es einst für die Ästhetik ausdrückte – in fünf Thesen verdeutlicht, rekonstruiert er Blumenbergs These von der widersprüchlichen Anthropologie Platons, die dann in Erscheinung trete, wenn Platons päagogische Texte Menon und Politeia nebeneinander betrachtet werden. Dass es sich bei dieser Interpretation um eine P„latonverlesung“ handele, wurde Blumenberg nicht nur von seinem Schüer Heinrich Niehues-Pröbsting vorgehalten, dessen Kritik Witte aufnimmt. Anerkennend hebt er aber hervor, dass Blumenberg, indem er das passivische Moment in Platons Hölenmythos hervorhebe, die Geburtsmetaphorik im Bildungsgedanken aufschließe, wie sie sich in der vor-neuhumanistischen Tradition bei Eckhart und Paracelsus finden lasse. Denn die „Gebütlichkeit“ (Arendt) der Bildung bestehe in ihrer Negativität – die ‚Geburt‘ sei ein Akt, der nicht selbst initiiert werde, sondern der einem ohne Einwilligung widerfahre – welche aber angesichts kumulativer Kompetenzmodelle zunehmend in Vergessenheit gerate.

Philosophie hatte sich längst überlebt, philosophische Systeme waren von Männern aufgeführte Gebäude, um die Frauen geistig in Schach zu halten, überflüssig wie ein Kropf. (Biggi studierte Pädagogik.)Sibylle Lewitscharoff (2011, S. 59)

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Notes

  1. 1.

    Michael Hartmann hat für den bundesrepublikanischen Gesellschaftsraum mit dem Begriffsinstrumentarium der Bourdieu’schen Soziologie nachgewiesen, dass trotz oder gerade wegen der Bildungsexpansion und der Inflationierung von Bildungszertifikaten seit den 1960ern die Rekrutierungsmechanismen bei der Besetzung von Vorstandsposten in international wirkenden deutschen Unternehmungen von formalen Qualifikationen wie etwa der Promotion in der Jurisprudenz oder Wirtschaftslehre auf subtile Mechanismen des Habitus umstellen, indem eine solche formale Qualifikation zwar nach wie vor noch die conditio sine qua non für eine Einladung zum Vorstellungsgespräch darstellt, hinzu treten muss heute aber auch eine Verhaltenssicherheit, wenn es beispielsweise um den Umgang mit Hummerscheren oder zu filettierendem Fisch geht. Ähnliche Mechanismen lassen sich auch innerhalb des Schulsystems aufweisen, wenn man das Wiederaufleben des totgesagten Latein- und Griechischunterrichts an altsprachlichen Gymnasien seit etwas mehr als zehn Jahren verfolgt: Hier kann man dann mit Bourdieu mutmaßen, dass die Attraktivität dieser Humaniora wohl auch daraus resultiert, dass bildungsambitionierte Eltern ihren Kindern deswegen den Besuch eines altsprachlichen Gymnasiums soufflieren, um diese von ‚Krethi und Plethi’ fernzuhalten, also von solchen Schülerkohorten, die im Zuge ebenjener Bildungsexpansion mittlerweile die ehedem elitären Bildungsinstitutionen erreicht haben und aufsuchen (Witte 2011).

  2. 2.

    Vgl. darin das Kap. VII im sechsten Teil: „Vor Realschulmännern“.

  3. 3.

    Zweiter Teil. Kap. V.

  4. 4.

    Hier findet sich ein zustimmender Hinweis auf eine Analyse meines Gmünder Kollegen Thalmann, welche die Einstellung der Eltern gegenüber der zukünftigen Nachkommenschaft zum Gegenstand hat.

  5. 5.

    Gegenüber der Selbstüberschätzung der Pädagogik dem Politischen gegenüber schreibt Blumenberg weiter: „Das Bedenkliche liegt nicht einmal in der ‚Verstärkung‘ des Politischen durch das Moralische und Emotionale, wovon man doch sagen dürfte, es könne auch wiederum nicht schaden. Bedenklich ist die Umkehrbarkeit: Wo Verbrechen gegen das Menschenrecht und Mord gewütet haben, wird ein Mangel an prohibitiver Gesinnung, an Vorurteilsvorbeugung, an Erziehungseinwirkung verantwortlich gemacht.“ (Blumenberg 1977, S. 148)

  6. 6.

    Ich habe meine beiden Nichten Miriam und Fiona Hallay-Witte, die das Katharineum in Lübeck aufsuchen, mit einem kleinen „Forschungsauftrag“ betraut. Das Ergebnis ist, dass das Lübecker Katharineum seine Vergangenheit aufgearbeitet hat und sich offiziell auch seines ehemaligen Vorzeigeschülers Hans Blumenberg erinnert. – Hierzu passt auch eine Anekdote, der zufolge Blumenberg bei mündlichen Prüfungen den Kandidaten den Rücken zugekehrt habe. Diese Anekdote bestätigte mir unlängst Carl Friedrich Geyer, der eine geraume Zeit in Münster studiert und dort in der Philosophie gearbeitet hatte.

  7. 7.

    Hinsichtlich der Vertreter der kritischen Erziehungswissenschaft wird man mit Heinz-Hermann Krüger (1999) zwischen der eher pessimistischen Bildungstheorie im Anschluss an Adorno – Stichwort „Halbbildung“ – und den Vertretern der zweiten Generation der Kritischen Theorie zu unterscheiden haben, welche im Anschluss an die ‚Theorie des kommunikativen Handeln‘ von Jürgen Habermas im Hinblick auf die Möglichkeiten einer kritischen Bildung eine eher optimistische Perspektive unterbreiten (Klafki, Mollenhauer).

  8. 8.

    Siehe hierzu die Studien von Andreas Dörpinghaus (2009) und Dörpinghaus & Uphoff (2012).

  9. 9.

    Hans Blumenberg: „Eine Interpretation des Höhlengleichnisses muß nicht nur deuten, was dasteht, sondern auch ankreiden, was nicht dasteht; der Neuplatonismus läßt sich in seiner genuinen Problematik als eben dies Bemerken dessen verstehen, was im Höhlengleichnis ungeklärt stehen bleibt: wie kommt es überhaupt zu der Ausgangssituation der Höhle und der Fesselung? Diese gewaltsame Fernhaltung des Menschen vom Tageslicht der Wahrheit sollte in ihrer Unnatürlichkeit und Unwesentlichkeit empfunden werden. Folgerichtig hat der Neuplatonismus den Weg aus der Höhle nicht als primäres Begehen, sondern als Umkehr und Rückkehr gedeutet, das Gleichnis also nicht als Anhalt der Paideia, sondern der Metanoia, der Erlösung. Das gibt der Idee von Wahrheit dort erst ihren Akzent.“ (Blumenberg 1998, S. 45 f.).

  10. 10.

    Zu unterschiedlichen Bezeichnungen als Erzählung, Mythos, Gleichnis oder Parabel siehe Blumenberg (1989, S. 89).

  11. 11.

    Blumenberg spricht von einem traditionellen „Bildungsrespekt“ gegenüber dieser Erzählung mit folgender, bereits innerakademischer und nicht erst neuplatonischer Konsequenz: „Aus dem ‚Bildungsweg‘ der Paideia war schnell so etwas wie eine esoterische Ekstatik geworden: Höhlenausgänge als mystische Erfahrung.“ (Blumenberg 1989, S. 191 f.).

  12. 12.

    Blumenberg assoziiert wie viele andere auch das platonische Bild der Gefesselten mit dem Symbol für das Wirken der Sophisten (Blumenberg 1989, S. 110, 113 & 136).

  13. 13.

    „Zwischen Paideia und Gnosis gibt es ein Ausschließungsverhältnis“ (Blumenberg 1989, S. 46).

  14. 14.

    „Die natürlichen Unterschiede das platonischen Klassenstaates dehnen sich im Epochenaspekt zu solchen der Annäherung an eine künftige Theologie der gnadenhaften Erwählung, der Prädestination einer kleinen Schar inmitten der massa damnata“ (Blumenberg 1989, S. 315). Zu Augustinus’ Position nach 396 siehe Kurt Flasch (1990).

  15. 15.

    Die folgende Darstellung folgt dem älteren Text, der eine intensivere Auseinandersetzung Niehues-Pröbstings mit Blumenberg darstellt. Die gegen Blumenberg erhobenen Vorwürfe finden sich allerdings in beiden Studien. Zu Blumenbergs Verhältnis gegenüber Nietzsche siehe Heinrich Niehues-Pröbsting (2011). Zur antiplatonischen Höhle bei Nietzsche (ebd., S. 208f). Seine eigene Interpretation des Höhlenmythos hat Niehues-Pröbsting in seiner Einführung in die griechische Philosophie vorgelegt (Niehues-Pröbsting 2004, S. 165).

  16. 16.

    In der Schleiermacher-Übersetzung findet sich dieser Sachverhalt wie folgt wiedergegeben: „Denn zuerst, meinst du wohl, daß dergleichen Menschen von sich selbst und voneinander etwas anderes zu sehen bekommen als die Schatten, welche das Feuer auf die ihnen gegenüberstehende Wand der Höhle wirft? – Wie sollten sie, sprach er, wenn sie gezwungen sind, zeitlebens den Kopf unbeweglich zu halten!“ (Platon 1990, S. 555/557. Im Griechischen lautet die zentrale Passage: „τους ɣαρ τοɩουτους πρωτον μεν εαυτων τε καɩ αλληλων οɩεɩ“).

  17. 17.

    Und in der vorangehenden Passage heißt es: „Unbildung ist nicht einfach das Fehlen von Wissen, sondern ‚Torheit‘, der Besitz falscher, täuschender Vorstellungen, die nur deswegen täuschen können, weil der Betroffene sich über sich selber täuscht; jede Täuschung über etwas geschieht auf der Basis einer Selbsttäuschung. Bildung ist demnach ‚Enttäuschung‘ in dem doppelten Sinne, dass nicht nur die falsche Vorstellung, sondern in eins damit die Selbsttäuschung aufgehoben wird; sie impliziert Selbsterkenntnis und damit Selbstbildung. Das aber leistet die ‚edle und vornehme Sophistik‘ der sokratischen Elenktik. Sie ist aber auch ohne die von Blumenberg in der Höhle vermisste bewusste anamnesis möglich. Wenn ich einen Widerspruch zwischen zwei Meinungen konstatiere, die ich beide für wahr gehalten habe, muss ich noch nicht wissen, welche wahr und welche falsch ist, um einzusehen, dass ich mich getäuscht habe. Bevor ich eine Erkenntnis in der Sache erlangt habe, habe ich eine über mich gewonnen: Ich weiß, dass ich nicht weiß. Diese Erkenntnis, die ‚menschliche Weisheit‘ des Sokrates – und nur diese – ist auch in der Höhle möglich“ (Niehaus-Pröbsting 2012, S. 122).

  18. 18.

    Wiewohl die vorliegende Interpretation in einigen Punkten abweicht, hat sie doch zahlreiche Anregungen erhalten von Käte Meyer-Drawe (2008).

  19. 19.

    Dorothee Haßkamp: „Der Vorwurf, durch geschickte Rhetorik könne Unrecht als Recht erscheinen und jeder beliebige Sachverhalt mehrheitsfähig werden, war in Athen ein geläufiger Topos“ (Haßkamp 2005, S. 126). Zu Platon darüber hinaus besonders ebd., S. 71, S. 78 und S. 167. Jochen Bleicken: „Die Struktur der im politischen Raum tätigen Gesellschaft erstickte alle Ansätze zur Elitebildung. Elitär dachten lediglich die Feinde der Demokratie, die sich in politische Klubs zurückgezogen hatten, und natürlich die nachsokratische Philosophie, deren Abneigung gegen den demokratischen Geist weniger aus dem Erlebnis des Sokrates-Prozesses als aus den Voraussetzungen ihres philosophischen Denkens gespeist wurde“ (Bleicken 1995, S. 401). „Die athenische Demokratie ist kein Unfall der Weltgeschichte mehr; sie ist auch nicht der Idealstaat, in dem nicht nur die geistige und künstlerische, sondern auch die politische Kultur ihren einsamen Höhepunkt hatte. Sie ist vielmehr der historische Beleg dafür, daß die unmittelbare Herrschaft einer Masse auch unter dem Vorzeichen einer radikalen politischen Gleichheit über lange Zeit hindurch wirklich funktioniert hat“ (Bleicken 1995, S. 682 f.).

  20. 20.

    „Nur dadurch, daß man das Höhlengleichnis insgesamt als Bild der Anamnesis begreift, läßt sich die Gewalt darin metaphorisch verstehen und reduzieren. Ja, die Erinnerung selbst muß als diese Gewalt gesehen werden. Von ihr kann man nicht sagen, daß sie dem Betroffenen von einem anderen einseitig angetan sei, obwohl ein anderer die Erinnerung auslösen und sie befördern kann – so wie die Liebe vom Liebenden als Gewalt erfahren wird, man aber nicht sagen kann, der Geliebte füge sie dem Liebenden zu. Im Licht dieses Gedankens erscheint es plausibel, daß Platon die Gewalt, die den ersten Gefangenen entfesselt und zur Erkenntnis zwingt, anonym sein läßt. Niemand wird benannt, der diese Gewalt auslöst. Dahinter muß also nicht das Dilemma vom ersten Befreier stehen, der immer schon einen Befreier voraussetzt, der ihn befreit. Diese Deutung würde schließlich den Bruch im Platonismus, den Blumenberg konstatiert, als bloß scheinbaren erklären: die Unverträglichkeit zwischen einem liberalen, sokratisch geprägten Platonismus der Selbstbildung und dem der totalitären Fremderziehung der ‚Politeia‘.“ (Niehues-Pröbsting 1999, S. 355 f.)

  21. 21.

    „…οπτε τɩς λυθεɩη καɩ αναɣκαζοɩτο εξαɩϕηνς ανɩστασθαɩ τε καɩπερɩαɣεɩν τον αυχενα…“ (Platon 1990, S. 515c).

  22. 22.

    Begemann fokussiert allein diesen Aspekt des Gebärens auf dem Gebiet der Kunst und des Sozialen unter Vernachlässigung aller weiteren; insofern ist sein Artikel unbefriedigend (Begemann 2007).

  23. 23.

    „Merkwürdigerweise hat aber noch keine Philosophie, auch keine politische Philosophie sich dazu vermocht, den Menschen auf seine ‚Gebürtlichkeit‘ hin anzusprechen, nämlich darauf hin, dass mit jedem von uns ein Anfang in die Welt kam und daß Handeln im Sinne des Einen-Anfang-Setzens nur die Gabe eines Wesens sein kann, das selbst ein Anfang ist“ Arendt 1968, S. 276).

  24. 24.

    Arendt greift hier immer wieder auf ein Zitat Augustinus’ aus dem XII. Buch, Kap. 21, von „de civitate Dei“ zurück: „[… quod initium eo modo antea nunquam fuit.] Hoc ergo ut esset, creatus est homo, ante quem nullus fuit.“ Augustinus: de civitate dei, libri XI-XXII, S. 379: Bei Lütkehaus wiedergegeben mit: „damit ein Anfang sei, wurde der Mensch geschaffen, vor dem es niemand gab“ oder in der Übersetzung von Wilhelm Thimme: „Diesen Anfang zu machen, ward der Mensch erschaffen, vor dem es keinen anderen gab.“ (Augustinus 1997, S. 98]. Arendt schreibt das Zitat später aber in ihrem Sinne um: „Der Mensch wurde geschaffen, damit überhaupt etwas begann.“ (Arendt 2002, S. 66). Der Satz des Augustinus wird bei Arendt aus dem Kontext gerissen: Während Augustinus in seiner Passage diskutiert, wieso es eine nur begrenzte Anzahl von begnadeten Seelen gibt, gibt Arendt Antwort auf die philosophisch urgente Frage, wieso überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts. Arendt kritisiert überdies an Augustinus das Absehen von der Individualität des Menschen, das darin gründet, dass bei Augustinus allein von der Ewigkeit her das Woher und Wohin des Menschen thematisiert wird (siehe zu dem gesamten Zusammenhang Lütkehaus 2006, S. 24–61, bes. S. 37; Schües 2008).

  25. 25.

    „Bî dem willen des mannes meinet sant Johannes die hœhsten krefte der sêle, der natûre und ir werk ist unvermischet mit dem vleische, und stânt in der sêle lûterkeit, abegescheiden von zît und von stat und von allem dem, daz ze zît und stat kein zuoversiht hât oder smak, die mit nihte niht gemeine enhânt, in den der mensche nâch gote gebildet ist, in den der mensche gotes geslehte ist und gotes sippe. Und doch, wan sie got selben niht ensint und in der sêle und mit der sêle geschaffen sint, sô müezen sie ir selbes entbildet werden und in got aleine überbildet und in gote und ûz gote geborn werden, daz got aleine vater sî; wan alsô sint sie ouch gotes süne und gotes eingeborn sun. Wan alles des bin ich sun, daz mich nâch im und in sich glîche bildet und gebirt“ (Meister Eckhart 1314/1993, S. 236/7).

  26. 26.

    Eckhart beschreibt dementsprechend das sog. „Seelenfünklein“ als „increatum et increabile“ (Witte 2010, FN 9).

  27. 27.

    „Es wissen es alle, daß wir Menschen nackt und bloß geboren werden und bringen weder Kunst noch Weisheit mit uns und warten der Gnaden Gottes, was er uns zuschicke, und gibt uns aus freien Stücken nit mehr denn das Leben, – wir seien oder werden gesund oder krank, das befiehlt er der Natur an. Reden lernen, das befiehlt er unsern Eltern an, und weiter, wenn wir aufwachsen, müssen wir alle Dinge hart und schwer erlernen, und können die kleinste Kunst nit. Wenn wir nun lernen müssen, so muß etwas sein, das nit menschlich ist und uns lehret, denn der Mensch kann ja im Anfange nichts. Wenn wir nun lernen wollen, so ist unser erster Grund Gott, und wir bekennen den als unsern Gott, der uns belehrt und zuschickt, was wir bedürfen“ (Paracelsus 1965, S. 272 f.).

  28. 28.

    Paracelsus beschreibt den Zeugungsakt im Sinne des Ein-Geschlecht-Modells als Vereinigung des männlichen mit dem weiblichen Samen: „er [scil. Gott; EW] hat beschaffen den man und die frauen und hat entwederm geben den samen, damit sie durch kein begirt vom liecht der natur kemen. aber zu merung der geschlecht hat er inen den freien Willen gesezt, ob sie wollen oder nicht, mögen sie geberen und inen den samen geben. und hat inen den samen gesetzt in die fantasei grüntlich, materialisch und mit allem seinem wesen und das also. Wil der man, so macht ime sein speculation ein begirt, der begirt macht im den samen, als lauterer hernach folgen wird. also hat got den samen gesezt in die speculation und hat der speculation geben den freien willen, sich begirlich zu machen oder nit.“ (Paracelsus 1965, S. 254). Einen Überblick über unterschiedliche geschichtliche Vorstellungen zur Geschlechterdifferenz bietet die wissenschaftsgeschichtliche Studie von Thomas Laqueur (1996).

  29. 29.

    „Wie zum Beispiel ein Zimmermann, der baut mit zwei Körpern ein Haus, in dem unsichtbaren, da baut ers in der Bildnis, das ist in der Vorstellung, im sichtbaren baut ers augenscheinlich“ (Paracelsus 1965, S. 221).

  30. 30.

    „So sollte ihr auch hierin verstehen, wie der Leib Gewalt hat zu bauen und zu machen und aufzurichten, was das Bildnis weis; so ist auch dem unsichtbaren Körper möglich, auch dergleichen zu bauen und zu handeln, ein jeglicher Körper nachdem, was seine Eigenschaft, sein Schöpfung innehält“ (ebd).

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Witte, E. (2016). Höhlen-Mythos und Geburts-Metapher. Die Philosophie Blumenbergs und der erziehungswissenschaftliche Diskurs. In: Ragutt, F., Zumhof, T. (eds) Hans Blumenberg: Pädagogische Lektüren. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-03477-1_5

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-03476-4

  • Online ISBN: 978-3-658-03477-1

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