Zusammenfassung
„Ich sage ihnen, ich habe es satt, tugendhaft zu sein, weil nichts klappt, entsagungsvoll, weil ein unnötiger Mangel herrscht, fleißig wie eine Biene, weil es an Organisation fehlt, tapfer, weil mein Regime mich in Kriege verwickelt Kalle, Mensch, Freund ich habe alle Tugenden satt und weigere mich, ein Held zu werden.“
Ziffels Stoßseufzer aus Brechts „Flüchtlingsgesprächen“ scheint das Thema bis heute abschlißend behandelt zu haben:
„Tugend“ — das ist eir Begriff, der sowohl unangenehme Erinnerungen an muffige Sexualmoral erweckt als auch aufgeklärte Distanz zu einem schönheitstrunkenen Übermenschentum herausfordert. „Tugenden“ — das scheinen Charaktereigenschaften zu sein, die als Gewissen in erzwungene Jungfräulichkeit oder als „virtu“ in selbstsüchtiges Haschen nach Ruhm münden. Die Assoziationen treffen zu und verfehlen doch die Sache, um die es geht. Die tugenden, so zeigt sich, erfahren eine Renaissance nicht nur im Rahmen jener Wertedebatte, die orientierungslose, westliche Gesellschaften im Zeitalter eines nach innen und außen grenzenlos gewordenen Kapitalismus führen. Es ist nicht mehr zu übersehen, daß dieser altehrwürdige Begriff inzwischen im Zentrum der praktischen Philosophie angekommen ist und dort eine vielversprechende Alternative zu den erschöpften und inkonsistente Paradigmen von Utilitarismus und Kantianismus, von Deontologie und Konsequentialismus verheißt.
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Brumlik, M. (1999). Ethik der Tugend und Soziobiologie — eine realistische Perspektive?. In: Schallies, M., Wachlin, K.D. (eds) Biotechnologie und Gentechnik. Veröffentlichungen der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-60028-9_4
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