Zusammenfassung
In der Verfassungsrechtsgeschichte moderner Demokratien expandieren die Lebensbereiche, die dem politischen Prozeß entzogen werden. Erklärte Menschenrechte sind politisch indisponibel gemachte Rechte, auf die weder der Gesetzgeber noch die Verwaltung Zugriff hat - von der älteren Religionsfreiheit bis zur jüngeren Freiheit der Koalition oder der Freiheit der Meinung und ihrer öffentlichen Äußerung. Das ist gewiß trivial, und jeder aufmerksame Gemeinschaftskundeschüler weiß es herzusagen. Aber das Triviale ist bekanntlich zugleich das Fundamentale, und überdies bedarf es nur einer kleinen Wendung in der Charakteristik der Grundrechte, um zu erkennen, daß ihre Inanspruchnahme unverändert politisch konfliktträchtig ist. Daß menschenrechtlich geschützte Freiheiten dem politischen Prozeß entzogen seien - das bedeutet ja, daß diese Freiheiten auch in demokratisch verfaßten Gesellschaften nicht mehr zur Disposition demokratischer Mehrheitsentscheidungen stehen. Grundrechte markieren Grenzen des Demokratieprinzips. Sie legen fest, was demokratischer Mehrheitsentscheidung entzogen bleiben soll. Man erinnert sich demgegenüber an die Forderung der „Demokratisierung aller Lebensbereiche“. Diese Forderung hört sich unwidersprechlich an. Aber sie wäre es nur dann, wenn sie sich vorab strikt an die Grenzen des sich ausweitenden Bereichs politisch indisponibler Lebensvollzüge bände. Täte sie das nicht, so machte sie die Grenzen zwischen liberaler und totalitärer Demokratie fließend, und die mannigfachen politischen Randgruppen sind bekannt, denen es gerade um diese Verflüssigung zu tun ist.
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Lübbe, H. (1997). Selbstbestimmung und staatliche Souveränität im politischen Wandel. In: Modernisierung und Folgelasten. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-59152-5_7
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