Zusammenfassung
Im Jahre 1919 berief der Leiter der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg, Professor Karl Wilmanns, den Kunsthistoriker und Psychiater Hans Prinzhorn an sein Institut, um eine bestehende Sammlung von ca. 500 bildnerischen Arbeiten seiner Patienten zu inventarisieren und wissenschaftlich zu bearbeiten. Prinzhorn war jedoch der Auffassung, der magere Corpus an Arbeiten erlaube keine fundierte Darstellung der damit zusammenhängenden Probleme, und begann, Rundschreiben an deutschsprachige, aber auch französische und italienische Kliniken zu verschicken, in denen er um die Zusendung von Dokumenten bat. In den drei folgenden Jahren wuchs die Sammlung auf ca. 6000 Werke an — Zeichnungen, Ölgemälde, Skulpturen, Hefte und Briefe, die sämtlich spontan, ohne jede Motivation und Anregung von Seiten bspw. des Klinikpersonals entstanden waren. Das Ergebnis seiner Arbeit faßte Prinzhorn zunächst in einem Aufsatz „Das bildnerische Schaffen Geisteskranker“1 und schließlich in seinem noch heute als Standardwerk geltenden, 1922 erschienen und schon 1923 in einer zweiten Auflage gedruckten Buch „Die Bildnerei der Geisteskranken“ zusammen. In seinem Vorwort begründete Prinzhorn die Verwendung des Begriffs der „Bildnerei“ mit den methodischen Problemen, denen er sich gegenübersah, und der Wahl eines „psychologisch möglichst zentral gelegenen Begriffs, der sich schon dem sogleich zu entwickelnden Hauptproblem — künstlerische Gestaltung und Weltgefühl des Geisteskranken — nähert, nämlich (des Begriffs) der Gestaltung.“2 Den Begriff der Kunst, den ein Jahr zuvor Walter Morgenthaler in seiner Monographie über Adolf Wölfli „Ein Geisteskranker als Künstler“3 nicht gescheut hatte, vermied Prinzhorn bewußt, da „Kunst“ Wertungen beinhalte, die seinen Intentionen zuwiderliefen; ginges ihm doch nicht darum, innerhalb des bildnerischen Schaffens der Geisteskranken Kunst von Nicht-Kunst zu unterscheiden, sondern die Bildwerke psychologisch zu „erschauen“4, d.h. auf ihren Sinngehalt und das darin sich äußernde Weltgefühl hin zu befragen.
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Literature
Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 52, 1919, S. 307–326.
Hans Prinzhorn: Bildnerei der Geisteskranken. 3. Aufl. Berlin, Heidelberg, New York 1983. S. 7.
Walter Morgenthaler: Ein Geisteskranker als Künstler. Bern 1921. Nachdruck Berlin 1985.
Stephen Prokopoff: The Prinzhorn Collection and Modern Art. In: The Prinzhorn-Collection. Illinois, Miami, Chicago, Ithaca 1984–1985. S. 18.
ebd.
Paolo Bianchi, in: Kunstforum International Bd. 101, Juni 1989, S. 67 ff.
Roman Buxbaum, in: Von einer Wellt zu’r andern. Kunst von Außenseitern im Dialog. Köln 1990. S. 41 ff.
Paolo Bianchi: Der Künstler — Narr und Nomade. In: Kunstforum International. Bd. 112, März/April 1991, S. 98 ff.
Paolo Bianchi in: Kunstforum International Bd. 112, März/April 1991, S. 119.
Kurt Badt: Der kunstgeschichtliche Zusammenhang. In: Kunsttheoretische Versuche, Köln 1968, S. 157.
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Emmerling, L. (1993). Bildnerei der Geisteskranken, Art Brut und Außenseiterkunst — Ansätze zu einer Begriffsklärung. In: Heidelberger Jahrbücher. Heidelberger Jahrbücher, vol 37. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-78440-8_6
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