Zusammenfassung
Der Befund grausamer Charakterzüge in allerfrühester Kindheit läßt sich in der Analyse von Neurosen und Psychosen ungemein häufig erheben. Man tut freilich unrecht, an die Lebensäußerungen der ersten zwei Jahre unseren moralischen Maßstab anzulegen und Kraftleistungen solcher Kinder, die wirklich noch jenseits von Gut und Böse stehen, bereits als sadistisch oder roh einzureihen, wie es oft zu geschehen pflegt, wenn Eltern oder Erzieher aus der Vorgeschichte von Psychopathen erzählen. Denn psychisch, oder in unserem Falle neurotisch, werden diese Äußerungen erst, wenn sie einem bestimmten Zwecke dienen und dazu unter Abstraktion und mit vorausblickender Tendenz konstruiert werden, wenn sie einem Bezugsystem angehören. Daß sie sich immer aus Möglichkeiten und Fähigkeiten des Erlebens aufbauen, berechtigt natürlich nicht zur Annahme eines konstitutionellen Faktors. In der Tat findet man den Charakterzug der Grausamkeit immer nur als kompensatorischen Überbau bei Kindern, die auch sonst durch ihr Minderwertigkeitsgefühl zu frühzeitigem und überstürztem Ausbau ihres Persönlichkeitsideals gedrängt werden. Begleitende Züge von Trotz, Jähzorn, sexueller Frühreife, Ehrgeiz, Neid, Habsucht, Bosheit und Schadenfreude, wie sie regelmäßig von der leitenden Fiktion erzwungen werden und die Kampfund Affektbereitschaften formieren und mobilisieren helfen, geben das bunt wechselnde Bild des schwer erziehbaren Kindes.
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Dieses Kapitel ist Teil des Digitalisierungsprojekts Springer Book Archives mit Publikationen, die seit den Anfängen des Verlags von 1842 erschienen sind. Der Verlag stellt mit diesem Archiv Quellen für die historische wie auch die disziplingeschichtliche Forschung zur Verfügung, die jeweils im historischen Kontext betrachtet werden müssen. Dieses Kapitel ist aus einem Buch, das in der Zeit vor 1945 erschienen ist und wird daher in seiner zeittypischen politisch-ideologischen Ausrichtung vom Verlag nicht beworben.
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© 1928 J.F. Bergmann in München
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Adler, A. (1928). Grausamkeit. Gewissen. Perversion und Neurose. In: Über den Nervösen Charakter. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-99709-9_9
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