Skip to main content

Die Moral der Anerkennung: Zum Zusammenhang von Autonomie und Anerkennung (Axel Honneth)

  • Chapter
  • First Online:
Book cover Spuren der Anerkennung
  • 8773 Accesses

Zusammenfassung

Dass ‚Anerkennung‘ in wissenschaftlichen Diskursen als eine ethisch-moralische Kategorie verstanden und diskutiert wird, hängt wohl auch mit ihrer alltags- bzw. lebensweltlichen Bedeutung zusammen. Dass aber der Anerkennungsbegriff in den letzten Jahren zu einem auch eigenständigen ‚Zentralbegriff der Ethik‘ (vgl. Halbig 2006) – d. h. zu einem Begriff der Begründungstheorie von Moral – geworden ist, ist insbesondere, wie angedeutet, das Verdienst der im Folgenden ins Zentrum gerückten sozialphilosophischen Arbeiten Axel Honneths. So hat es Honneth in den letzten Jahren immer wieder neu unternommen, den Anerkennungsbegriff zum „Grundstein einer Ethik“ (Honneth 1997a, 25) zu machen. In Re-Lektüren insbesondere der Schriften Hegels erarbeitet er jedoch nicht nur ein „anerkennungstheoretische[s] Konzept der Sittlichkeit“ (ebd. 9). Vielmehr bringt er Anerkennung auch als „normative[.] Grundlage […] einer Gesellschaftskritik“ (Honneth 2003a, 333) zur Geltung und entwickelt schließlich ein anerkennungstheoretisches Gerechtigkeitskonzept (vgl. exemplarisch Honneth 2001b, 2003b, 2003c wie 2004d).

Ich versuche […] bereits seit zwei Jahrzehnten, den Zusammenhang zwischen Moralprinzipien und Anerkennungskategorien zu bestimmen. Bisher ohne einen großen Durchbruch.

(Axel Honneth)

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 59.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as EPUB and PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 84.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Notes

  1. 1.

    Im 2003 publizierten ‚neuen Nachwort‘ zu dieser Studie betont Honneth, dass er sich „heute über mangelnde Kritik und Rückfragen nicht mehr beklagen [kann]“ (Honneth 2003a, 305), weil „[v]or allem im angelsächsischen Sprachraum, in Frankreich und in Skandinavien […] inzwischen eine Diskussion über die zentralen Thesen [s]eines Buches statt[findet], die […] äußerst lehrreich und natürlich auch ermutigend ist“ (ebd.).

  2. 2.

    Als erster unterzieht Mattias Iser 2008 „die Kritischen Theorien von Jürgen Habermas und Axel Honneth […] einem systematischen und umfassenden Vergleich“ (Iser 2008, 12). Dabei bettet er zunächst die von beiden verfolgte rekonstruktive Gesellschaftskritik „in ein Panorama konkurrierender Kritikformen ein[…]“ (ebd. 23), um dann mit Fokus auf den Zusammenhang von ‚Empörung und Fortschritt‘ ihre Ansätze nicht nur zu vergleichen, sondern auch theoretische Schwierigkeiten beider zu verdeutlichen. Letztere lassen sich vermeiden, so Isers These, wenn unter dem Ausweis der ‚Gleichursprünglichkeit‘ (vgl. ebd. 266ff.) sowie der „wechselseitige[n] Stützung der Paradigmen von ‚Verständigung‘ und ‚Anerkennung‘“ (ebd. 195) eine vermittelnde Position eingenommen wird, so dass ‚Verständigung‘ und ‚Anerkennung‘ als gleichermaßen fundamental veranschlagt werden. Entlang des Begriffs der ‚kommunikativen Anerkennung‘ und seiner engen Verbindung mit dem Gefühl der Empörung entfaltet Iser seine „Alternative einer kritischen Theorie“ (ebd. 265) und kommt dabei zu dem Schluss, dass, auch wenn sich die rekonstruktive Gesellschaftskritik dadurch auszeichnet, „dass sie Elemente aller konkurrierenden Kritikformen aufnimmt und in einen gleichermaßen normativen wie formalen Bezugsrahmen einbettet“ (ebd. 302), doch „einiges dagegen [spricht], dass damit die anderen Formen der Kritik überflüssig würden“ (ebd.). Gleichwohl bliebe „eine Gesellschaftskritik, die im beschriebenen Sinne rekonstruktiv verfährt, […] die überzeugendste Stimme“ (ebd.), weil sie „sich ein Gespür für die Vielfalt der Erfahrungen von stillem Leid, Scham und Empörung“ (ebd.) bewahre, „zugleich auf deren unhintergehbare ‚moralische Grammatik‘“ (ebd.) reflektiere und sich „spätestens ‚auf den zweiten Blick‘, alle Missstände durch den Ansatz der kommunikativen Anerkennung (eines normativen Status) erfassen“ (ebd.) ließen; vgl. zu einem weiteren Vergleich von Habermas‘ und Honneths Konzepten Treibel 2006 sowie zu unterschiedlichen Ansätzen der Gesellschaftskritik Jaeggi/Wesche 2009, Forst u. a. 2009 wie Eickelpasch u. a. 2008.

  3. 3.

    Er besitze, so kommentiert Honneth, eine „gewisse“ und, wie er glaube, „relativ gesunde Neigung, die Frage nach dem Verhältnis [s]eines eigenen Anerkennungskonzepts zur Habermas‘schen Kommunikationstheorie nicht allzu sehr zu dramatisieren“ (Honneth 2004b, 100), stoße aber doch „immer wieder auf sachliche Problemzusammenhänge, an denen sich erste, tastende Beschäftigungen mit dem Thema nicht mehr vermeiden lassen“ (ebd.).

  4. 4.

    Unter ‚kritischer Gesellschaftstheorie‘ versteht Honneth somit „die Art von gesellschaftstheoretischem Denken […], die mit dem ursprünglichen Programm der Frankfurter Schule, ja vielleicht mit der Tradition des Linkshegelianismus im ganzen, eine bestimmte Form der normativen Kritik teilt: eine solche nämlich, die zugleich über die vorwissenschaftliche Instanz Auskunft zu geben vermag, in der ihr eigener kritischer Gesichtspunkt als empirisches Interesse oder moralische Erfahrung außertheoretisch verankert ist“ (Honneth 1994a, 78; vgl. auch Honneth 2007).

  5. 5.

    In späteren Texten hat Honneth diese Ausrichtung von Kritik als Verfahren einer ‚internalistischen‘ Kritik (vgl. Honneth 2003a, 334) bezeichnet und in der Antwort auf Rückfragen von Antti Kauppinen (vgl. Kauppinen 2002) ausdifferenziert: Eine ‚internalistische Kritik‘ gesellschaftlicher Verhältnisse, wird, so Honneth, nicht „unter Bezug auf universalistische Prinzipien“ (Honneth 2003a, 334) und insofern nicht ‚extern‘ vorgenommen, sondern „die Maßstäbe der kritischen Beurteilung“ (ebd.) werden „den normativen Überzeugungen entnommen […], die die Adressaten jeweils bereits teilen“ (ebd.). Dabei ließe sich zwischen einer ‚simple internal critique‘, bei der „die internen Maßstäbe einen expliziten Charakter besitzen, in der betreffenden Gesellschaft also öffentlich artikuliert werden“ (ebd.), und einer ‚reconstructive internal critique‘ unterscheiden, bei der Normen „in Form einer ‚Rekonstruktion‘ aus dem Bedeutungsgeflecht der existierenden Sozialpraxis erst interpretativ gewonnen werden, bevor sie als implizite Maßstäbe betrachtet werden können“ (ebd.). Iser verdeutlicht, dass Honneth mit seiner rekonstruktiven Gesellschaftskritik versucht, „jenseits der Dichotomie von ‚extern‘ und ‚intern‘ normative Erwartungen zu explizieren, die in der menschlichen Lebensform als solcher gründen“ (Iser 2008, 9). Dabei visiert Honneth mit seiner Theorie auch deshalb nicht eine bloß rekonstruktiv internalistische Kritik an, weil er entlang der Anerkennungstheorie auch „Kriterien und Potenziale moralischen Fortschritts […] zu diagnostizieren“ (ebd. 302) und eine „universalistisch ausgerichtete Kritik [zu] formulieren“ (ebd.) beabsichtigt, „die zugleich den konkreten Leidens- und Unrechtserfahrungen historisch situierter Subjekte eine Stimme leiht“ (ebd.).

  6. 6.

    Er habe realisieren müssen, so kommentiert Honneth rückblickend, dass sich die Wege zwischen der Habermasschen Fassung der Anerkennungsproblematik und seiner eigenen „schon dort trennen, wo es um die Bestimmung der originären Struktur der menschlichen Intersubjektivität geht“ (Honneth 2004b, 100). Dabei geht es Honneth gerade nicht nur darum, Habermas‘ Kommunikationsparadigma hinsichtlich seiner intersubjektivitätstheoretischen Voraussetzungen zu entfalten, sondern – wie er „etwas kühn formuliert“ (Honneth 1994b, 75) – um eine „anthropologische […] Fundierung der Gesellschaftstheorie“ (ebd.).

  7. 7.

    In jüngeren Überlegungen betont Honneth, „dass der Versuch einer Ersetzung des Verständigungs- durch das Anerkennungsparadigma erst dann erfolgreich wäre, wenn der Begriff der ‚Anerkennung‘ bis hin zur Begründung einer Konzeption der Rationalisierung fortentwickelt werden könnte“ (Honneth 2004b, 109). Zur Debatte stehe dann, wie sich aus dem Anerkennungsbegriff „rationalitätstheoretische Prämissen entwickeln lassen sollen, die zur Grundlage eines Äquivalents für das Habermas‘sche Konzept der gesellschaftlichen Rationalisierung werden können“ (ebd. 106). Dabei stellt Honneth die These auf, dass Prozesse der Veränderung von Anerkennungsverhältnissen deshalb als Rationalisierungsprozesse gelten können, „weil sie zu einem höheren Grad der Individualisierung und sozialen Inklusion der wechselseitigen Anerkennung“ (ebd. 109) führen, räumt jedoch ein, dass er sich „hier noch auf einem Feld weitgehend ungedeckter Spekulationen“ (ebd.) bewege, „die nur den Sinn haben sollen, eine andere Sicht auf den Prozess der gesellschaftlichen Rationalisierung zu eröffnen“ (ebd.); zu Honneths Überlegungen zur Veränderung von Anerkennungsordnungen und zum Zusammenhang von Individualisierung und Integration vgl. Honneth 2003b, 218ff. sowie das folgende Kapitel.

  8. 8.

    Mit seinem anerkennungstheoretischen Konfliktmodell will Honneth dann auch „das motivationstheoretische Defizit der zeitgenössischen Moraltheorie ein Stück weit beheben“ (Honneth 1990a, 1052), betont jedoch ausdrücklich, dass es „jenes erste, utilitaristische Modell […] nicht ersetzen, sondern allein ergänzen“ (Honneth 1992, 265) solle, denn nicht alle Widerstandsformen gingen „auf die Verletzung von moralischen Ansprüchen“ (ebd.) zurück. Es bliebe „stets eine empirische Frage, bis zu welchem Grad ein sozialer Konflikt eher der Logik der Interessenverfolgung oder der Logik der moralischen Reaktionsbildung folgt“ (ebd. 265). Einem anerkennungstheoretischen Konfliktmodell falle aber „über die Ergänzungsfunktion hinaus heute zugleich die Aufgabe einer möglichen Korrektur“ (ebd. 265f.) zu, weil „auch das, was als kollektives Interesse in einem Konflikt handlungsleitend wird […] nichts Letztes und Ursprüngliches darstellen“ (ebd. 266) müsse, sondern sich „bereits vorgängig in einem moralischen Erfahrungshorizont konstituiert haben [könne], in dem normative Ansprüche auf Anerkennung und Achtung eingelassen sind“ (ebd.). Dies sei „etwa überall dort der Fall, wo die soziale Wertschätzung einer Person oder Gruppe mit dem Maß ihrer Verfügung über bestimmte Güter so eindeutig korreliert, daß nur deren Erwerb zu der entsprechenden Anerkennung führen kann“ (ebd.). In einer Debatte mit Nancy Fraser (vgl. Honneth/Fraser 2003a) lehnt Honneth es ausdrücklich ab, mit Blick auf die Gegenwart neue kulturelle Kämpfe gegenüber ‚alten‘ Distributionskämpfen zu positionieren und ‚alte‘ Widerstandskämpfe mit ökonomischen Umverteilungskämpfen (nur) gleichzusetzen (vgl. Honneth 2003b) und betont, dass die Konfliktgeschichte innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft nicht nach einem „Ablaufschema“ zu interpretieren sei, „das einen Übergang von interessegeleiteten zu identitätsorientierten Sozialbewegungen behauptet“ (ebd. 158). Dabei lautet aber seine These nicht nur, dass Ungerechtigkeit „regelmäßig mit Dimensionen vorenthaltener Anerkennung assoziiert worden“ (ebd. 159; Hervorh. N.B.) sei. Vielmehr bekräftigt Honneth, dass „selbst die ‚materiellen‘ Ungleichheiten […] noch als Ausdruck einer Verletzung von berechtigten Ansprüchen auf Anerkennung gedeutet werden können“ (ebd.).

  9. 9.

    Während die Phänomenologie von drei Anerkennungsformen Honneth in Kampf um Anerkennung „einen theoretischen Schlüssel an die Hand gibt, um ebensoviel Weisen der Mißachtung systematisch voneinander abzuheben“ (Honneth 1992, 213), gelangt er in anderen Texten auf dem Wege der Verdeutlichung der „Eigenart moralischer Verletzungen“ (Honneth 2000a, 58) zur Unterscheidung der drei Anerkennungssphären und -formen: „Wenn heute im Abstand von beinah 200 Jahren an den Begriff der ‚Anerkennung‘ angeknüpft wird, um eine Konzeption der Moral einzuführen, so stellt den Ausgangspunkt zumeist eine phänomenologische Analyse von moralischen Verletzungen dar“ (ebd. 63). Entscheidend für diese „negativistische[.] Vorgehensweise“ (ebd. 64) ist „der Gedanke, daß die als ‚Unrecht‘ erlebten Tatbestände einen geeigneten Schlüssel angeben, um „den internen Zusammenhang zwischen Moral und Anerkennung zunächst erst einmal vorgriffshaft zu erläutern“ (ebd.).

  10. 10.

    Über die Logik der „Entstehung solcher kollektiven Bewegungen“, kann erst, so betont Honneth, „eine Analyse [unterrichten], die die sozialen Kämpfe aus der Dynamik moralischer Erfahrungen heraus zu erklären versucht“ (Honneth 1992, 225). Den „empirische[n] Nachweis“ (ebd. 227) dafür, dass die Erfahrung von Mißachtung die Quelle von sozialem Widerstand ist, unternimmt Honneth zum Ende von Kampf um Anerkennung auf „dem indirekten Weg einer theoriegeschichtlichen und illustrativen Annäherung“ (ebd. 227f.). Die Basis bilden die Schriften von Karl Marx, Georges Sorel und Jean-Paul Sartre (vgl. ebd. 230ff.) sowie die Untersuchungen von Edward P. Thompson und Barrington Moore (vgl. ebd. 256ff.). Aus letzteren lässt sich, so resümiert Honneth, „genügend Anschauungsmaterial beziehen, um zumindest erste empirische Belege für die These zu gewinnen, daß sich soziale Auseinandersetzungen nach dem Muster eines Kampfes um Anerkennung vollziehen“ (ebd. 269), so dass „im Hinblick auf geschichtliche Veränderungsprozesse von der Schrittmacherrolle eines ‚Kampfes um Anerkennung‘ zu sprechen“ (ebd. 228) sei.

  11. 11.

    Von dieser These nimmt Honneth allerdings Erfahrungen der physischen Verletzung, Misshandlungen, Folter und Vergewaltigung aus. Diese könnten „nicht einfach mit der historischen Zeit oder dem kulturellen Bezugsrahmen variieren“, weil mit ihnen „stets […] ein dramatischer Zusammenbruch des Vertrauens in die Zuverlässigkeit der sozialen Welt und damit der eigenen Selbstsicherheit einhergehen“ (Honneth 1992, 215).

  12. 12.

    Für die Meadschen Begriffe ‚Me‘ und ‚I‘ verwendet Honneth vielfach die Begriffe ‚Mich‘ und ‚Ich‘, während sie in der mir vorliegenden deutschen Übersetzung von Meads Mind, Self and Society mit ‚ICH‘ und ‚Ich‘ übersetzt wurden; vgl. auch die Nachbemerkung des Übersetzers in Mead 1973, 441ff.

  13. 13.

    Mead verdeutlicht dies zunächst am kindlichen Spiel; vgl. Mead 1973, 194ff.

  14. 14.

    Honneth betont dabei ausdrücklich, dass es „Meads eigener Vorschlag [ist], hier von einer Beziehung der wechselseitigen Anerkennung zu sprechen“ (Honneth 1992, 126; vgl. Mead 1973, 240).

  15. 15.

    In einem späteren Text stellt Honneth heraus, dass die Einführung des ‚Ich‘ bei Mead verdeutlicht, dass „der eine, zentrale Mechanismus der Internalisierung zugleich die Vergesellschaftung und die Individuierung der Subjekte zustande bringen“ (Honneth 2003h, 147) kann. So ginge „der […] Druck in Richtung einer […] Individuierung im Kind von einer Instanz“ (ebd. 148) aus, „die als wenig organisierter Rest im Prozeß der Internalisierung gewissermaßen übrigbleibt“ (ebd.): dem ‚Ich‘. Honneth vereindeutigt das Meadsche ‚I‘ hier wie auch in Kampf um Anerkennung insofern, als dieses nicht in – aus dem ‚Inneren‘ – kommenden ‚Ansprüchen‘ aufgeht. Mead legt in seinen Erläuterungen der ‚Identität‘ (bzw. des ‚self‘) als „Wirbel der gesellschaftlichen Strömung“ (Mead 1973, 225) vielfach eine gesellschaftliche Prägung auch der ‚inneren‘ Verfasstheit des Individuums nahe. So ist das ‚I‘ für Mead insbesondere „die Reaktion des einzelnen auf die Haltung der Gemeinschaft, so wie diese in seiner Erfahrung aufscheint“ (ebd. 240), so dass ‚I‘ und ‚ME‘ getrennt sind und zusammengehören: „Die Trennung von ‚Ich‘ und ‚ICH‘ ist keine Fiktion. Sie sind nicht identisch, da das ‚Ich‘ niemals ganz berechenbar ist. Das ‚ICH‘ verlangt nach einem bestimmten ‚Ich‘, insoweit wir die Verpflichtungen erfüllen, die im Verhalten selbst auftreten, doch ist das ‚Ich‘ immer ein wenig verschieden von dem, was die Situation selbst verlangt. So gibt es also immer den Unterschied zwischen ‚Ich‘ und ‚ICH‘. Das ‚Ich‘ ruft das ‚ICH‘ nicht nur hervor, es reagiert auch darauf. Zusammen bilden sie eine Persönlichkeit, wie sie in der gesellschaftlichen Erfahrung erscheint“ (ebd. 221). Mead begreift so die ‚Identität‘ „im wesentlichen“ als einen „gesellschaftliche[n] Prozeß, der aus diesen beiden unterscheidbaren Phasen besteht“ (ebd.; Hervorh. N.B.); vgl. zu Honneths Mead-Rezeption Markell 2007.

  16. 16.

    Zu den Gründen dieser ‚Abwendung‘ von Mead vgl. Honneth 2003a, 312ff.

  17. 17.

    Da Honneths Rezeption der Objektbeziehungstheorie in seiner Erläuterung der Anerkennungsform der Liebe (vgl. 2.3.1) zentral ist, wird an dieser Stelle verkürzend, d. h. fokussiert auf die Frage nach den motivationalen Ursprüngen des Anerkennungskampfes, auf sie eingegangen.

  18. 18.

    So betont Honneth dann auch, dass das „‚Mich‘ der Selbstverwirklichung“ (Honneth 1992, 139), mit dem das ‚I‘ im Konflikt liegt, nicht das „moralische[.] ‚Mich‘“ (ebd. 140) ist, d. h. es ist „nicht jene Instanz der normativen Verhaltenskontrolle, die ein Subjekt erwirbt, indem es die moralischen Erwartungshaltungen eines immer größeren Kreises von Interaktionspartnern zu übernehmen lernt“ (ebd. 139), sondern ‚Selbstverwirklichung‘ sei „auf die Existenz eines evaluativen ‚Mich‘ angewiesen“ (ebd. 140).

  19. 19.

    Wildt betont, dass, weil eine Person auch ‚nur‘ aufgrund und hinsichtlich von Tatsachen anerkannt werden kann, „eine Form der Anerkennung, die sich auf Personen nicht nur propositional bezieht“, von einer Form der Anerkennung zu unterscheiden wäre, die sich auf Personen „in ausschließlich propositionaler Weise“ (Wildt 2009, 188) bezieht. Insofern sei eine „‚nur propositionale‘ von einer ‚nicht nur propositionale[n]‘ Anerkennung“ (ebd.) zu unterscheiden. Eine solche „Terminologie“ aber wäre ihm „zu pedantisch und zu wenig griffig“ (ebd.). Ich werde im Verlauf der Arbeit jedoch von den Bezeichnungen ‚propositionale Anerkennung‘ und ‚nicht nur propositionale Anerkennung‘ Gebrauch machen, da die Bezeichnung ‚personale Anerkennung‘ in der Gefahr steht, zu verdecken, dass auch Personen (nur) propositional anerkannt werden können.

  20. 20.

    Honneth verweist hier sowohl auf Helmuth Plessners Abhandlung über die Grenzen der Gemeinschaft als auch auf Max Schelers Unterscheidung von drei Wesensformen sozialer Einheit.

  21. 21.

    Man müsse, so kommentiert Honneth, „kein Hegelianer sein“ (Honneth 2004b, 116), um dies anzunehmen. Vielmehr könne man „sich auf die nüchternen Analysen eines Durkheim oder Parsons berufen, um einen derartigen Fortschrittsprozess hypothetisch zu behaupten“ (ebd.). Honneth geht jedoch wenig ‚nüchtern‘ davon aus, dass dieser Wandel nicht von „anthropologischen Funktionserfordernissen“ (Honneth 2003a, 333) ausgelöst wurde, sondern durch einen „Prozess der anerkennenden Erschließung neuer Werteigenschaften des Menschen“ (Honneth 2004b, 116). Die Sphären der Anerkennung seien im historischen Prozess ausdifferenziert worden, „um bestimmten Anteilen der menschlichen Persönlichkeit soziale Anerkennung zu gewährleisten“ (Honneth 1992, 163; Hervorh. N.B.), sie hätten sich „mit den Ansprüchlichkeiten der Selbstverwirklichung“ (Honneth 2004a, 114) entfaltet und geändert.

  22. 22.

    Die Anerkennungsformen sind nach Honneth als Ergebnis von Kämpfen entstanden, die „nur in dem sehr weiten Sinn einer Entschränkung von Subjektivitätspotentialen mit Forderungen nach Anerkennung zu tun“ (Honneth 1992, 272) hatten. So impliziert sein „anerkennungstheoretische[s] Konfliktmodell“ (ebd. 265), dass von ‚Kämpfen um Anerkennung‘ erst ‚sinnvoll‘ dann gesprochen werden kann, wenn im Zuge gesellschaftlicher Entwicklungen Anerkennungsformen zu eigenständigen Sphären ausdifferenziert wurden (vgl. Honneth 2003b, 163). Dennoch betont Honneth, wie angedeutet, dass in „Zeugnisse[n] des moralischen Unbehagens und sozialen Protests vergangener Zeiten“ immer „eine Sprache verwendet wurde, in der Empfindungen verletzter Anerkennung, Achtung oder Ehre semantisch eine zentrale Rolle gespielt haben“ (ebd. 159).

  23. 23.

    Vgl. zu den anerkennungstheoretischen Arbeiten Jessica Benjamins das Kapitel 6; zur Rezeption Benjamins in Honneths Schriften vgl. auch Warsitz 2004.

  24. 24.

    Dies gilt, so betont Honneth, nicht nur im Hinblick auf den kindlichen Entwicklungsprozess, sondern fortdauernd, weil „alle Liebesbeziehungen von der unbewußten Rückerinnerung an jenes ursprüngliche Verschmelzungserlebnis angetrieben werden, das die ersten Lebensmonate von Mutter und Kind geprägt hatte“ (Honneth 1992, 169).

  25. 25.

    Liebe enthält, so Honneths in Kampf um Anerkennung vertretene These, „keine moralischen Erfahrungen […], die aus sich heraus zu sozialen Konfliktbildungen führen können“ (Honneth 1992, 259), weil sich die in ihr vollziehenden Kämpfe und die mit diesen „verknüpften Ziele und Wünsche […] nicht über den Kreis der Primärbeziehung hinaus so verallgemeinern [lassen], daß sie jemals zu öffentlichen Belangen werden könnten“ (ebd. 259f.). Es sei aber, so schränkt Honneth ein, „möglich, daß sich ihre invarianten Grundstrukturen um so unverzerrter und ungezwungener zu entfalten vermögen, je mehr an Rechten die Partner teilen, die sich in einer Freundschafts- oder Liebesbeziehung gegenüberstehen“, weshalb sich „die Darlegung des Anerkennungsmusters der Liebe mit derjenigen des Rechtsverhältnisses“ (ebd. 282) berühre.

  26. 26.

    Die „Quelle von sozialen Auseinandersetzungen“ (Honneth 2003c, 290), welche „den eigenständigen Charakter eines Kampfes um rechtliche Anerkennung“ (ebd.) haben, ist, wie Honneth später pointiert, „die Spannung zwischen dem Prinzip der Rechtsgleichheit und den faktischen Ungleichheiten“ (ebd.).

  27. 27.

    Honneth verweist hier auf die „Anreicherung der rechtlichen Befugnisse des Einzelnen“ (Honneth 1992, 189) durch die Zuerkennung von Freiheits-, Teilnahme- und sozialen Wohlfahrtsrechten sowie durch die „sukzessive Erweiterung der individuellen Grundrechte“ (ebd.).

  28. 28.

    Umgekehrt führt nach Honneth die Vorenthaltung von rechtlicher Anerkennung zu einem Verlust der „Chancen zur individuellen Selbstachtung“ (Honneth 1992, 195). Im Fall der Selbstachtung ist aber, so schränkt Honneth ein, der „Ausweis an der phänomenalen Wirklichkeit […] deswegen von so großer Schwierigkeit, weil sie gewissermaßen überhaupt nur in Negativgestalt zu einer wahrnehmbaren Größe wird“ (ebd.). Dass das Anerkennungsverhältnis des Rechts die Ausbildung der Selbstachtung ermöglicht, könne nur durch ein negativistisches Verfahren geprüft werden: durch „empirische Vergleiche mit Personengruppen […], aus deren Gesamtverhalten sich Rückschlüsse auf die symbolischen Repräsentationsformen der Erfahrung von Mißachtung gewinnen lassen“ (ebd.). Nur wenn Subjekte „unter dem Mangel an rechtlicher Anerkennung leiden würden“ (ebd.) – und dies „in sichtbarer Weise“ (ebd.) –, könne auf „die faktische Existenz von Selbstachtung“ (ebd.) geschlossen werden.

  29. 29.

    Honneth erörtert verschiedentlich die rechtliche Anerkennung im Rückgriff auf die kantische Tradition und entlang des Begriffs des moralischen Respekts als eine Weise der universellen Gleichbehandlung (vgl. exemplarisch Honneth 2000a, 71). Für seine Auslegung des Rechtsverhältnisses in Kampf um Anerkennung sind aber insbesondere die Schriften Meads zentral. Meads diesbezügliche Überlegungen stellten sowohl eine „sozialpsychologisch präzisierte Fassung“ (Honneth 1992, 128) als auch „eine sachliche Vertiefung“ (ebd. 129) der Anerkennungslehre des jungen Hegel dar, denn bei Mead hieße, „sich wechselseitig als Rechtsperson anzuerkennen […], daß beide Subjekte in ihr eigenes Handeln kontrollierend jenen gemeinschaftlichen Willen einbeziehen, der in den intersubjektiv anerkannten Normen ihrer Gesellschaft verkörpert ist“ (ebd.). In Meads Konzeption des generalisierten Anderen werde daher deutlich, dass die Interaktionspartner wissen, „welche Verpflichtungen sie den jeweils Anderen gegenüber einzuhalten haben“ (ebd.) – und zugleich könnten sie sich „auch als Träger von individuellen Ansprüchen begreifen, zu deren Erfüllung sich ihr Gegenüber verpflichtet weiß“ (ebd.). Daher bedeute die Erfahrung der wechselseitigen Anerkennung (als Rechtsperson) bei Mead auch, dass das heranwachsende Individuum „ein Wissen um die Rechte“ (ebd. 127) erwerbe, „die ihm in der Weise zustehen, daß es auf die Respektierung bestimmter seiner Forderungen legitimer Weise rechnen darf“ (ebd.). Bei Mead werde so auch deutlich, dass der Erfahrung von Anerkennung „ein Modus der praktischen Selbstbeziehung“ (ebd.) korrespondiere, den Honneth, wie verdeutlicht, mit dem Begriff der ‚Selbstachtung‘ fasst.

  30. 30.

    Angezeigt wird dieser Strukturwandel der sozialen Wertschätzung, so stellt Honneth heraus, „durch die Umstellung von Ehrbegriffen auf Kategorien des sozialen ‚Ansehens‘ oder ‚Prestiges‘“ (Honneth 1992, 199). Mit letzteren sei zusehends „allein noch der Grad an gesellschaftlicher Anerkennung gemeint, den der einzelne für seine Form der Selbstverwirklichung dadurch verdient, daß er mit ihr zur praktischen Umsetzung der abstrakt definierten Ziele der Gesellschaft in einem bestimmten Maße beiträgt“ (ebd. 204); vgl. dagegen zu den durch Taylors Ausführungen zur ‚Politik der Anerkennung‘ nahe gelegten Ausdifferenzierungen der Sphären des Rechts und/oder der Wertschätzung van Leeuwen 2007 und Cooke 2009.

  31. 31.

    Honneth verweist hier kritisch auf die Analysen Pierre Bourdieus: Bourdieu versuche, das Spektrum von Kämpfen dadurch zu erweitern, dass er „in die Bestimmung der gruppenspezifischen Reproduktionschancen kulturelle und symbolische Güter“ (Honneth 1992, 265) einbeziehe. Er neige aber dazu, „die normative Logik“ (ebd. 206) dieser Kämpfe „auszublenden, weil er seinen Analysen eine ökonomische Theorie des Handelns zugrundelegt“ (ebd.) und damit „[a]n den kollektiven Interessen“ (ebd. 265) ansetze; vgl. auch Honneth 1990b, 177ff. sowie zur Soziologie Bourdieus das Kapitel 8.

  32. 32.

    Auch in Kampf um Anerkennung verknüpft Honneth den in der Wertschätzung bestätigten ‚sozialen Wert‘ mit ‚Leistung‘: Es ist „fortan […] ein, nunmehr allerdings klassen- und geschlechtsspezifisch bestimmter Wertpluralismus, der den kulturellen Orientierungsrahmen bildet, in dem sich das Maß der Leistung des einzelnen und damit sein sozialer Wert bestimmt“ (Honneth 1992, 203). Zugleich sucht Honneth aber, wie im Folgenden deutlich wird, ein Verständnis der Sphäre der sozialen Wertschätzung als bloße „Leistungsordnung“ (Honneth 2004b, 114) zu umgehen. Mit der später unternommenen Fokussierung des Prinzips der Wertschätzung auf ‚Leistung‘ nähert sich Honneth Meads Versuch an, ein „Verhältnis der Anerkennung zu denken“, das „die individuellen Differenzen zwischen den Bürgern eines Gemeinwesens positiv zum Ausdruck“ (Honneth 1992, 129) bringt, und den er in Kampf um Anerkennung als unzulänglich zurückgewiesen hatte: Mead verankere dieses ‚Verhältnis der Anerkennung‘ im „Entwurf eines Modells der funktionalen Arbeitsteilung“ (ebd. 142) und binde solchermaßen die Anerkennung „an die Erfahrung sozial nützlicher Arbeit“ (ebd.), sein Lösungsvorschlag für die dritte Anerkennungssphäre sei „dem Problem der sittlichen Integration moderner Gesellschaften theoretisch nicht gewachsen“, weil sie schon daran scheitern müsse, „daß die Bewertung der arbeitsteilig geregelten Funktionen ihrerseits von den übergreifenden Zielsetzungen eines Gemeinwesens abhängig ist“ (ebd. 145).

  33. 33.

    In Honneths Versuch, ein „tripolare[s] Gerechtigkeitsmodell[.]“ (Honneth 2003b, 219) zu skizzieren, bilden „die drei Grundsätze der Liebe, der Gleichheit und des Verdienstes […] zusammengenommen […], was gegenwärtig unter der Idee der sozialen Gerechtigkeit verstanden werden sollte“ (ebd. 207).

  34. 34.

    Hegels Lehre ist, so betont Honneth, „nur dann […] zu aktualisieren, wenn auch sein Konzept von Sittlichkeit in veränderter, entsubstantialisierter Form erneut zur Geltung langt“ (Honneth 1992, 273).

  35. 35.

    Für dieses ist nicht immer klar, inwiefern es sich vom Konzept der Solidarität unterscheidet; vgl. Honneth 1990a, 1051.

  36. 36.

    Dabei gilt es, so stellt Honneth heraus, nicht nur nach den gesellschaftlichen Ursachen zu fragen, die „für die systematische Verletzung der Anerkennungsbedingungen verantwortlich sind“ (Honneth 1994a, 88), sondern die ‚Kritik‘ müsse auch „die innovative Überprüfung der Grenzziehungen zwischen den Geltungssphären umfassen“ (Honneth 2003b, 220), weil „immer auch die Notwendigkeit einer Aufrechterhaltung der Sphärentrennung“ (ebd. 224) bestehe. Überdies dürfe sich ‚Kritik‘ nicht bloß „am jeweiligen Status quo“ (Honneth 2003c, 296) der Verhältnisse orientieren, sondern sie müsse „über die bloß affirmative Aufgabe hinaus auch eine […] progressive Rolle übernehmen“ (ebd. 216). Die „kritische Aufgabe“ (ebd. 219) bestehe auch in der „advokatorische[n] Verteidigung von moralischen Fortschritten in den jeweiligen Anerkennungssphären selber“ (ebd. 223). Fortschritte bestehen dabei nach Honneth in „Verbesserungen der moralischen Qualität unserer Anerkennungsbeziehungen“ (Honneth 2004b, 116) sowie in der „Ausweitung der jeweiligen Anerkennungssphäre“ (Honneth 2003b, 220). Honneth betont solchermaßen zugleich die Notwendigkeit, „hypothetisch auf einen vorläufigen Endzustand vorzugreifen“ (Honneth 1992, 274); es bedürfe „eines idealisierenden Vorgriffs auf Verhältnisse gelungener, unverzerrter Anerkennung“ (Honneth 1990a, 1054). Der Aufgabe der Kritik sei die Diagnose von Sozialpathologien erst dann gewachsen, wenn sie an den „Geltungsüberhang der Anerkennungsprinzipien gegenüber der Faktizität ihrer sozialen Auslegung“ (Honneth 2003c, 220) anknüpfe – und diesen advokatorisch einklage (vgl. ebd. 219). Honneth nimmt dabei nicht nur an, dass die drei Anerkennungsformen „für Möglichkeiten einer normativen Höherentwicklung offenstehen“ (Honneth 1992, 280), sondern auch, dass „die Ideale der unterschiedlichen Formen von Anerkennung stets mehr an moralisch angemessenem Verhalten [fordern], als jeweils in der besonderen Realität praktiziert wird“ (Honneth 2003a, 341), so dass die Anerkennungsverhältnisse „stets aus sich heraus eine weitere Perfektion“ (ebd.) verlangten und „im historischen Prozeß ein permanenter Lerndruck wirksam ist“ (ebd.).

  37. 37.

    Auch wenn Honneth den Begriff der Autonomie teilweise exklusiv für Rechtsverhältnisse und den Begriff der Selbstverwirklichung dann in Bezug auf alle drei Formen der Anerkennung nutzt, verwendet er doch die Begriffe ‚Autonomie‘ und ‚Selbstverwirklichung‘ vorrangig synonym. Unter Verweis auf Taylor betont er ausdrücklich, dass er mit seinem Begriff der Selbstverwirklichung versucht, „Verwechslungen mit der besonderen Bedeutung zu vermeiden, die der Begriff durch das romantische Authentizitätsideal erhalten hat“ (Honneth 2004b, 112), weshalb er statt des Begriffs der Selbstverwirklichung „häufig noch formalere Begriffe wie den der ‚persönlichen Integrität‘ oder den der ‚Autonomie‘ benutzt“ (ebd.) habe.

  38. 38.

    Honneth stellt heraus, dass „der Versuch, der disziplinär nicht weiter festgelegten ‚Sozialphilosophie‘ ein eigenes Aufgabenfeld dadurch zu eröffnen, dass ihr die Diagnose von sozialen Pathologien zugewiesen wird, […] an der Unmöglichkeit [scheitert], Fragen des guten Lebens trennscharf von Gerechtigkeitsfragen zu unterscheiden“ (Honneth 2004b, 112). Fragen des guten Lebens und Fragen der Gerechtigkeit ließen sich nicht trennen, wenn und weil sich auch Gerechtigkeit an der „Ermöglichung von individueller Selbstverwirklichung bemisst“ (ebd.). Daher fielen die Analyse von sozialen Pathologien und die Analyse von Ungerechtigkeiten mehr oder weniger zusammen; sie berührten sich „aufs engste“ und gingen „vielleicht sogar ineinander über[…], wenn als normatives Kriterium für die Analyse sowohl von sozialen Pathologien wie für Ungerechtigkeiten das Prinzip der ‚Selbstverwirklichung‘ herangezogen wird“ (ebd.). Gleichwohl ließe sich „die Differenzierung von Pathologiediagnose und Gerechtigkeitstheorie auf einer höheren Stufe rechtfertigen“ (ebd.). Wahrscheinlich könnten wir „sozial verursachte Missstände danach unterscheiden, ob von ihnen potentiell alle Gesellschaftsmitglieder (soziale Pathologien) oder nur gewisse Teilgruppen (soziale Ungerechtigkeit) in der Autonomie ihrer Selbstverwirklichung beeinträchtigt werden“ (ebd.). Noch 2005 betont Honneth in seiner anerkennungstheoretischen Studie zur Verdinglichung (vgl. Honneth 2005 sowie das Kapitel 2.5.3), dass sich die Gesellschaftskritik „in den letzten drei Jahrzehnten im wesentlichen darauf beschränkt [hat], die normative Ordnung von Gesellschaften daran zu messen, ob sie bestimmten Prinzipien der Gerechtigkeit genügen“ (Honneth 2005, 106), und dabei „bei allen Erfolgen in der Begründung solcher Standards, bei aller Differenzierung der zugrundezulegenden Hinsichten aus den Augen verloren [hat], daß Gesellschaften auch in einem anderen Sinn normativ scheitern können als in der Verletzung von allgemein gültigen Gerechtigkeitsprinzipien“ (ebd. 106f.)

  39. 39.

    Vgl. Siep u. a. 2004; Honneths Hinweis beim Münsteraner Kolloquium, dass es sich „um eine falsche Entgegensetzung“ handle, weil „sich eine bestimmte Form der Autonomie nur in ‚sittlichen‘ Verhältnissen der wechselseitigen Anerkennung bilden kann“, so dass sich „das Ergebnis hier gar nicht in der Weise von seinem Hervorbringungsprozess trennen [lässt], wie es die Unterscheidung von ‚Zweck‘ und ‚Mittel‘ nahelegt“ (Honneth 2004b, 111), fällt apodiktisch aus und ist letztlich wenig hilfreich, um die Frage nach dem Verhältnis der von ihm verknüpften Normen – Autonomie und Anerkennung – zu klären.

  40. 40.

    Dabei beziehe sich das, „[w]as an moralischen Leistungen hier jeweils verlangt oder erwartet wird, […] auf einen Kreis von Subjekten, dessen Größe mit der Art der Anerkennung variiert“ (Honneth 1997a, 37).

  41. 41.

    Zwischen den Anerkennungssphären besteht, so betont Honneth, „kein harmonisches Verhältnis“ (Honneth 1997a, 39), sondern ein „Verhältnis der steten Spannung“ (ebd.), so dass sich nicht vorentscheiden ließe, „welche der verschiedenen Anerkennungsbeziehungen jeweils vorzuziehen ist, wenn sie in ein und demselben Augenblick konfligierende Ansprüche stellen“ (ebd.). Auch wenn aber Honneth betont, dass wir „im Konfliktfall“ (ebd. 39) entscheiden müssten, „welcher unserer Bindungen wir einen Vorrang einräumen“ (ebd.) weil zwischen ihnen keine „Randordnung“ (ebd.) festgelegt sei, so dass „den gesamten Bereich des Moralischen eine Spannung [durchziehe], die jeweils nur in individueller Verantwortung gelöst werden kann“ (ebd.), folgt seine Anerkennungsethik doch „im Kern den Intuitionen […], die in der Kantischen Tradition der Moralphilosophie seit jeher vorgeherrscht habe“ (ebd. 40): „[I]m Falle eines moralischen Konflikts kommt den Ansprüchen, die alle Subjekte gleichermaßen auf den Respekt ihrer individuellen Autonomie besitzen, ein absoluter Vorrang zu“ (ebd.), so dass das Rechtsverhältnis „eine eingrenzende Wirkung sowohl auf das Verhältnis der Liebe als auch auf die […] Bedingungen der Solidarität aus[übt]“ (Honneth 1992, 283f.). Aus dem „universalistischen Charakter, den die Anerkennungsform des Respekts besitzt“ (Honneth 1997a, 40) ergibt sich für Honneth „eine normative Beschränkung, die solchen Entscheidungen auferlegt ist“ (ebd.): „[W]eil wir alle menschliche Wesen als Personen anerkennen müssen, die das gleiche Recht auf Autonomie genießen, dürfen wir uns aus moralischen Gründen nicht für soziale Beziehungen entscheiden, deren Vollzug eine Verletzung jener Ansprüche verlangen würde“ (ebd.). Gleichwohl unterscheide sich seine Konzeption „von allen Kantischen Prämissen“ (ebd.) hinsichtlich der „Beschreibung dessen, was die Struktur eines solchen Konfliktes ausmacht“ (ebd.) „[N]icht Pflicht und Neigungen stehen sich normalerweise gegenüber, sondern verschiedene Verpflichtungen, die deswegen unterschiedslos einen moralischen Charakter besitzen, weil sie jeweils eine andere Anerkennungsbeziehung zum Ausdruck bringen“ (ebd.); vgl. hierzu kritisch Brumlik 2000. In einem Interview betont Honneth, dass „[f]ür unser Selbstverständnis, für das Leben in der Gemeinschaft, für die soziale Integration […] diese anderen Dimensionen der Anerkennung mindestens eine ebenso große Bedeutung wie die rein rechtliche“ (Honneth 2010b, 14) haben und es „fatal“ (ebd.) wäre, „wenn die anderen Formen der Anerkennung […] aus dem Blick gerieten“ (ebd.), weil den Gesellschaftsmitgliedern „[o]hne Liebe und auch ohne Wertschätzung […] eine wesentliche Dimension des Einbezogenseins“ (ebd.) fehle.

  42. 42.

    Angesichts der häufigen Verwendung des Begriffs der positiven Selbstbeziehung in Honneths Schriften ist der von Veit Bader vorgebrachten These, dass „[t]he core of Honneth‘s […] theory of recognition lies in the (conditions of) positive self-relation“ (Bader 2007, 249), uneingeschränkt zuzustimmen.

  43. 43.

    Honneth betont zwar immer wieder die historische Gewordenheit der Anerkennungsmuster bzw. -formen, zugleich stellt er aber heraus, „daß die gegenwärtig herrschenden Anerkennungsnormen nicht nur von relativer, sondern von universeller Gültigkeit“ (Honneth 2003a, 340) und „nicht bloß von kontingenter Natur sind, sondern einen universalistischen Gehalt besitzen“ (ebd. 337). Solchermaßen sucht er – insbesondere in der Reaktion auf den vorgebrachten Vorwurf, dass „obwohl die Ansprüche auf soziale Anerkennung doch universalistisch gerechtfertigt sein sollen, […] sie Gültigkeit nur relativ zu den normativen Prinzipien zu besitzen [scheinen], die in der gegebenen Gesellschaftsepoche jeweils vorherrschen“ (Honneth 2004b, 115) –, die Anerkennungsformen als „unverzichtbare Voraussetzungen der Bildung und Aufrechterhaltung persönlicher Autonomie“ (ebd. 110) zu begründen, obwohl sich doch seine Dreiteilung der Anerkennungsformen „weder aus der bloßen Übereinstimmung mit empirischen Resultaten der Gerechtigkeitsforschung noch aus der sozialontologischen Unterscheidung von Beziehungsmustern“ (Honneth 2003b, 215), sondern aus der „Besinnung auf historisch hervorgebrachte“ (Honneth 2004b, 110) Bedingungen der Selbstverwirklichung ergeben.

  44. 44.

    Liebe stellt daher nach Honneth „die erste Stufe der reziproken Anerkennung“ (Honneth 1992, 153) und zugleich „die psychische Voraussetzung für die Entwicklung aller weiteren Einstellungen der Selbstachtung“ (ebd. 172) dar. Sie gehe „jeder anderen Form der reziproken Anerkennung sowohl logisch als auch genetisch voraus“ (ebd.), denn sie schaffe „das Maß an individuellem Selbstvertrauen, das für die autonome Teilnahme am öffentlichen Leben die unverzichtbare Basis ist“ (ebd. 174), und verhelfe zu „jene[r] Grundschicht einer emotionalen Sicherheit nicht nur in der Erfahrung, sondern auch in der Äußerung von eigenen Bedürfnissen und Empfindungen“ (ebd. 172). Als solche repräsentiere sie „den innersten Kern aller als ‚sittlich‘ zu qualifizierenden Lebensformen“ (ebd. 282).

  45. 45.

    Von zentraler Bedeutung sind für diese These die Schriften Meads: Zwar werde in Hegels Passagen zur Ehre im System der Sittlichkeit deutlich, dass „die Möglichkeit zu einem […] affirmativen Selbstverhältnis […] von der bestätigenden Anerkennung durch andere Subjekte abhängig ist“ (Honneth 1992, 41), aber erst bei Mead werde „der darin angelegten Intuition die systematische Fassung einer empirischen Hypothese gegeben, derzufolge sich in der Abfolge der drei Anerkennungsformen der Grad der positiven Beziehung der Person auf sich selber schrittweise steigert“ (ebd. 151).

  46. 46.

    Gerade Honneths Bezug auf das Meadsche ‚Ich‘ hätte die Berücksichtigung von Selbst-Fremdheit und Selbst-Entzogenheit ermöglicht, bedeutet es doch nicht allein, wie es bei Honneth scheint, einen kaum zu bändigenden impulsiven Andrang im Innern, sondern entlang dieser Kategorie verweist Mead auch auf eine ‚Fremdheit‘ und konstitutive Entzogenheit des Subjekts für sich. So tritt das ‚Ich‘ bei Mead „in der eigenen Erfahrung direkt“ (Mead 1973, 218) als „historische Figur“ (ebd.) auf, d. h. es kann nur nachträglich erinnert werden und entzieht sich einer bewussten Vergegenwärtigung, so dass die Impulse des ‚Ich‘ für das Bewusstsein der eigenen Identität uneinholbar bleiben (vgl. Schäfer 2000, 32; Borst 2003, 115). Auf das ‚Ich‘ ist es, so Mead, zurückzuführen, „daß wir uns niemals ganz unserer selbst bewußt sind“ (Mead 1973, 217): „Ich spreche zu mir selbst und erinnere mich an meine Worte und vielleicht auch an den damit verbundenen emotionellen Inhalt. Das ‚Ich‘ dieses Moments ist im ‚ICH‘ des nächsten Moments präsent. Auch hier wieder kann ich mich nicht schnell genug umdrehen, um mich noch selbst zu erfassen“ (ebd.). Daher ist das ‚Ich‘ nach Mead „in der Erfahrung nicht direkt gegeben“ (ebd. 218) und es „tritt nicht ins Rampenlicht“ (ebd. 217): „[W]ir sprechen zu uns selbst, aber wir sehen uns nicht selbst“ (ebd.).

  47. 47.

    Vgl. hierzu wiederum die Überlegungen von Andreas Wildt, der einen dreifachen Zusammenhang zwischen personaler (d. h. nicht nur propositionaler) und propositionaler Anerkennung aufzeigt. So stellt er heraus, dass – erstens – „[a]us der spontanen Erkundung und Bejahung des Anderen […] erst dann ein ‚Anerkennen‘ werden kann, wenn es [das Kind; N.B.] den Anderen als Grenze des Eigenen erfährt“ (Wildt 2009, 196), so dass die bloß propositionale der nicht nur propositionalen Anerkennung vorausgehe, denn eine „spontane Tendenz zur Entdeckung, Erforschung und Bejahung des Anderen“ (ebd.) lasse sich „nicht überzeugend als ‚Anerkennen‘ fassen“ (ebd.). Zweitens sei es „für ein gesundes Selbstverhältnis […] zentral, eben die Tatsache anzuerkennen, auf personale Anerkennung angewiesen zu sein“ (ebd.) und – drittens – müssten wir „nicht nur die Tatsache anerkennen, dass wir aufs Anerkanntwerden durch andere angewiesen sind, sondern auch die Tatsache, dass dies Anerkanntwerden für uns nur dann wertvoll ist, wenn wir uns selbst anerkennen“ (ebd.). Dabei sei die „Anerkennung der Realität, um die es in Freuds seelischer Gesundheit ging, […] wesentlich eine Anerkennung der Selbstverantwortlichkeit“ (ebd. 197); in dieser Anerkennung als einem „selbstbezüglichen Anerkennen“ (ebd. 196) liege „ein Verzicht auf die bloß passive, quasi süchtige Anerkennung durch andere“ (ebd. 196f.).

  48. 48.

    Dies sei bereits, so kommentiert Honneth, „beim Stammvater der Anerkennungstheorie […] nicht immer klar“ (Honneth 2003e, 7) gewesen.

  49. 49.

    Honneths späteres Abrücken von Meads Sozialpsychologie verdankt sich einem ähnlichen Einwand: Weil sich bei Mead das, was Anerkennung hieße, „auf den wechselseitigen Akt der Perspektivübernahme“ (Honneth 2003a, 312) reduziere, „ohne daß dabei die Art der Handlung des jeweils Anderen von ausschlaggebender Bedeutung wäre“ (ebd.), entfalle „die Möglichkeit, die Handlungen selber nach ihrem normativen Charakter zu unterscheiden“ (ebd.). Mead stelle den psychischen Vorgang der Perspektivübernahme als einen dar, „der sich unabhängig von der besonderen Weise des wechselseitigen Umgangs Bahn bricht“ (ebd.; Hervorh. N.B.). Überdies stelle für Mead die Wirkungsweise des ‚I‘ „diejenige einer inneren Negation von internalisierten Normen“ (ebd. 313) und „nicht diejenige einer Verurteilung ‚objektiv‘ gegebener Verhaltensstandards“ (ebd.) dar.

  50. 50.

    Ikäheimo grenzt aber auch selber ein, welche attribuierenden Akte als Anerkennungsakte gelten können. Er macht dazu letztere an positiven Effekten fest: Anerkennung vollzieht sich nach ihm dann, wenn „the other person has a positively evaluative attitude towards the attribution, or ‚accepts‘ it” (Ikäheimo 2002, 456). Laitinen versucht dagegen ausdrücklich, die (Richtigkeit oder Angemessenheit von) Anerkennung „independently of the positive effects” (Laitinen 2002, 469) zu bestimmen: „The point is not that the effects of recognition would be irrelevant […]. The point is rather that acts of recognition and misrecognition have their positive and negative effects partly because they are the right and the wrong thing to do” (ebd.). Unübersehbar gerät Anerkennung so in eine Abhängigkeit vom Referenzrahmen der Attribuierung; d. h. ob Anerkennung vorliegt oder nicht, hängt davon ab, was zugeschrieben wird.

  51. 51.

    Auch Ikäheimo versteht seine Unterteilungen, wie Honneth anmerkt, als „ontologische oder anthropologische, auf jeden Fall unhistorische“ (Honneth 2003a, 329) und „orientiert sich faktisch […] an Hegel, wenn er von den drei Dimensionen der Singularität, der Autonomie und der Besonderheit spricht“ (ebd.).

  52. 52.

    Die „Schwierigkeit eines solchen gemäßigten Wertrealismus“ (Honneth 2003a, 324) besteht für Honneth darin, dass im Rahmen dieser Konzeption die „Gefahr eines Relativismus“ (ebd.) entsteht: Weil die Werte bzw. die evaluativen Eigenschaften von Menschen, die anerkannt werden, „nur im Erfahrungshorizont einer bestimmten Lebenswelt Wirklichkeit“ (ebd.) besitzen und sie „ethische Gewißheiten [bilden], deren Charakter sich mit den kulturellen Wandlungen unserer Lebenswelt unmerklich verändert“ (ebd. 331), scheinen sie „eine normative Gültigkeit jeweils nur für eine einzige Kultur zu besitzen“ (ebd. 324). Damit gerät im Rezeptionsmodell die „Geltung der anerkennenden Haltungen“ (ebd.) in eine Abhängigkeit „von den normativen Gegebenheiten der jeweiligen Lebensform“ (ebd.). Honneth bringt nun den „gemäßigten Wertrealismus“ (Honneth 2004a, 58) in Verbindung mit seiner „robusten Fortschrittskonzeption“ (ebd.). Diese impliziert, einerseits „von einer wachsenden Differenziertheit der evaluativen Eigenschaften menschlicher Wesen“ (Honneth 2003a, 325) auszugehen und andererseits „in den kulturellen Wandlungen der menschlichen Werteigenschaften eine gerichtete Entwicklung zu vermuten, die begründete Urteile über die transhistorische Geltung der jeweiligen Anerkennungskultur erlauben würde“ (ebd. 324f.). Dabei gilt, dass „[j]ede neue Werteigenschaft, deren Bekräftigung im Anerkennungsverhalten die Autonomiefähigkeit menschlicher Subjekte erhöht, […] als ein progressiver Schritt im historischen Prozeß kultureller Wandlungen betrachtet werden [muss]“ (ebd. 328). Solchermaßen könne „die mißliche Wahl zwischen einem vollkommen unhistorischen Wertrealismus und einem kulturellen Wertrelativismus“ (ebd. 325) vermieden werden. Im ‚Streit‘ mit Fraser (vgl. Honneth/Fraser 2003a) bringt Honneth nicht nur Autonomie, sondern „Steigerungen der Individualität und der sozialen Inklusion“ (ebd. 328) als Maßstab für die Progressivität kultureller Wandlungen zur Geltung.

  53. 53.

    Eine solche ‚ökonomische‘ Fassung von Anerkennung bahnt sich bereits in früheren Texten Honneths an; vgl.: „Jemanden in einer bestimmten Dimension seiner persönlichen Integrität anzuerkennen kann nichts anderes heißen, als genau diejenigen Handlungen zu vollziehen oder Einstellungen einzunehmen, die ihn zu dem entsprechenden Verständnis seiner eigenen Person gelangen lassen“ (Honneth 1997a, 38; Hervorh. N.B.).

  54. 54.

    Ikäheimo betont, dass „Honneths Arbeiten […] unter anderem deshalb so interessant [sind], weil sie sich einer einfachen Zuordnung entziehen“ (Ikäheimo 2009, 327), insofern Honneth sowohl einen ethischen und psychologischen als auch einen ontologischen Zugang zu ‚Anerkennung‘ wähle; dies gelte nicht nur für seine jüngeren, sondern u. a. aufgrund ihres Bezugs auf die Schriften Meads auch für seine frühen Überlegungen. In Honneths Arbeiten kommt jedoch nicht nur, wie Ikäheimo herausstellt, dem ethischen und psychologischen Aspekt „eine bestimmte Priorität“ (ebd.) zu; vielmehr tendiert Honneth aufgrund dieser Priorität auch dazu, die ‚ontologischen‘ Bedeutungsgehalte von ‚Anerkennung‘ moralisch einzuebnen bzw. aufzuladen.

  55. 55.

    Für diese, so kommentiert Honneth, „würde es im allgemeinen doch ausreichen, mit dem Finger auf eine bestimmte Person zu zeigen, durch eine Bewegung des Kopfes ostentativ in deren Richtung zu weisen oder durch einen Sprechakt explizit deren Existenz zu bestätigen“ (Honneth 2003 f, 16).

  56. 56.

    Honneth verweist hier auf u. a. auf „vorsprachliche[.] Gebärden des Lächelns und des Mitempfindens“ (Honneth 2003 f, 18) sowie auf das „Mienenspiel […] der Anteilnahme“ (ebd. 19) und betont, dass sie „ihre Wurzeln offenbar in Dispositionen [haben], die mit dem Körperschema und den Ausdrucksbewegungen von Kindern aufs engste verknüpft sind“ (ebd. 17).

  57. 57.

    Honneth entwickelt seine Dreiteilung von Anerkennungsformen daher insofern weiter, als er sie „auf verschiedene Aspekte der intelligiblen Freiheit des Menschen“ (Honneth 2003 f, 23) bezieht.

  58. 58.

    Es sei jedoch „bis heute nicht ganz klar, bis zu welchem Anteil das mimische Verhaltensrepertoire der Erwachsenen ein naturgeschichtliches Erbe oder ein Produkt kultureller Sozialisation ist“ (Honneth 2003 f, 25).

  59. 59.

    Vgl. die Ausführungen von Tzvetan Todorov, der Aggression und Gewalt als Wege zur Erlangung von Anerkennung auch in ihrem Zusammenhang mit dem Gefühl der Souveränität kennzeichnet (vgl. Todorov 1998, 111f.): Der Versuch, (indirekte) Anerkennung als bloße Bestätigung des Daseins zu erlangen, kann, so Todorov, „bis zur Vernichtung der anderen“ (ebd.) führen. Zudem seien nicht nur Versuche der ‚Zerstörung‘ anderer, sondern auch „die selbstzerstörerischen Handlungen – vom Kind, das sich bewußt selbst verletzt, um die Aufmerksamkeit seiner Eltern zu erregen, bis zum Selbstmörder, der den Menschen, an deren Liebe es ihm mangelte, eine Botschaft hinterläßt – häufig Bestandteil einer Interaktion mit anderen und des Verlangens nach Anerkennung“ (ebd. 66f.).

  60. 60.

    Vgl. zur Problematik einer aberkennenden Anerkennung bzw. anerkennenden Aberkennung das Kapitel 4.2.

  61. 61.

    Honneths Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass der Verdinglichungsbegriff – das deutschsprachige „Leitmotiv der Sozial- und Kulturkritik“ (Honneth 2005, 11) der 1920er und 1930er Jahre – „wie ein philosophisch unverarbeiteter Brocken […] aus den Untiefen der Weimarer Republik wieder[kehrt] und […] erneut die Bühne des intellektuellen Diskurses“ (ebd. 12f.) betritt.

  62. 62.

    Von einer Verdinglichung in Bezug auf die äußere Natur bzw. auf nicht-menschliche Gegenstände, deren Kern darin besteht, dass wir „die Dinge unseres alltäglichen Umgangs […] bloß noch neutral erfassen und nach externen Gesichtspunkten registrieren“ (Honneth 2005, 74), kann, so erläutert Honneth, „nur in einem indirekten oder derivaten Sinn die Rede“ (ebd. 78) sein, nämlich dann, wenn wir „im Zuge des Erkennens von Gegenständen die Aufmerksamkeit für all die zusätzlichen Bedeutungsaspekte […] verlieren, die ihnen aus der Perspektive anderer Menschen zukommen“ (ebd. 77). Wenn wir die Vielfalt der Bedeutsamkeiten der objektiven Welt „für jene vorgängig anerkannten Anderen aus dem Blick […] verlieren“ (ebd. 78) würden, dann verletzten wir „in einem indirekten Sinn die nicht-epistemischen Bedingungen unseres Umgangs mit anderen Menschen“ (ebd. 79). Honneth verweist dann auch insgesamt auf ein – nicht notwendiges, aber doch mögliches (vgl. ebd. 97) – „wechselseitige[s] Zusammenspiel“ (ebd. 96) sowie auf „Implikationsverhältnisse“ (ebd. 97) zwischen der Verdinglichung anderer Personen, von Objekten und des eigenen Selbst, erläutert dies aber nicht näher, sondern betont, dass hier „weitere[.] Analysen“ (ebd.) notwendig sind.

  63. 63.

    Auch wenn auch in der „affekt-sensiblen Erklärung des Autismus“ (Honneth 2005, 50) deutlich werde, dass „diese Teilnahmslosigkeit […] ihrerseits hirnphysiologisch oder genetisch bedingt sein“ (ebd.) mag, sei aber die Tatsache entscheidend, „daß es dem Kind strukturell verwehrt ist, sich mit dem konkreten Anderen zu identifizieren“ (ebd.).

  64. 64.

    Als „Kontrastfolie“ dient Honneth hier die These, dass „die Spezifik menschlichen Verhaltens in der kommunikativen Einstellung der Perspektivübernahme besteht“ (Honneth 2005, 46).

  65. 65.

    Dabei erläutert Honneth die Überlegungen Cavells im Vergleich zu Jean-Paul Sartres Blickanalysen; vgl. zu einer weiteren Auseinandersetzung Honneths mit Sartre auch Honneth 2003g.

  66. 66.

    Ohne Honneths Re-Lektüre der Schriften von Heidegger, Lukács und Dewey hier genauer nachzuzeichnen, sei mit Thomas Bedorf darauf hingewiesen, dass Honneth deren „jeweilige Analyse des Weltbezugs recht unvermittelt mit seinem Begriff der Anerkennung“ (Bedorf 2010, 67) verbindet.

  67. 67.

    Bereits in Honneths Überlegungen zum Originalmodus der Anerkennung ist von Anerkennung als einer Haltung und Einstellung die Rede: Von ‚Anerkennung‘ solle „als einer ‚Haltung‘ einer handlungswirksam gewordenen Einstellung gesprochen werden“ (Honneth 2004a, 55); der Fokus der Erläuterungen der originalen Anerkennung richtet sich jedoch durchgängig auf deren ‚Handlungscharakter‘.

  68. 68.

    Nach Lukács fehlt der Verdinglichung, so Honneth, „das Element des subjektiven Vorsatzes“ (Honneth 2005, 24). Weil sie daher nicht „auf eine persönlich zurechenbare Verantwortung oder Schuld“ (ebd. 63) verweise, könne sie kein moralisches Vergehen darstellen.

  69. 69.

    Dabei betont Honneth, dass „keineswegs ausgemacht“ sei, „ob wir Einwände gegen eine bestimmte Lebensform unter Hinweis auf sozialontologische Einsichten rechtfertigen dürfen“ (Honneth 2005, 17).

  70. 70.

    Er wolle, so Honneth zum Ende seiner Studie, aufgrund einer „Besorgnis darüber […], daß unsere Gesellschaften eine Entwicklung nehmen könnten, die Lukacs vor achtzig Jahren mit unzureichenden Mitteln und in weit überzogener Verallgemeinerung vorausgeahnt hat“ (Honneth 2005, 107), zeigen, „daß Gesellschaften auch in einem anderen Sinn normativ scheitern können als in der Verletzung von allgemein gültigen Gerechtigkeitsprinzipien“ (ebd. 106f.) und einen Beitrag zu der – „häufig ‚ethisch‘“ (ebd. 107) genannten – Frage leisten, „ob soziale Entwicklungen jenseits aller Gerechtigkeitserwägungen allgemein für wünschenswert gehalten werden können“ (ebd.). Für „Verfehlungen“ (ebd.) dieser Art fehle es „innerhalb der Gesellschaftskritik mittlerweile nicht nur an theoretischer Aufmerksamkeit, sondern auch an halbwegs plausiblen Kriterien“ (ebd.); zum ‚Anderen der Gerechtigkeit‘ vgl. auch Honneth 2000b.

  71. 71.

    Es würde sich dann, so kommentiert Honneth, „um jenes Moment in der anerkennenden Haltung handeln, das herkömmlich ‚Gewissen‘ genannt wird“ (Honneth 2005, 60).

  72. 72.

    Honneth hat hier Praktiken im Blick, „die im weitesten Sinn mit der Selbstpräsentation von Subjekten zusammenhängen“ (Honneth 2005, 104), und vermutet, dass „die Tendenz zur personalen Selbstverdinglichung zunimmt, je stärker die Subjekte in Institutionen der Selbstpräsentation einbezogen sind“ (ebd.). Diese förderten „die Bereitschaft zur Ausbildung selbstverdinglichender Einstellungen“ (ebd. 105), d. h. „eine Form der Selbstbeziehung, in der die eigenen Wünsche und Absichten nicht mehr im Lichte persönlicher Begegnungen artikuliert, sondern nach Maßgabe beschleunigter Informationsverarbeitung nur noch erfaßt und gleichsam vermarktet werden müssen“ (ebd. 106). Sie hielten Individuen „nur noch zur Simulierung bestimmter Absichten an[…]“ (ebd. 104) und würden sie „latent dazu zwingen, bestimmte Empfindungen bloß vorzutäuschen oder abschlußhaft zu fixieren“ (ebd. 105).

  73. 73.

    Todorov fasst die Existenz (bloß) bestätigende Anerkennung als „Anerkennung im engeren Sinne“ (Todorov 1998, 100) und Voraussetzung für die Wertbestätigung. Zur letzteren könne „es erst kommen, wenn die erste bereits vollzogen worden ist“ (ebd.): „Sagt man uns, es sei gut, was wir tun, so impliziert dies, daß man zuvor unsere Existenz anerkannt hat“ (ebd.). Man kann, so Todorovs damit verbundene These, von einer fehlenden Bewunderung durch andere unberührt und „gegenüber der Meinung, die andere von uns haben“ (ebd.), gleichgültig sein, jedoch könne man „nicht unempfindlich bleiben gegenüber einer fehlenden Anerkennung unserer bloßen Existenz“ (ebd.), denn der solchermaßen nicht Anerkannte drohe, „ins Nichts zu stürzen“ (ebd.).

  74. 74.

    Vgl. zur ‚Anerkennung des Unverfügbaren‘ sowie zur Verkennung in der Anerkennung exemplarisch Gamm 2000, Borst 2004b und Bedorf 2010 sowie Kapitel 5.

  75. 75.

    Dies impliziert, dass, auch wenn Honneth durchaus verschiedene Gründe dafür benennt, warum Anerkennung moralisch sein soll – wie den Bruch mit den eigenen egozentrischen Neigungen und Bestrebungen und die Verbindung der Anerkennungssphären mit Pflichten und Verpflichtungen – für Honneths Begründung der Moral der Anerkennung der Zusammenhang von Autonomie und Anerkennung primär ist.

  76. 76.

    Es ist nicht unproblematisch, die Begriffe ‚ideologisch‘, ‚instrumentell‘ und ‚unangemessen‘ bzw. ‚falsch‘ synonym zu verwenden. Weil jedoch Honneth diese Begriffe selber zumeist nicht strikt voneinander trennt, soll auf deren Differenzen hier nicht näher eingegangen werden; vgl. zu Honneths Kritik an Althussers Begriff der Ideologie Honneth 2004a sowie zu Althussers Modell der ideologischen Anrufung bzw. Anerkennung das Kapitel 7.2.2.

  77. 77.

    Honneth kommentiert dabei auch, dass die „primäre Quelle“ der Erfüllung von Anerkennung „im Bereich institutioneller Maßnahmen oder Vorkehrungen“ (Honneth 2005, 67) liegt.

  78. 78.

    Iser verweist darauf, dass Honneth insgesamt nicht hinreichend zwischen interpersonaler und institutioneller Anerkennung unterscheide und seine Konzeption der Anerkennung insofern zu ‚intersubjektiv‘ ausgerichtet sei, als sie insgesamt in der Gefahr stehe, die institutionellen Dimensionen der Anerkennung auszublenden (vgl. Iser 2008, 170ff.).

  79. 79.

    Dass sich Anerkennung indirekt bzw. sekundär in Handlungen vollzieht, stellt Todorov immer wieder heraus (vgl. Todorov 1998, 100ff.) und betont dabei, dass auch „der Spender der direkten Anerkennung […] durch seine aktive Rolle die Befriedigung einer indirekten Anerkennung“ (ebd. 101) erhält, weil das Gefühl bzw. die Empfindung, „daß die anderen einen brauchen (um ihnen Anerkennung zu gewähren), bewirke, daß man sich selbst anerkannt fühlt“ (ebd.). Todorov vermutet, dass „[d]ie Intensität dieser indirekten Anerkennung […] im allgemeinen höher [ist] als die der direkten Anerkennung“ (ebd.).

  80. 80.

    Vgl.: „[I]ndem wir einer anderen Person gegenüber ein Lächeln zum Ausdruck bringen oder eine Willkommensgeste vollziehen, nehmen wir ihr gegenüber Stellung und führen insofern eine Handlung aus. Andererseits aber enthält dieses expressive Verhalten auch den Verweis auf eine Vielzahl anderer Handlungen, weil es in symbolisch verkürzter Form signalisiert, zu welcher Art von Anschlusshandlungen auf Seiten des Aktors eine Bereitschaft entsteht“ (Honneth 2003f, 20).

  81. 81.

    Eben dies unternimmt Todorov im Ausgang von seiner Unterscheidung von Modalitäten der Anerkennung. Todorovs Lesart von negativen Handlungen wie Missachtung, Verachtung und Hass als Anerkennungshandlungen – pointiert: „[D]ie größten Beleidigungen sind besser als überhaupt keine Anerkennung“ (Todorov 1998, 102) – ist, auch wenn seinem Ansatz hier grundsätzlich gefolgt wird, mindestens deshalb zu problematisieren, weil Anerkennung von bestimmten, radikal entwertenden, Spielarten der Ver- und Missachtung strikter zu unterscheiden wäre, als Todorov dies anbietet. So ließen sich Verachtungsformen, die ein Herausfallen aus einer Wertbarkeit überhaupt und eine Verwerfung des Subjekts bzw. die Aberkenntnis seines Status als Subjekt zur Folge haben, von der existenzbestätigenden Anerkennung deshalb unterscheiden, weil sie das Subjekt in den ‚sozialen Tod‘ führen und ihm jegliche Reaktion sowie jeglichen Widerstand absprechen – und solchermaßen seine ‚Handlungsfähigkeit‘ zerstören, Existenz gerade nicht lebbar und möglich, sondern unlebbar und unmöglich machen (können) (vgl. auch Liebsch 2007).

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Corresponding author

Correspondence to Nicole Balzer .

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2014 Springer Fachmedien Wiesbaden

About this chapter

Cite this chapter

Balzer, N. (2014). Die Moral der Anerkennung: Zum Zusammenhang von Autonomie und Anerkennung (Axel Honneth). In: Spuren der Anerkennung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-03047-6_2

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-03047-6_2

  • Published:

  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-03046-9

  • Online ISBN: 978-3-658-03047-6

  • eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)

Publish with us

Policies and ethics