Zusammenfassung
Nicht nur Krankheiten können chronische Verläufe nehmen und sich damit einer Besserung oder Behandlung entziehen. Von Chronifizierung können das Leben in Armut (Depression) ebenso wie das des Arztes („Burn out Syndrom“) betroffen werden mit schwerwiegenden Auswirkungen. Neue chronische Krankheiten werden erfunden, um neue Medikamente zu vermarkten. Selbst die Gesundheit ist nicht davor gefeit, in ein rigides „Gesundheitsmanagement“ verplant zu werden mit dem illusionären Ziel, sie auf Dauer (chronifiziert) zu erhalten. Klassenmedizin bedeutet, diese verkrusteten, chronifizierten gesellschaftlichen Strukturen und ebenso die verborgenen, im Erhalt des Status quo erstarrten Interessen aufzudecken. Es gilt, „die sozialen Verhältnisse für sich selbst sprechen zu lassen“ (Marcuse 1967) mit dem Ziel, medizinische Versorgungsprobleme anzugehen, deren Lösung bisher an eben diesen Verhältnissen scheiterte
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Notes
- 1.
Wie die neuen Informationstechniken die Schule revolutionieren können zeigt der Holländer Maurice de Hond. Er hat in diesem Jahr in den Niederlanden mehrere „Steve Jobs-Schools“ eröffnet, in denen 4–12-jährige Kinder vorwiegend mit iPads, einem digitalen Schulhof lernen. Elemente sind: Individuelle Stundenpläne, koordiniert von einem coach, virtuelle Kontakte von Schülern, Lehrern, Eltern, die staatlichen Mindestanforderungen für Anwesenheit werden bei größtmöglicher Freiheit eingehalten. Die Kinder sind auch in den Ferien digital mit der Schule verbunden. Lernen soll Spaß machen, und das iPad verstärkt die Selbstwirksamkeit: „Gut gemacht!“ ruft es, wenn eine Aufgabe gelöst wurde.
- 2.
D. schrieb in 24 Jahren, bis 2009, insgesamt 1270 Kolumnen in der Medical Tribune. Einige aktuelle, mir fehlende, stellte er mir freundlicherweise zur Verfügung. Über meinen Text und meine Interpretationen habe er sich mit seiner Frau sehr amüsiert. Auch in diesem Fall nutze ich Methoden der systemischen Therapie, diesmal zur Distanzierung, um bei der Interpretation ein moralisierendes Verurteilen zu vermeiden und die Person des Autors vor einer denkbaren Identifizierung mit den Inhalten seiner Kolumne zu bewahren. Seine Reaktion ließ mir mein Vorgehen angemessen erscheinen.
- 3.
Seit 30 Jahren sind weltweit ca. 300.000 solcher Eingriffe bei gehörlosen Patienten vorgenommen worden. Es wird ein Kanal durch das Felsenbein (Knochen hinter dem Ohr) gefräst und ein Loch in die Hörschnecke (Cochlea) gebohrt, durch das ein Bündel von 22 Elektroden eingeführt wird. Dieses Kabel leitet die akustischen Signale von einem Mikrofon hinter dem Ohr als elektrische Impulse an den Gehörnerv.
- 4.
Beachte Kanfers (2006) X. Gesetz der Therapie: Wenn Du in der Therapiestunde härter arbeitest als Dein Klient, machst Du etwas falsch!
- 5.
Im „Präventionsgesetz“ der Bundesregierung wollte diese die Regelungen zur Korruptionsbekämpfung ins Sozialgesetzbuch (SGB V) aufnehmen. Dies lehnte im September 2013 der Bundesrat ab und forderte die Aufnahme als Straftatbestand ins Strafgesetzbuch. Nur so könne erreicht werden, dass das Verbot nicht nur für Leistungserbringer des SGB V gälte, sondern auch für Ärzte, die Privatpatienten behandeln oder Dienstleister, die außerhalb der GKV tätig sind. Im Krankenhaus gilt Korruption bereits als Straftatbestand.
- 6.
Das Wissenschaftliche Institut der AOK, Wido, ermittelte für 2012 einen IGeL-Umsatz von 1,3 Mrd. Euro v. a. in Facharztpraxen. (Ärztezeitung online 20.11.13)
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Kalvelage, B. (2014). Chronifizierung und die Folgen. In: Klassenmedizin. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-54749-2_7
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