Zusammenfassung
Bereits im vorigen Abschnitt unter A. wurde ausgeführt, daß die sittlichen Normen wesensmäßig mit der Welt des Geistes verbunden sind. Zugleich wurde ihre rationale und metaphysische Verankerung angedeutet. Hier ist nur nochmals festzustellen, daß die grundlegenden moralischen Forderungen an den Menschen weder orts- noch zeit- noch rassegebunden sind, sondern allgemeine Geltung beanspruchen. Freilich wechselt mit den Umständen ihr Anwendungsgebiet, so daß sie dem oberflächlichen Betrachter leicht als veränderlich erscheinen. Ein Beispiel mag dies erläutern. Die Kirche verbot im Mittelalter das Zinsnehmen; heute ist es erlaubt. Hat sich die sittliche Norm damit etwa verändert? Nein; denn das mittelalterliche Verbot war in Wahrheit das Verbot des Wuchers, und das gilt heute auch noch. Wer im Mittelalter Geld brauchte, befand sich meistens in Not. Wurde es ihm geliehen, so wurde mit dem Zinsnehmen in der Regel eine Notlage ausgenutzt; denn der Zins war ein Konsumtivzins, d. h. der Darlehnsnehmer bedurfte des Geldes zum Leben, zum Erwerb von Verbrauchsgütern. Es bestand daher zumindest die Gefahr, daß der Darlehnsgeber, der ein Risiko auf sich nahm, dies letztere überbewertete und dabei die Lage des Darlehnsnehmers über Gebühr oder gar sittenwidrig ausnutzte. Die Kirche wollte also mit ihrem Verbot die „nächste Gelegenheit“ zum Wucher ausschalten. In der kapitalistischen Wirtschaftsordnung der Neuzeit ist das in den meisten Fällen völlig anders. Hier leiht sich ein Unternehmer Geld und bekommt von einem Darlehnsgeber Kredit, um ein gewinnbringendes Geschäft zu machen, etwa einen Industriebetrieb zu gründen. Er besitzt die Arbeitskraft und die Fähigkeit, das Unternehmen erfolgreich durchzuführen, der Darlehnsgeber aber das notwendige Kapital. Der Unternehmer will mit dem geliehenen Gelde arbeiten und verdienen. Es ist nur gerecht und billig, daß der Darlehnsgeber, der mit dem Kapital selbst einen zur Produktion und zur Gewinnerzielung notwendigen Faktor beisteuert, seinerseits am Gewinn beteiligt wird1). Dies kann durch unmittelbare Geschäftsbeteiligung geschehen (wie beim Erwerb von Aktien einer Aktiengesellschaft oder von Geschäftsanteilen einer G. m. b. H.) oder mittelbar durch Hingabe eines Darlehns. Ein Zins für letzteres ist bei dieser Wirtschaftsform ein Produktivzins und als solcher gerecht. Da die weitaus meisten Zinsen in der kapitalistischen Wirtschaft Produktivzinsen sind, konnte und mußte das Zinsverbot fallen. Unveränderlich aber bleibt das Verbot des Wuchers als der Grundnorm.
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Peters, H. (1946). Moral und Recht. In: Zwischen Gestern und Morgen. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-53115-6_9
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