Die Rolle von Vater und Mutter in der Sozialisation von Kindern unter Bedingungen extremer Armut in Lateinamerika

Zusammenfassung

In der Sozialisationsforschung hat die Bedeutung der Familie im allgemeinen sowie speziell die von Vater und Mutter für die psychosoziale Entwicklung des Kindes einen hohen Rangplatz bei jedoch unterschiedlicher bis gegensätzlicher Bewertung. Lange Zeit war die wissenschaftliche Erforschung der Sozialisation des Kindes von der Vorstellung bestimmt, daß seine normale Entwicklung nur dann gewährleistet ist, wenn es in einer intakten und vollständigen Familie lebt, und wenn mindestens während der frühen Kindheit eine feste und dauerhafte Beziehung zwischen der (leiblichen!) Mutter und ihrem Kind besteht. Daher wurden — und dies gilt zum Teil bis heute — der Abwesenheit der Mutter (Mutter-Kind-Trennung) besonders im Anschluß an die Untersuchungen von Spitz und Bowlby folgenschwere Konsequenzen zugeschrieben. Dem Vater dagegen wurde in der Regel eine nennenswerte Bedeutung für die Entwicklung des Kindes erst zuerkannt, wenn das Kind im Grundschulalter war. Die frühkindliche Sozialisationsforschung war sozusagen vaterlos (7, 10, 17). Kennzeichnend für diese Forschungsrichtung war ferner, daß den Rahmenbedingungen, in denen sich Sozialisation als komplexes Geschehen vollzieht, keine oder nur wenig Beachtung geschenkt wurde (22).