Zusammenfassung
Vor dem Hintergrund des traditionellen Multiplikatoransatzes der Geldtheorie wird in empirischen Arbeiten die Frage nach der Kontrollierbarkeit der Geldmenge üblicherweise auf die Frage nach der Vorhersagbarkeit von Geldangebotsmultiplikatoren reduziert. In diesem Kapitel wird untersucht, wie sinnvoll diese Herangehensweise bei der Analyse des Geldangebotsprozesses ist. Im Rahmen einer Kointegrationsanalyse und mit Hilfe von Granger-Kausalitätstests wird gezeigt, daß die Bundesbank keines der betrachteten Geldmengenaggregate mit Hilfe der Geldbasis steuerte. Prognosen von Geldangebotsmultiplikatoren besaßen daher für die geldpolitische Praxis der Bundesbank zurecht keine Bedeutung und werden wohl auch für die Geldmengensteuerung der Europäischen Zentralbank keine Rolle spielen. Aus empirischer Sicht ist damit fraglich, ob der europäische Geldangebotsprozeß durch den Multiplikatoransatz in angemessener Weise abgebildet werden kann.
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Literatur
Angesichts der Unsicherheit über die Entwicklung der neuen EURO-Geldmengenaggregate vermeidet es die EZB ausdrücklich von strikten Geldmengenzielen zu sprechen, um bei deren Verfehlen nicht zwangsläufig zu Zinsreaktionen gezwungen zu sein, vgl. EZB (1999a, S.53).
Die “zweite Säule” ihrer geldpolitischen Strategie bezeichnet die EZB diplomatisch als “eine breit fundierte Beurteilung der Aussichten für die Preisentwicklung”, für die sie den Informationsgehalt einer ganzen Reihe von Variablen heranziehen möchte, vgl. EZB (1999a).
Zur Stabilität der deutschen Geldnachfrage siehe insbesondere WOLTERS ET AL. (1998) und LüTKEPOHL ET AL. (1999). Einen aktuellen Überblick über den Stand der Forschung hinsichtlich der Stabilität der Geldnachfrage in Europa bietet der Sammelband Money Demand in Europe, herausgegeben von LüTKEPOHL und WOLTERS (1999).
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang der sogenannte P*-oder Preislücken—Ansatz, der ebenfalls die Existenz einer stabilen Geldnachfragefunktion voraussetzt, vgl. HALLMANN ET AL. (1991). Der P*—Ansatz lieferte die Grundlage für zahlreiche empirische Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisen, siehe insbesondere DEUTSCHE BUNDESBANK (1992) und TöDTER und REIMERS (1994). Eine einführende Darstellung des P*—Ansatzes mit einem Überblick über die empirische Literatur liefert u.a. Bo-Finger et al. (1996, S.580ff).
An dieser Stelle sei erwähnt, daß die Wahl des Politikinstrumentes auch die Interpretation und Identifikation von Geldnachfrageschätzungen beeinflußt, vgl. GORDON (1984) oder HERI (1986).
Im empirischen Teil dieses Kapitels werden die Logarithmen der Zeitreihen betrachtet. Aus dem Produkt der Multiplikatorgleichung wird so die Summe der Logarithmen.
Problematisch ist in diesem Zusammenhang die Annahme, daß der durchschnittliche Multiplikator im wesentlichen mit dem marginalen Multiplikator übereinstimmt. Für eine ausführliche Diskussion dieses “Geldmengenmultiplikator— Kontrollkonzepts”, siehe WILLMS (1978) oder SIEBKE (1982).
Eine ausführliche Beschreibung der Literatur über Multiplikatorprognosen liefern VON HAGEN (1986, S.133ff) oder RASCHE und JOHANNES (1987). Einen Überblick über die ältere empirische Literatur zum Geldangebotsprozeß gibt beispielsweise Issing (1998, S.88ff).
Ein erhöhter Bargeldumlauf könnte auch in einer Zunahme von Schwarzarbeit oder illegalen Transaktionen begründet sein. Schätzungen des Umfangs der Schattenwirtschaft auf Grund von Änderungen in der Bargeldhaltung bewegen sich jedoch zwangsläufig auf sehr unsicherem Terrain. Vergleiche hierzu TANZI (1983) für die Vereinigten Staaten sowie KIRCHGäSSNER und POMMEREHNE (1986) oder SCHNEIDER (1998) für die Bundesrepublik.
Diese drastischen Zinsschwankungen zeigten sich beispielsweise in den Vereinigten Staaten während des sogenannten “monetaristischen Experiments” der Federal Reserve Bank in den frühen achtziger Jahren. Diese wenig erfolgreiche Episode der amerikanischen Geldpolitik stellte zu dieser Zeit das gesamte Konzept der Geldmengensteuerung in Frage, vgl. MCCALLUM (1989).
Gegen eine Geldbasiskontrolle werden ferner Interventionsverpflichtungen der Zentralbank an den Devisenmärkten angeführt, vgl. VON HAGEN (1989). Doch dieser Einwand scheint angesichts eines flexiblen Wechselkurses zum U.S. Dollar und eines inzwischen ausgefeilten geldpolitischen Instrumentariums an Bedeutung verloren zu haben. Während der letzten EWS—Krise stellte beispielsweise die kurzfristige Sterilisierung von beträchtlichen Devisenzuflüssen für die Bundesbank kein großes Problem mehr dar, vgl. DEUTSCHE BUNDESBANK (1994) oder Rohde (1995).
Die Geldmenge M2, die sich aus Bargeldumlauf, Sicht-und Termineinlagen zusammensetzt, besitzt in der geldpolitischen Diskussion aufgrund ihrer starken zinsbedingten Schwankungen nur eine untergeordnete Bedeutung.
Diese Kritik findet sich ebenfalls bei LäUFER (1994), der in seiner Arbeit das Vorliegen freier Liquiditätsreserven für das Kreditangebotsverhalten der Banken in den Mittelpunkt rückt. Zur abnehmenden Bedeutung freier Liquiditätsreserven siehe jedoch ISSING (1998, S.79ff).
Die Daten sind auf der Homepage (www.sachverstaendigenrat.de) des Sachverständigenrats abrufbar.
Dabei wurde der vereinigungsbedingte Niveaushift in den Variablen mit Hilfe einer Stufendummy modelliert, vgl. Perron (1989).
Dabei werden in der ökonometrischen Praxis die Lagordnungen der verzägerten Differenzen so gewählt, daß die Residuen ut und vt empirisch white noise sind.
Vor diesem Hintergrund zeigt WILLMS (1993) für Daten bis zum Jahr 1989, daß M1 aber nicht M3 mit der Geldbasis kointegriert ist. Allerdings wird dort bei der Schätzung der Fehlerkorrekturgleichungen die Exogenität der Geldbasis vorausgesetzt. Die Kausalität der Geldbasis für die Geldmenge wird nicht überprüft. LESCHKE und POLLEIT (1997) verwenden beim zweistufigen Kointegrationstest nach ENGLE und GRANGER (1987) die falschen kritischen Werte (vgl. MACKINNON (1991)) und schließen deshalb irrtümlich auf Kointegration zwischen M3 bzw. M3e und der Geldbasis.
Zum Begriff der langfristigen Kausalität siehe TODA und PHILLIPS (1994) oder GRANGER und JIN (1995).
Das gleiche gilt auch für den Wert der Likelihoodfunktion, so daß auch ein expliziter Test die Restriktion β=1 nicht verwerfen kann.
Die Zentralbankgeldmenge (ZBGM) ist definiert als wobei C, D, T, und S Bargeldumlauf, Sichteinlagen, Termingelder und Spareinlagen (jeweils in der Abgrenzung von M3) bezeichnen. Die Gewichte entsprechen den im Januar 1974 geltenden Mindestreservesätzen, die damals noch in der Liquidität oder “Moneyness” der Bankeinlage zunahmen. Aus diesem Grund erinnert die Zentralbankgeldmenge an die sogenannten Divisia—Aggregate, vgl. BARNETT ET AL. (1992). Diese zinsgewichteten Geldmengenaggregate haben sich allerdings bislang weder in der geldpolitischen Praxis noch in der empirischen Literatur zu Geldnachfrage und Geldangebot gegenüber den traditionellen Summenaggregaten durchsetzen können, vgl. ISSING ET AL. (1993), GAAB (1996), GAAB und Mullineux (1996) oder KRäMER (1996).
Tests auf Basis des Vektorfehlerkorrekturmodells aus dem letzten Abschnitt brachten jedoch qualitativ die gleichen Ergebnisse. Aufgrund der fehlenden langfristigen Anpassung der Geldmengen wurden die Prognosegleichungen ohne Fehlerkorrekturterm spezifiert. Die Aufnahme (insignifikanter) verzögerter Niveauvariablen hatte allerdings keinen Einfluß auf die Testergebnisse.
Mit Blick auf die Ergebnisse der Kointegrationsanalyse wurden die Testgleichungen der Geldbasis um verzögerte Niveaus ergänzt.
Siehe hierzu die empirischen Studien von GARFINKEL und THORNTON (1991) sowie GAUGER (1998).
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Nautz, D. (2000). Zur Relevanz des Multiplikatormodells für die Geldpolitik. In: Die Geldmarktsteuerung der Europäischen Zentralbank und das Geldangebot der Banken. Wirtschaftswissenschaftliche Beiträge, vol 175. Physica, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-57686-7_2
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