Zusammenfassung
Die durchgehende, in ihrer Kompliziertheit unendlich fein ausgetüftelte Zweckmäßigkeit der organischen Funktionen1 konnte bis jetzt in keinen Zusammenhang mit bekannten Naturkräften gebracht werden, wohl aber mit psychischen Leistungen. Solche nahm man denn auch seit dem Altertum zur Erklärung der Organisation des Lebendigen als mehr oder weniger selbstverständlich an, sie teils einem Schöpfer zuschreibend, teils dem Organismus selber (gestaltende Seele, Aristoteles; Betriebsseele, Roux; Psyche formative, Ariens Kappers). Neuere Vorschläge nehmen wieder etwas Psycheartiges zu Hilfe, aber sie postulieren es bloß ad hoc und können uns keinen Begriff davon geben. Selbst von der „Entelechie“ Drieschs muß B. Fischer konstatieren, daß sie eigentlich nur negativ charakterisiert sei. Allerdings bringt Driesch die Psycheähnlichkeit mit dem zweiten Namen des „Psychoids“ deutlich zum Ausdruck; aber wir bleiben ganz im Unklaren, was das für eine Bedeutung hat. Erst der Mnemismus kann das Verhältnis der psychischen und der organischen Zweckmäßigkeit verständlich machen als zwei Wirkungs- und Anschauungsweisen einer nämlichen Grundfunktion, deren Besonderheit dem Gedächtnis zu verdanken ist.
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Literatur
William Stern nennt nicht mit Unrecht die Person (im psychophysischen Sinne) ein „Zwecksystem“.
Eine mnemonische Lebenstheorie als Mittelweg zwischen Mechanismus und Vitalismus. Biol. generalis (Wien) 3, 406 (1927).
„Mechanismus“hier im gewöhnlichen Sinne.
In der Fischer schen Zusammenstellung betonen die Mechanisten beständig ihren naturwissenschaftlichen Standpunkt mit seiner alleinigen strengen Kausalität und Gesetzmäßigkeit, dem sie hauptsächlich alles gegenüberstellen, was mit der Psyche zu tun hat. Dem gegenüber möchte ich betonen: Heutzutage hat es keinen Sinn, eine Grenze zwischen Naturwissenschaften und anderen Wissenschaften zu machen. Alle realen Objekte, die man studieren möchte, gehören zur Natur (auch Dinge wie Geschehnisse der Geschichte oder die Sprachen; letztere gehören zur Biopsychologie). Einen Unterschied kann man nur in den Methoden machen. Nach der einen Methode sucht man Tatsachen zu sammeln und daraus die wahrscheinlichsten, oder für unseren Verstand geradezu „sichere“Folgerungen zu ziehen. Die andere, allerdings von dem, was man Naturwissenschaften nennt, zuerst bewußt verpönte Methode, besteht darin, daß man aus von instinktiven Bedürfnissen oder sonst ohne genügende Erfahrungsgrundlage abgeleiteten Begriffen allerlei deduziert. Das kann ganz interessant sein, manchmal sogar für einen Naturwissenschafter; aber es ist nicht im gleichen Sinne Wissenschaft. Es ist aber zu bemerken, daß es jetzt keine wissenschaftliche Disziplin mehr gibt, die nicht weitgehend die erstere Methode anwendet, wenn auch neben der zweiten. — Sinnvoll, aber nicht gerade wichtig, ist der Unterschied von „exakten“und anderen Wissenschaften, wobei in den ersteren Maß und Zahl das Wesentliche sind, während sie in anderen, wie Botanik, Zoologie, Psychologie, überhaupt Biologie, zurücktreten. Studiert man nun die Psychologie nach der erstgenannten Methode, so darf man sie nicht anders wie als Naturwissenschaft im Sinne der bisherigen Einteilung bezeichnen. Bringt man Methoden und Ideen der zweiten Art hinein, so ist sie eben nicht mehr lautere „Wissenschaft“, und es hat keinen Sinn, sich mit diesem Mischmasch zu beschäftigen. Wir ignorieren dasselbe im folgenden.
Im einzelnen ausgeführt in der „Naturgeschichte der Seele“.
Brun [Instinktproblem im Lichte der modernen Biologie. Schweiz. Arch. Neur. u. Psych. 6, 96 (1920)]: „Die Instinktfunktion erscheint hier nicht nur als die Fortsetzung der organischen Entwicklung, sondern ist geradezu identisch mit ihr.“— Die meisten Insektenlarven schwitzen bei der Verpuppung eine Chininhülle an die Oberfläche. Andere spinnen noch eine schützende Hülle. Der erstere dieser äquivalenten Vorgänge erscheint rein vegetativ, beim zweiten ist der Instinkt ein besonders wichtiger Bestandteil.
Wir steilem uns z. B. ein, im Auto auf den Bremshebel zu treten, wenn ein Hindernis auftaucht. Nach einiger Übung geht das „rein reflektorisch“. Die erlernten Drehungen an der Lenkstange des Fahrrades werden nach kurzer Zeit untrennbarer Bestandteil des im übrigen reflektorischen Balancements. — In den bedingten Reflexen Pawlows verbinden sich psychoide Reflexe und psychische Gewöhnung zu einer ganz einheitlichen Funktion. Vgl. Ischlondsky, Neuropsyche und Hirnrinde. Berlin und Wien, Urban & Schwarzenberg 1930.
Qu’est-ce que la vie? Paris: Alcan. 1927; und in v. Bertalanffy.
Kritische Theorie der Formbildung. Schaxels Abhandl. zur Theor. Biolog. Berlin.: Bornträger 1928. H. 27, 206/7.
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Bleuler, E. (1931). Mnemismus. Begriff der Mneme. Psyche als Subjekt und als Objekt. In: Mechanismus — Vitalismus — Mnemismus. Abhandlungen zur Theorie der Organischen Entwicklung, vol 6. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-90708-1_4
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