Zusammenfassung
Der Titel meines Beitrags impliziert bereits, daß Suizide und suizidartige Phänomene im Kontext der Dichtung eine differenzierte Sehweise erfordern. Sie müssen gesehen werden im Zusammenhang mit dem Bild vom Menschen, das der Dichtung jeweils zugrundeliegt; wie schon ein oberflächlicher Vergleich von Antike, Christentum und Moderne zeigt, kann dieses Bild beträchtlichen Schwankungen unterworfen sein. Der amerikanische Analytiker Heinz Kohut (1979) hat versucht, vom Standpunkt der psychoanalytischen Selbstpsychologie diese Schwankungen auf den Begriff zu bringen, indem er den „schuldigen Menschen“ der Vergangenheit (wie er uns etwa im griechischen Drama entgegentritt) vom „tragischen Menschen“ der Moderne unterschied. Der schuldige Mensch im Sinne Kohuts ist derjenige, den seine Triebspannungen und begrenzten Erkenntnismöglichkeiten in Konflikte und Handlungen verwickeln, deretwegen ihn seine Umwelt oder sein Gewissen schuldig sprechen: Hier kommt dem mythischen Ödipus nach wie vor paradigmatische Bedeutung zu. Was den tragischen Menschen betrifft, so spricht Kohut von der „schuldlosen Verzweiflung“ jener, „die in ihren späten mittleren Jahren entdecken, daß die Grundmuster ihres Selbst, wie sie in ihren Kernstrebungen und -idealen angelegt waren, nicht verwirklicht worden sind. Die dynamisch-strukturelle Metapsychologie wird diesen Problemen des Menschen nicht gerecht, kann die Probleme des tragischen Menschen nicht einschließen“ (Kohut, 1979, S. 244).
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Literatur
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Dettmering, P. (1982). Der Suizid in der Dichtung. In: Reimer, C. (eds) Suizid. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-68093-9_7
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