Zusammenfassung
Die in D16 und D17 eingeführten pragmatischen Begriffe enthalten zusammen mit den dazu gegebenen Erläuterungen im Wesen bereits eine Charakterisierung dessen, was Kuhn „normale Wissenschaft“ nennt. Dies ist dadurch möglich geworden, daß das Verfügen über ein und dieselbe Theorie verträglich ist mit einer unübersehbaren Fülle voneinander diver-gierender Überzeugungen. Die Theorienpropositionen, die mit Hilfe von geeigneten Erweiterungen des Strukturkernes vorgenommen werden, können von Person zu Person variieren. Ferner ist zu beachten, daß von einer Person p, die zu einer Zeit t über eine Theorie im Sinn von Kuhn verfügt, weder behauptet wird, daß sie an dieser Theorie auch in Zukunft festhalten wird, noch, daß sie an dieser Theorie festhalten soll. Vielmehr verhält es sich so: Nur soweit und solange p an der Theorie, über die sie zu einer Zeit verfügt, auch in Zukunft verfügen wird (an ihr festhalten wird), bewegt sich ihr Denken im Rahmen des Ablaufs der normalen Wissenschaft. Sie kann natürlich einmal ihren Glauben an die Möglichkeit, Erweiterungen des Strukturkernes K erfolgreich auf durch die paradigmatische Beispielsmenge I0 bestimmten Mengen I anzuwenden, verlieren und sich einer ganz neuen Theorie mit neuem Strukturkern und (oder) neuen paradigmatischen Beispielen zuwenden. Falls sie dies jedoch tut, hat sie aufgehört, ein,normaler Wissenschaftler‘ zu sein: Sie ist zum wissenschaftlichen Revolutionär geworden.
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Literature
Vgl. dazu auch die interessanten Bemerkungen von Sneed, a.a.O., S. 292.
Die Frage, wie man denn wissen könne, daß die nicht-theoretischen Funktionen einer Theorie dieselben Funktionen sind wie die theoretischen Funktionen einer anderen, wird bei Sneed, [Mathematical Physics], auf S. 252 genauer erörtert. Sneed macht für die Deutung dieser Frage eine doppelte Fallunterscheidung. Nach der ersten Deutung — die man als metatheoretisch bezeichnen könnte, da sie die Arbeit des Wissenschaftstheoretikers betrifft — kann ein sicheres Wissen überhaupt nicht erzielt werden. Vielmehr handelt es sich um eine empirische Annahme über die fraglichen Theorien, die rekonstruiert werden sollen. Nach der zweiten, theoretischen’ Deutung handelt es sich um die Frage, wie der Theoretiker seibst die Identität feststellt. Diese Frage beantwortet sich trivial durch den Hinweis, daß dies eben davon abhängt, wie der Theoretiker seine intendierten Anwendungen beschreibt und dadurch eine Identifizierung herstellt. Zwar kann auch hier noch die Schwierigkeit auftreten zu erkennen, ob eine Liste von geordneten Paaren, bestehend aus Individuen und Funktionswerten, wirklich die von ihm beschriebene Funktion darstellt. Aber dies ist ein rein praktisches Problem, das sich, wie Sneed hervorhebt, nicht wesentlich davon unterscheidet herauszubekommen, ob jemand der älteste Sohn von Hans ist, wenn man bereits über das Wissen darüber verfügt, daß der älteste Sohn von Hans rothaarig ist.
Die Axiome, die ein solches System charakterisieren, sind angeführt in Bd. IV, 2. Halbband, S. 406. Vgl. auch Sneed [Mathematical Physics], S. 18f. sowie S. 86ff.
[Research Programmes], S. 132.
a.a.O., S. 134. Die Zuschreibung eines empirischen Gehaltes bildet übrigens für uns ein weiteres und unabhängiges Motiv dafür, die Glieder der Folge als Theotienpropositionen und nicht als Theorien zu konstruieren.
“T’ explains the previous success of T”; Lakatos [ResearchProgrammes], S. 116
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Stegmüller, W. (1985). Normale Wissenschaft und wissenschaftliche Revolutionen. In: Theoriendynamik Normale Wissenschaft und wissenschaftliche Revolutionen Methodologie der Forschungsprogramme oder epistemologische Anarchie?. Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, vol 2 / E. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-61673-0_7
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