Zusammenfassung
Die meisten Biologen leiten die Lebensfunktionen aus chemisch-physikalischen Eigenschaften bestimmter Atom- oder Molekülkombinationen ab, ohne ein zweckhaftes Prinzip anzunehmen oder ein Zwischenglied, das, wie z. B. die Mneme, ganz neue Zusammenhänge zu den chemisch-physikalischen hineinbrächte. Wenn der Mechanist die Atomkombinationen einer Amöbe oder eines Goethe mit allen ihren physikalischen Eigentümlichkeiten genau nachmachen würde, so hätte er eine lebende Amöbe oder einen Dichter geschaffen (126). Die biologischen Mechanisten berücksichtigen zwar meist die Psyche nicht ausdrücklich, oder dann weichen sie ihr bewußt aus und perhorreszieren wie B. Fischer die Einführung psychisierender Vorstellungen in die Biologie oder sogar in die Hysterie, wie neuestens Kinnier Wilson.
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Literatur
Hübsche Parallele: Vor gerade 100 Jahren erklärte Cuvier „die Unveränderlichkeit der Spezies sei eine notwendige Bedingung für die Existenz der wissenschaftlichen Naturgeschichte“.
„Materie“im landläufigen Sinn; in anderem Zusammenhang müßte ich sagen, es gebe keine Materie, nur Energien.
Die Entstehung der Kulturpflanzen. Abhandlungen aus Naturwissenschaft und Landwirtschaft. Freising-München: Dattern & Cie. 1930.
In, den folgenden Ausführungen über “Wahrscheinlichkeiten sind die Mutationen nicht berücksichtigt, eben weil man sie noch nicht versteht. Das bedingt keinen Fehler, weil emporzüchtende Mutationen bis jetzt nicht beobachtet wurden, um so mehr aber ungünstige neben anscheinend gleichgültigen. — Künstlich erzeugte Mutationen scheinen zum Teil nicht Änderungen der Engramme, sondern der Substanz, die die Engramme trägt, oder mit der sie arbeiten sollen.
Lenz in Lenz, Baur, Fischer, Menschliche Erblichkeitslehre. München: Lehmann 1927. 3. Aufl. 1, 406.
Neuerdings bestreitet man den Nutzen der Angleichung an geschützte Tiere überhaupt. Dann fällt auch für den Mechanisten jedes Verständnis der Ausbildung und Erhaltung der oft raffinierten Ähnlichkeiten weg.
Natürlich sind teratologische Bildungen u. dgl. schon an sich Minusvarianten.
Steiner, Naturforsch. Ges. Zürich 21, II, 27. Allerdings ist auch beim Insektenflügel die ursprüngliche Zahl der Hauptadern 5. Die hintereinander geschalteten fünf Abteilungen des Insektenbeins haben wohl mechanischen Grund, vielleicht ebenso der fünfgliedrige Tarsus und die fünf strahligen Seesterne ?
Es ist in diesem Zusammenhang gesagt worden, der Zufall stehe „an der Grenze der Kausalität“. Das ist mir unverständlich. Zufällig nennen wir in einem absoluten Sinn ein Geschehen, dessen ursächliche Zusammenhänge wir nicht übersehen, in einem relativen Sinne ein Geschehen in Beziehung auf ein anderes, mit dem es ursächlich nicht zusammenhängt. Daß ein fallendes Blatt gerade dahin fällt, oder daß man zweimal nacheinander die gleiche Zahl Augen würfelt, ist Zufall im ersteren Sinne; daß an meinem Namenstag schlecht Wetter ist, ist Zufall im zweiten Sinn; der Kalendertag oder gar mein Name und das Wetter haben zueinander keine kausalen Beziehungen. Die rückwärtigen Ursachenreihen der beiden Geschehnisse verlieren sich im allgemeinen Weltgeschehen, bevor sie zusammentreffen. In keinem dieser Fälle aber fällt es uns ein, an etwas anderes zu denken als an streng kausale Zusammenhänge, ganz wie z. B. in der Physik.
Driesch-Woltereck, Lebensprobleme. Quelle & Meyer 1930. 261f.
Es gibt Eigenschaften, die scheinbar nur wenige Variationsmöglichkeiten haben, so die Farben, von denen es wahrscheinlich nur eine begrenzte Anzahl gibt, wenn man das Unterscheidungsvermögen der Tiere in Betracht zieht. Doch multipliziert sich diese Zahl schon mit den hinzukommenden Helligkeitsgraden, dann aber vor allem mit den ungefähr ins Unendliche gehenden lokalen Verhältnissen der Kombination verschiedener Farben zu Zeichnungen und Mustern, mit der Ausdehnung der Färbung und der Wahl des Körperteils, auf dem sie sich ausbildet. So kann auch diese scheinbar einfachste Qualität leicht viele tausend verschiedene Variationsmöglichkeiten bieten, und wenn es nicht wäre, so gibt es viele andere Qualitäten, die ungeheuer viel variabler sind, als hier angenommen wurde; man denke z. B. an die Form eines Vogelflügels oder eines Fußes. Alle solche Einwände würden aber dadurch entkräftet, daß nach mechanistischen Prinzipien eine Farbe nicht nur in eine andere variieren kann, sondern in einen beliebigen anderen chemischen Körper (Pigment) oder eine beliebige andere physikalische Eigenschaft (Interferenzfarbe).
Man kann auch nicht sagen, daß die Farben für viele Tiere nicht so wichtig wären. Dann würden wir sie nicht sozusagen bloß da antreffen, wo sie gesehen werden können, und wir könnten nicht eine solche Anzahl von Farben in Beziehung zur Umgebung bzw. zum Nutzen bringen.
Noch einen dritten Einwand könnte ich mir denken: Ich habe die Qualitäten nicht nach Genen ausgewählt. Das wäre zur Zeit unmöglich, weil wir prinzipiell die Gene nicht begrenzen können; aber wenn man sich ein Gen denkt, das den Schnabel rot färbt, so steckt in ihm nicht nur die rote Farbe, sondern auch der Sitz auf dem Schnabel, der auch an einem beliebigen anderen Orte sein könnte.
Und wenn jemand auch für hundert Eigenschaften nicht die angenommenen tausend Variationsmöglichkeiten sich denken könnte, so würden sie immer weit überkompensiert durch diejenigen Eigenschaften, die eine für uns unvorstellbar große Menge von Variationen haben.
Oder in anderer Form: Die Entwicklung wäre nichts als „eine andere Mischung der Gene“.
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Bleuler, E. (1931). Mechanismus. Zufall und Auslese. In: Mechanismus — Vitalismus — Mnemismus. Abhandlungen zur Theorie der Organischen Entwicklung, vol 6. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-90708-1_3
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