Zusammenfassung
Eine der verdienstvollsten Taten S. Freuds ist mit ihren Konsequenzen in so vorbehaltloser Weise in unsere Anschauungen eingegangen, daß die Selbstverständlichkeit, mit der wir sie jetzt zu unserem Besitz rechnen, uns beinahe daran hindert, sie in ihrer vollen Bedeutung zu würdigen. Freud unternahm es, die Entstehungsursache jener scheinbar körperlichen Leiden, die wir jetzt als Psychogenie kennen, in allein seelischen Zusammenhängen zu suchen. Man kann hier wohl von einem Unternehmen sprechen, denn die Zeit, in der die Psychoanalyse geboren wurde, mußte einer derartigen Betrachtungsweise abhold sein. Es war jene Zeit der großen pathologisch-anatomischen und klinischen Entdeckungen, mit denen Namen wie Meynert, Forell, Nissl, Oppenheim, Erb u. a. ruhmvoll verknüpft sind. Klinische Einzelbeobachtungen fanden sich nun zu verständlichen sinnvollen Symptombildern zusammen und die pathologisch-anatomische Forschung durchdrang jene Finsternis, die bisher die tiefen Zusammenhänge manch eines Krankheitsgeschehens verborgen hatte. Es ist nur natürlich, daß jene Zeit, die ihr Forschungsstreben durch den Gewinn greifbar deutlicher wichtiger Resultate so reich belohnt sah, die noch ausstehenden Ergebnisse in derselben Richtung und mit denselben Methoden suchte. Auch als sich für jene Lähmungserscheinungen, die wir jetzt als psychogene kennen, kein pathologisch-anatomisches Substrat finden ließ, erklärte man sie mit der Annahme, daß ihnen leichte Schädigungen der entsprechenden Hirnpartien zugrunde lägen. Diese Beeinträchtigungen seien aber so flüchtiger Natur, daß sie keine pathologisch-anatomisch nachweisbaren Schäden verursachten. Ebenso bewegten sich die Vorstellungen der Kliniker in materialistischen Bahnen. Sogar einer ihrer überragendsten Vertreter, W. Erb, gibt für die Behandlung psychogener Lähmungen ein genauestens detailliertes Behandlungsverfahren an, das sich gegen die vermeintlichen körperlichen Ursachen des Leidens wendet.
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© 1948 Springer-Verlag OHG. in Berlin, Göttingen and Heidelberg
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Wendt, CF. (1948). Die Entwicklung der Behandlungsmethoden der klassischen Psychoanalyse. In: Psychotherapie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-53264-1_3
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