Kolumbus und (k)ein Ende

Zusammenfassung

Das „Kolumbusj ahr“, das „gefeiert“ oder nur „begangen“ wurde und ins Gerede kam, lange bevor das Kalenderjahr 92 begann, ist vorüber. Es gab eine Vielzahl spektakulärer und weniger spektakulärer Ereignisse: Segelregatten und Kreuzfahrten auf Nachbauten der Kolumbus-Schiffe, die auf den Spuren desselben den Atlantik bereisten, um — so das Anliegen etwa des vom spanischen Staat finanziell und vom spanischen Schlagerstar Julio Iglesias stimmlich geförderten Unternehmens „Abenteuer 92“ — für Völkerverständigung zu werben; Ausstellungen wie die eher bescheiden ausgefallene, Kolumbus und der Seefahrt gewidmete Ausstellung in Genua, die gigantische „Expo“ in Sevilla oder die Berliner Ausstellung „Amerika 1492–1992“, die (so der Ausstellungskatalog) „zur kritischen Reflexion von Geschichte“ anzuregen suchte’; Kongresse, Symposien und Schülerwettbewerbe; Gedenkfeiern, Paraden und Gottesdienste, aber auch Protestmärsche, Sit-ins und andere Störaktionen dort, wo die „Gedenkfeier“ zur Jubelfeier geriet oder die verhalten proklamierte „kritische“ Intention bei den Veranstaltern der gleichermaßen intendierten Selbstdarstellung und Selbstbespiegelung zum Opfer fiel. Kolumbus schien allgegenwärtig: auf Briefmarken, Gedenkmünzen und T-Shirts, in bundesdeutschen Wohnstuben als respektabler Seefahrer in einem Gesellschaftsspiel für die ganze Familie, auf Häuserwänden in Lateinamerika als Graffiti mit der (weniger respektvollen) Parole „Colón, paredón“, „Stellt Kolumbus an die Wand“. Die Presse führte eine nicht enden wollende Debatte über Bedeutung und Folgen des erinnerten Ereignisses; Verlage überschwemmten den Markt mit Textausgaben, wissenschaftlichen Publikationen, Sachbüchern und fiktionaler Literatur zum Thema, darunter über ein Dutzend Romane aus der Feder spanischer, lateinamerikanischer, US -amerikanischer und sogar deutscher Autoren; und schließlich gab’s als multimediale Spektakel (mindestens) vier Opern, vier Kinofilme und eine unüberschaubare Zahl von Fernsehfilmen, Dokumentationen und Reportagen, in denen dem (bundesdeutschen) Zuschauer auch ein Kulenkampff seine populärwissenschaftlich verpackten Einsichten unterhaltsam vermitteln durfte.