Zur prämorbiden Persönlichkeit des Melancholikers

Zusammenfassung

Diese Ausführungen sollen die prämorbide Persönlichkeit (s. Blankenburg, 1986) des Melancholikers unter dem Aspekt beleuchten, wie weit sich die von Teilenbach (1961) gegebene Beschreibung des melancholischen Typus als dispositioneller Grundlage insbesondere monopolar verlaufender Depressionen melancholischer Prägung aus der Literatur und eigenen Untersuchungen bestätigen läßt. Ich gehe dabei von der These aus, daß bei der Entstehung depressiver Verstimmungen ein subjektives Scheitern der Selbstverwirklichung eine zentrale Rolle spielt. Die Selbstverwirklichung braucht dabei keineswegs im modernen Sinne ein erklärtes, bewußt angestrebtes Lebensziel zu sein; vielmehr verwirklicht sich jeder Mensch — ob er sich dessen bewußt ist oder nicht — in Rollen, die ihm von der Gesellschaft, in der er lebt, weitgehend vorgegeben sind. Dabei unterscheiden sich die Menschen aber in der Art und der Zahl dieser Rollen, ihrem Engagement für sie und ihrer Fähigkeit und Neigung, ihre Rollen zu wechseln. Wie Kraus (1977) gezeigt hat, sind Menschen vom melancholischen Typus in besonders rigider Weise auf ihre Rollen fixiert und können sich auch dann nicht von ihnen lösen, wenn die Situation es erfordert. Tellenbach (1961) hat dies als „Inkludenz“ i.S. eines starren Festgelegtseins auf Ordnung, der sich Menschen dieses Typus verpflichtet fühlen, beschrieben. Man könnte geradezu von einem Gefangensein in der eigenen Rolle sprechen.