Zusammenfassung
Wir sahen, wie Patienten intrapsychotische Seinsweisen — vor allem das Nichtkönnen der Hemmung — schuldhaft erlebten. Man erinnere sich an das Beispiel der Patientin Luise B. (Fall 28, S. 128), die sich die größten Selbstvorwürfe wegen ihres Hemmungsversagens machte und im Anfang der Melancholie jede Arbeit mit dem Epilog versah: „Hätte ich das nur nicht getan!“. Man kann diese „melancholische Retrospektion“ (L. BINSWANGER, 1960, S. 23f.) so verstehen, daß in der Melancholie ein Sich-minderwertig-fühlen „gleichsam unterschwellig bereit“ liegt (WEITBRECHT, 1952, S. 552). Das konnte durch E. EBTINGERS(1958, 1960) Analysen des „Post-Elektroschock“-Zustandes eindrucksvoll bestätigt werden, weil selbst bei Manischen in der Post-Schock-Phase nachzuweisen ist (1960, S. 201), was schon GRIESINGER wußte: daß nämlich bei den Manischen „…häufig genug die Schwermut während der ganzen maniakalischen Periode wie ein dunkler Hintergrund durch die ausgelassenste Selbstüberhebung durchblickt“. Gerade von diesem unterschwelligen Bereitliegen her könnte man sagen, daß diese Schuldbereite nach dem greift, was ihm „am nächsten“ liegt. Ob dieser Befund aber mit dem Begriff des „sekundären“ bzw. „reaktiven“ Schuldgefühls (WEITBRECHT, 1960, S. 79) sachgerecht gekennzeichnet ist? Ist es „reaktiv“ zu verstehen, wenn die Patientin Luise B. alles intrapsychotische Handeln, kaum ist es getan, auch schon mit einem Schuldtitel belegt — so als ob das Handeln ihr schon als solches Schuld sei und der Handelnde unausweichlich schuldig? Wir bezweifeln, daß hier Phänomene verständlicher Zusammenhänge innerhalb der Psychose vorliegen, wie solche von JASPERS innerhalb schizophrener Psychosen herausgearbeitet wurden.
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Tellenbach, H. (1983). Zur Klinik und Psychopathologie der Schuldmelancholien: die Deformation des Schulderlebens in der endogenen Melancholie. In: Melancholie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-68407-4_6
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