Zusammenfassung
Die Frage nach dem Ursprung des Glaubens an den Totengeist muß neu gestellt werden. Die klassisch gewordenen AntWorten treffen den Inhalt der ursprünglichen und bis heute erhaltenen Vorstellung nicht. Sie gehen von einer Auffassung aus, die selbst wieder Hypothese ist, nämlich daß der Totengeist das einstige Lebensprinzip sei, das im Moment des Todes seine Wohnstätte, den Körper, verlassen und eine neue, selbständige Existenz begonnen habe. Wie scharfsinnig man diese Uberzeugung aus Eindrücken, Erfahrungen und Überlegungen ableiten mag, in diesem Fall ist die ganze Mühe vergeblich, denn eine solche Überzeugung liegt der ursprünglichen Auffassung ganz fern; erst durch Vermengung der grundsätzlich verschiedenen Vorstellungen von Lebensseele und Totengeist ist jenes Bild entstanden, dessen Enträtselung die berühmt gewordenen Theorien versucht haben. Nach dem uralten Glauben, in dem die homerischen Griechen so gut wie andere Kulturvölker mit den Primitiven übereinstimmen, ist dasjenige, was nach dem Tode als Schatten weiterlebt, der ganze Mensch, nicht ein Teil von ihm, sei es auch der wichtigste. Was dieses Wesen vom lebendigen Körper unterscheidet, ist die mangelhafte Dichtigkeit der materiellen Substanz, und vor allem das Fehlen der„Seele“, d. h. eben desjenigen, was die animistische Theorie in ihm selbst wiedererkennen zu müssen glaubte. Es ist ein seelenloser Körper in „vergeistigtem“ Zustande. Daher bei den Totenerscheinungen das beständige Schwanken zwischen der Vorstellung vom Totengeist und der vom umgehenden Leichnam; daher die mystische Verbindung des Totengeistes mit der Leiche oder ihren Überresten.
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Otto, W.F. (1923). Die Herkunft des Totenglaubens. In: Die Manen Oder von den Urformen des Totenglaubens. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-94473-4_4
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