Zusammenfassung
Es ist eine alte gute Lehre für den angehenden Gerichtssachverständigen, bei der Beurteilung eines Täters dieses Urteil über seinen Seelenzustand auf der Kenntnis des gesamten Menschen aufzubauen, und dabei die Tat nicht oder nur nebenbei zu berücksichtigen. Ist man von vornherein, wie das die Psychiatrie vor 1870 gern tat, allzusehr auf die Tat eingestellt, so erscheint einem manches vielleicht abnorm und kaum verstehbar, was sich motivisch enthüllt, wenn man das Vorleben, das Schicksal und den Charakter des Täters genau erforscht. Eine brutale Ermordung der Pflegemutter mit der Axt erscheint bei dem bisher völlig unauffälligen, sozial positiv eingestellten Täter, der ein liebevoller Gatte und Vater ist, kaum einfühlbar, bis man ergründet, daß der Haß gegen die kleinliche, geizige Pflegemutter aus früher Kindheit stammt: die uneheliche Mutter hatte der Bäuerin den Säugling mit einer größeren Summe und der Weisung übergeben, den Jungen später „etwas Besseres“ werden zu lassen. Statt dessen mußte er Steinbrucharbeiter werden, brachte seine vielköpfige Familie kaum durch und sollte nun auf Betreiben der habgierigen Pflegemutter wegen Nichtbezahlens einer kleinen Schuld auch noch gepfändet werden. Dieses und heftige keifende Schimpfworte gegen den „Bankert“ brachte den Affekt des „Sohnes“ zum Sieden und ergab den Totschlag.
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© 1953 Springer-Verlag OHG, Berlin · Göttingen · Heidelberg
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Gruhle, H.W. (1953). Forensische Psychiatrie. In: Verstehen und Einfühlen. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-88633-1_4
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