Zusammenfassung
Untersuchungen über die organische Grundlage solcher motorischen Störungen, die bis vor wenigen Jahren noch für rein psychogene gehalten wurden, dürften bei dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse weder als Neuerung noch als Wagnis erscheinen. Die systematische Erforschung der Physiologie und Pathologie des extrapyramidalen motorischen Systems, die durch die an der epidemischen Enzephalitis gewonnenen Erfahrungen eine außerordentliche Förderung erfuhr, hat ja neben längst erwarteten auch völlig unerwartete und überraschende Ergebnisse hinsichtlich der Pathogenese von Motilitätsstörungen gezeitigt. Sie hat uns einmal das anatomische Substrat solcher Erkrankungen kennen gelehrt, die einem alten Brauch zufolge zwar häufig noch in dem Kapitel der Neurosen dargestellt wurden, deren organische Natur aber gleichwohl allgemein angenommen wurde, so daß jene pathologisch-anatomischen Entdeckungen längst vermutet oder gefordert waren. Darüber hinaus aber mußte man sich andererseits davon überzeugen, daß durch erworbene organische Schädigungen Bewegungsstörungen, wie lokale Muskelspasmen, einfache oder kompliziert gebaute Tics hervorgerufen werden können, die bis dahin als Paradigma funktioneller Erkrankungen oder noch häufiger als hysterische oder psychogene Reaktionen gegolten hatten.
Aus der Psychiatrischen und Nervenklinik der Charité in Berlin. (Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bonhoeffer.) — Mschr. Psychiat. Neurol, Bd. LXVI, Heft 5/6, 1927.
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Straus, E. (1960). Untersuchungen über die postchoreatischen Motilitätsstörungen, insbesondere die Beziehungen der Chorea minor zum Tic. In: Psychologie der Menschlichen Welt. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-87995-1_3
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