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Antidepressiva in der Nervenarztpraxis

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Book cover Phase-IV-Forschung

Part of the book series: Monographien aus dem Gesamtgebiete der Psychiatrie ((PSYCHIATRIE,volume 49))

  • 16 Accesses

Zusammenfassung

Unter den nervenärztlichen Patienten finden sich vorherrschend Frauen; die Patienten entstammen meist den unteren und mittleren Sozialschichten. Etwa 4/5 der Patienten leiden unter psychiatrischen Störungen und 2/5 unter neurologischen Erkrankungen, d. h. 1/5 an bei- dem. Die größte Erkrankungsgruppe bilden die Neurosen, Persönlichkeitsstörungen und psychogenen Reaktionen. Die Nervenärzte wenden im Durchschnitt 10 min pro Patient auf, was im Einzelfall 5 min oder 40 min bedeuten kann. Die Praxismitarbeiter tragen ebenfalls noch einen wichtigen Teil zur Patientenbetreuung bei.

Unter syndromatologischen Gesichtspunkten stellen depressive Störungen die quantitativ wichtigste Erkrankungsgruppe dar. Die Depressionsdiagnostik bei amulanten Patienten wirft eine Reihe spezieller Probleme auf, die letztlich dazu führen, daß eine nosologische Abgrenzung nur für die endogenen Depressionen erfolgt und alle anderen depressiven Störungen nur auf der syndromatologischen Ebene betrachtet werden. Die endogenen Depressionen machen weniger als 1/5 der depressiven Erkrankungen aus. Etwa ein weiteres 1/5 muß als depressives Syndrom bei einer anderen Grunderkrankung, d.h. als sekundäre Depression verstanden werden, womit 3/5 der Erkrankungen als psychogene Depression zu bezeichnen sind. Der durchschnittliche aktuelle Depressivitätswert der in Behandlung befindlichen Patienten ist relativ niedrig, fast an der Grenze zu Normalwerten, wobei körperliche Beschwerden ausgeprägter erscheinen als Stimmungsbeschwerden. Bei mehr als der Hälfte der Patienten muß von einem längerdauernden Erkrankungsverlauf ausgegangen werden. Über die Hälfte der depressiven Fälle muß als Depression im Involutionsalter bezeichnet werden.

87% der nervenärztlichen Patienten werden medikamentös und etwa 60% psychopharmakologisch behandelt. 38% bekommen sogar mehrere Psychopharmaka gleichzeitig. Bei Patienten mit Psychoseerkrankungen ist der Anteil medikamentöser Behandlungen noch etwas höher, insgesamt werden jedoch auch psychogene Erkrankungen und vor allem auch psychogene Depressionen in der Mehrzahl psychopharmakologisch behandelt. Der relativ geringe Unterschied in der Verordnungshäufigkeit dieser Medikamente bei endogen depressiven und psychogen depressiven Patienten ist ein Hinweis darauf, daß in der Praxis zielsymptomorientiert medikamentös behandelt wird. Ein Vergleich der psychopharmakologischen Verordnungen durch Nervenärzte in Berlin (West) und der Bundesrepublik Deutschland bei depressiven Erkrankungen zeigt keine wesentlichen Unterschiede zwischen beiden Erhebungsbereichen und bestätigt die vorgenannten Feststellungen.

Die Dosierungen der eingesetzten Antidepressiva liegen im Niedrig- bis Niedrigstdosisbereich. Diese Feststellung trifft für unterschiedliche Präparate, für Kurz- wie Langzeitbehandlungen und für junge wie alte Patienten zu. Die Antidepressiva werden in gut 4/5 der Fälle mit anderen Psychopharmaka kombiniert verordnet, worunter Tranquilizer mit 3/4 der Fälle die größte Bedeutung haben. Die Antidepressiva werden des weiteren in mehr als 1/4 der Fälle im Sinne einer Langzeitbehandlung eingesetzt.

Mehr als 2/3 der mit Antidepressiva behandelten Patienten klagen über nebenwirkungsähnliche Beschwerden, die allerdings von Krankheitssymptomen kaum zu trennen sind. Etwa die Hälfte dieser Patienten führt jedoch zumindest einen Teil der Beschwerden auf die medikamentöse Behandlung zurück. Beschwerden, die besonders häufig als Nebenwirkungen von Antidepressiva bezeichnet werden, fallen in die Kategorien sedierender Wirkungen, anticholinerger Wirkungen, Hypotonie und Tremor. Etwa 5% der Behandlungen werden im Verlauf eines Quartals wegen Nebenwirkungen abgebrochen, wobei vor allem Unruhe, Schlafstörungen, Übelkeit, Kopfschmerzen und kardiale Mißempfindungen als Grund genannt werden. In 3/4 dieser Fälle setzen die Patienten eigenständig aufgrund solcher Miß- empfindungen die Behandlung ab. Dies geschieht vor allem während der ersten 14 Tage der Behandlung.

Mit und ohne Nebenwirkungen scheidet fast jeder zweite Patient während eines 3monatigen Therapieverlaufs vorzeitig aus der Behandlung aus. Vergleicht man Therapieabbrecher und Therapievollender, dann zeigt sich, daß die Abbrecher vergleichsweise einen schlechteren Kontakt zum behandelnden Arzt haben, mehr dysfunktionale Kognitionen äußern und eine geringere Gesundheitsmotivation haben. In der Gruppe der Therapievollender finden sich mehr Frauen, Patienten mit niedrigerem sozioökonomischen Status und mehr chronische Erkrankungsverläufe. Vergleicht man aus der Gruppe der Patienten, die in der Therapie verblieben sind, solche, die ihre Medikamente regelmäßig eingenommen haben mit denen, die sie unregelmäßig eingenommen haben, dann lassen sich keine eindeutigen Unterscheidungen hinsichtlich soziodemographischer Variablen und Erkrankungsdaten finden. Bestenfalls haben die Patienten mit unregelmäßiger Einnahme etwas chronischere Erkrankungsverläufe. Ein Vergleich von Arzt- und Patientenangaben mit dem Befund eines objektiven Urintestes zeigt, daß beide die wahre Compliance überschätzen. Am Ende der Behandlung sind Patienten mit guter Compliance deutlich weniger depressiv als solche mit unregelmäßiger Medikamenteneinnahme.

Bevor über Einzelheiten der Behandlung mit Antidepressiva in der Nervenarztpraxis berichtet wird, sollen zunächst die nervenärztlichen und darunter insbesondere depressiven Patienten dargestellt und einige grundsätzliche Zöge der Behandlungsmodalitäten in der Nervenarztpraxis aufgezeigt werden. Diese Informationen beschreiben die Rahmenbedingungen, unter denen die Verordnung von Antidepressiva erfolgt. Im weiteren werden dann spezielle Aspekte der Verordnungspraxis wie Indikationsstellung, Dosierung, Medikationskombination, Dauer, Nebenwirkungen und Compliance jeweils gesondert dargestellt und diskutiert.

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Linden, M. (1987). Antidepressiva in der Nervenarztpraxis. In: Phase-IV-Forschung. Monographien aus dem Gesamtgebiete der Psychiatrie, vol 49. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-83194-2_5

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