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Formung des Engagements

Zur Situationslogik der Soziologie der Kritik

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Offene Ordnung?

Part of the book series: Wissen, Kommunikation und Gesellschaft ((WISSEN))

Zusammenfassung

Es erscheint durchaus reizvoll, das theoretische Programm der › Soziologie der Kritik ‹ heranzuziehen, um den Stellenwert des Situationsbegriffs, seine theoretischen Problembezüge und Potenziale, aber auch Grenzen als Kategorie soziologischer Theoriebildung zu bestimmen. Schließlich verwendet die Soziologie der Kritik, die mittlerweile unter dem Titel » Soziologie der Konventionen« zu einer allgemeinen Sozialtheorie ausgeweitet wird (vgl. Diaz-Bone 2011), den Begriff › Situation ‹ zur Konstruktion des Gegenstandsbereichs der Soziologie insgesamt.

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Notes

  1. 1.

    Die Traditionslinie der Ökonomie der Konventionen blende ich in diesem Text aus. Die grundbegrifflichen Entscheidungen werden in der Kritik der Kritik besonders deutlich.

  2. 2.

    In diesem sehr französischen Theoriediskurs wiederholt sich im Grunde die Theoriebewegung, die sich in den 1960er Jahren zwischen Parsons’ normativ strukturfunktionalistischer Theorie und der interpretativen Soziologie vollzogen hat.

  3. 3.

    Deutlich ist, dass die Kritik gerade nicht die Theorie der Praxis trifft, weil diese doch Wissenschaft und damit Soziologie als ein relativ autonomes soziales Feld neben anderen konstruiert und somit mitten im Nexus des Feldes der Macht positioniert. Zu beobachten ist an dem ersten Kritikpunkt dementsprechend die Art und Weise der Konstruktion eines theoretischen Gegners, dem gegenüber die eigene Theoriebildung profiliert werden kann.

  4. 4.

    Vgl. zum Verhältnis von Handlungsfreiheit und sozialen Zwängen bei Sartre auch den Beitrag von Jens Bonnemann in diesem Band.

  5. 5.

    Für die Welt der Inspiration wird etwa auf Augustinus’ »De civitate dei« zurückgegriffen; für die Welt des Hauses auf Jacques Benigne-Bossuets »La Politique tiree des propres paroles de l’Ecriture sainte«.

  6. 6.

    Für die Welt der Inspiration wird zum Beispiel auf das Buch »La creativite en pratique« rekurriert, für die Welt des Staatsbürgertums auf »Pour elire ou designer les delegues«, Ratgeber für Gewerkschaftsgliederungen »La section syndicale« usw. Idealtypisch sind die Annahmen, weil in solchen Literaturen in der Regel milieuspezifische Wissensbestände der jeweiligen Autoren repräsentiert sind, die zudem ein »Sein-Sollen« beschreiben. Vergleichbar könnte auch die typische Schreibarbeit im Verlauf eines universitären Studiums durch die Auswertung von Ratgebern über das Schreiben im Studium erhoben werden. Inwiefern diese Typisierungen und auch die typischen Problemkonstellationen, für die sie eine praktische Lösung darstellen sollen, tatsächlich die soziale Wirklichkeit der jeweiligen Welten treffen, bleibt für weitere Forschung offen.

  7. 7.

    Dieser Aspekt markiert einen grundlegenden Unterschied zu dem bekannten Konzept der »sozialen Welten« von Anselm Strauss. Jener bestimmt soziale Welten durch Tätigkeiten, deren Zusammenhänge sowie durch Orte und Technologien, die für die Welten spezifisch sind. Beispiele sind die soziale Welt des Bergsteigens oder des Forschens usw. (vgl. Strauss 2010: 212).

  8. 8.

    Konflikte lassen sich zudem durch Vergeben und Vergessen auflösen (vgl. Boltanski/Thevenot 2011: 67 f.).

  9. 9.

    Diese Fähigkeit erscheint in der Formulierung als »Kunst«, eine »Kunst des Handelns« wie mit de Certeau gesagt werden kann (vgl. 1988), der Bourdieu gleichermaßen einen starren und tendenziell deterministischen Habitusbegriff vorwirft.

  10. 10.

    Siehe dazu nochmals Jens Bonnemann in diesem Sammelband.

  11. 11.

    Diese oder vergleichbare Fragen geraten erst gar nicht in den Blick, wenn man sich weigert, das Habituskonzept oder ähnliches zu berücksichtigen.

  12. 12.

    Es kann auch ein anderes, aber doch dahingehend vergleichbares Konzept verwendet werden, dass die soziobiografische Regulierung der Handlungskompetenz betont wird.

  13. 13.

    Auch Bourdieus Theorie der Praxis (vgl. 2000: 87 ff.) kennt eine vergleichbare Konzeption, die weder durch Thomas noch durch Popper vermittelt ist, wenn sie die › objektiven Möglichkeiten von den › subjektiven Hoffnungen ‹ der Akteure unterscheidet und durch die Verwendung dieser Unterscheidung am Beispiel der Empirie der Kabylei ihren sensus für einen Habitusbegriff gewinnt, der das Handeln durch schwer veränderbare und deshalb dauerhaft das Handeln orientierende Dispositionen verständlich und erklärbar macht.

  14. 14.

    In Bezug auf öffentlich wirksames Handeln schreibt Thevenot. »Die Analyse der Gemeinschaft anhand von Regimes von Engagements hilft uns zunächst bei der Klärung der Frage, welche Wege gebahnt werden müssen, damit eine Rechtsnorm oder eine politische Intervention in größtmöglicher Nähe der betroffenen Personen Anwendung finden kann und – im umgekehrten Sinn – welchen Anforderungen im Hinblick auf die Entwicklung von einem Engagement zum anderen eine Person gerecht zu werden hat, um ihre Stimme öffentlich zu Gehör zu bringen« (2011a: 235).

  15. 15.

    In vergleichbarer Weise kritisiert Habermas (1981: 205) die der Soziologie der Kritik durchaus ähnlichen Theorien von Schütz sowie von Berger und Luckmann als »kulturalistische Verkürzung des Konzepts der Lebenswelt«. Durchaus interessant wäre es auch mit Blick auf die Soziologie der Kritik, das Konzept der Lebenswelt zu diskutieren; ein weiterer Begriff, der gegenüber einzelnen Situationen eine letztlich notwendig anzunehmende Totalität bezeichnet.

  16. 16.

    Ich spare mir an dieser Stelle kritische Überlegungen dazu, worin der Unterschied zwischen Institutionen und Konventionen bestehen soll.

  17. 17.

    Es ist ja nicht zuletzt dieser Aspekt, der dem vorliegenden Sammelband zugrunde liegt und zu verschieden gelagerten Theorieoptionen und Erklärungsbewegungen motiviert hat.

  18. 18.

    Gerade das Beispiel für eine Interaktionssituation, das Andreas Ziemann (in diesem Bd. ) anführt, um herauszustellen, dass die Soziologie der Kritik im Unterschied etwa zu Essers so genanntem »egologischem Ansatz« die › Eigenlogik ‹ der Situation erfasst, belegt, dass Boltanski und Thevenot an diesem Punkt theoretisch keinen Schritt weiter sind als die Theorie der Frame-Selektion – ginge man ins Detail, fielen sie meines Erachtens sogar dahinter zurück. Die von einem politischen Aktivisten gestörte Orchesteraufführung lässt sich schließlich unproblematisch als Sequenz von Frame-Selektionen konstruieren. Das Situative der Interaktionsordnung bleibt gegenüber den › egologischen ‹ Frame-Selektionen ausgeblendet. Die Situation wird im Beispiel dadurch definiert, dass zunächst der Frame » Orchesteraufführung« vom Großteil der Akteure automatisch selektiert wird, bis ein weiterer Akteur, der aus bestimmten Gründen einen anderen Frame selektiert hat, diese Rahmung in Frage stellt. Die Akteure wechseln dann in den bewussten RC-Modus der Frame-Selektion und versuchen, die Störung vor dem Hintergrund ihrer kulturellen Rahmungsmöglichkeiten neu zu definieren usw. Die Soziologie der Kritik expliziert mögliche Frames, die dann legitimerweise gewählt werden können. Das ist ihre primäre Leistung. Über eine Erfassung der Situation durch die »Prüfungen« der Akteure, mit Esser würde man von einem match oder mismatch der Erwartungen sprechen, kommen deshalb auch Boltanski und Thevenot handlungstheoretisch nicht hinaus.

  19. 19.

    Dass eine »grüne Größe« als weiterer Kandidat hinzugefügt wird, schränkt dieses Argument letztlich nicht ein. Das »allgemeine Menschsein« wird dadurch gleichsam durch die Ökologie dieses Seins erweitert.

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Bongaerts, G. (2013). Formung des Engagements. In: Ziemann, A. (eds) Offene Ordnung?. Wissen, Kommunikation und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-01528-2_7

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