Zusammenfassung
Die Gesetzestechnik hat nicht nur Gesetze im formellen Sinne zum Gegenstand, sondern Erlasse jeder Stufe und Form. Sie beschränkt sich nicht auf die Probleme der formalen Ausgestaltung von Erlassen. Inhaltliche und technische Gestaltung der Gesetze sind zwei Seiten derselben Tätigkeit, die sachlich voneinander abhängen.
Gesetzestechnik im weiten Sinne umfaßt die Regeln für die Ausgestaltung von Erlassen sowie die für die Methode und das Verfahren der Rechtsetzung maßgebenden Grundsätze. Klammert man die methodischen und die Verfahrensfragen aus, so kann man von Gesetzestechnik im engeren Sinne sprechen. Die überwiegend formalen Regeln des äußeren Aufbaus und der Darstellung von Erlassen könnte man als Gesetzestechnik im engsten Sinn bezeichnen.
Richtlinien der Gesetzestechnik sind ein nützliches Arbeitsinstrument für den Praktiker. Sie erlauben zudem eine gewisse Vereinheitlichung und Straffung in der Rechtsetzung.
Die Richtlinien der Schweizerischen Bundeskanzlei befassen sich zur Hauptsache mit Gesetzestechnik im engsten Sinne. Der äußere Aufbau, die Formalien der Rechtsetzung stehen im Vordergrund. Einzelne Kapitel weisen einen engeren Bezug zu materiellrechtlichen Fragen auf, doch fallen diese Teile möglicherweise bei der laufenden Revision der Richtlinien weg. Die von der Regionalkonferenz der Regierungen der Nordwestschweiz verabschiedeten Richtlinien haben die Gesetzestechnik im engeren Sinne zum Gegenstand. Den Regeln über die Darstellung der Erlasse wurden einige allgemeine Grundsätze über Notwendigkeit, Formen und Inhalt der Gesetzgebung vorangestellt, um dem “Gesetzesredaktor” einen Überblick über die Probleme zu geben, die sich beim Entwerfen von Erlassen stellen, und die “gängigen” Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Einige weitere Kantone haben mehr oder weniger weit gehende Regelungen im Bereich der Gesetzestechnik aufgestellt. Der Kanton Genf hat zu diesem Zweck ein besonderes Gesetz und ein Reglement erlassen.
Die Einhaltung der gesetzestechnischen Regeln sollte von einer einzigen zentralen Stelle aus dauernd überwacht werden. Diese Stelle muß sich möglichst frühzeitig in die Gesetzgebungsarbeiten einschalten. In späteren Stadien hält es erfahrungsgemäß schwer, Korrekturen durchzusetzen, die sich aus gesetzestechnischen Gründen aufdrängen.
Eingeklammerte Ziffern im Beitrag beziehen sich auf die Anmerkungen, S. 217–219.
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Anmerkungen
Vgl. statt vieler STARCK, CHR.: Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, Baden-Baden 1970
ROELLECKE, G.: Der Begriff des positiven Gesetzes und das Grundgesetz, Mainz 1969
KOPP, H.W.: Inhalt und Form der Gesetze als ein Problem der Rechtstheorie, Diss. Zürich 1958
Gegen diese Unterscheidung HESSE, K.: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 8. Aufl. Karlsruhe 1975, S. 204 ff.
Vgl. dazu vor allem RUPP, H.H.: Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, Tübingen 1965
SCHMIDT, W.: Gesetzesvollziehung durch Rechtsetzung, Bad Homburg v.d.H./Berlin/Zürich 1969, S. 20, ersetzt aus diesem Grund den Begriff der Gesetzgebung konsequent durch denjenigen der Rechtsetzung. Ich ziehe deshalb auch die Bezeichnung “Rechtsetzungslehre” dem gebäuchlichen Terminus “Gesetzgebungslehre” vor
Vgl. z.B. BURCKHARDT, W.: Methode und System des Rechts, Zürich 1936, S. 105 ff.
Hierzu namentlich HANGARTNER, Y.: Rechtsstaatliche Gesetzestechnik. In: Stillstand und Fortentwicklung im schweizerischen Recht, St. Galler Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1965, Bern 1965, S. 103 ff.
Die Zusammenhänge zwischen Verfassungsmäßigkeit und Gesetzestechnik zeigt besonders deutlich das Rechtsgutachten über die Verfassungsmäßigkeit des Vorentwurfes zu einem Bundesgesetz über den Umweltschutz vom 18. Dezember 1973 von TH. FLEINER. In: Wirtschaft und Recht 27 (1975), Heft 3
Das weist vor allem KRüGER, U.: Der Adressat des Rechtsgesetzes, Berlin 1969, S. 82 ff., nach
WEBER, F.: Koordination der Gesetzgebung im Hinblick auf Gesetzestechnik und Gesetzesredaktion. In: Zeitschrift für Schweizerisches Recht, NF 69 (1950), S. 278.
Demgegenüber will KURT, V., (Die Kunst der Gesetzgebung. In: Schweizerische Juristenzeitung 37 (1941), S. 338) die materielle und die formelle Rechtsetzung prinzipiell trennen: Ziel, Zweck und Inhalt der Gesetze bestimme das Volk und seine Vertretung, die eigentliche formelle Bearbeitung des Inhaltes zu einem Gesetzesbau dagegen sei ausschließlich Aufgabe der gesetzestechnischen Stelle und des Rechtsingenieurs
MüLLER, HW., regt im Vorwort zu seinem Handbuch der Gesetzgebungstechnik (Köln/Berlin/Bonn/München 1963, 2. unveränderte Aufl. 1968) an, man sollte zwischen “Gesetzgebungstechnik”, welche die Darstellung des Werdeganges der Gesetze einschließe, und “Gesetzestechnik” unterscheiden. In der Literatur werden die beiden Begriffe jedoch synonym verwendet
Vgl. etwa NOLL, P.: Gesetzgebungslehre, Reinbek b. Hamburg 1973, S. 63 ff., 164 ff., der Methode und Technik der Gesetzgebung in zwei verschiedenen Abschnitten behandelt. Dieser engere Begriff der Gesetzestechnik liegt auch den Arbeiten von HANGARTNER (zitiert in Anm. 6), KRÜGER (Anm. 8), MÜLLER (Anm. 10)
ROOS, G.: Über die Kunst der Gesetzgebung. In: Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung 59 (1958), S. 65 ff.
WALTER, R.: Die Lehre von der Gesetzestechnik. In: Österreichische Juristen-Zeitung 18 (1963), S. 85 ff. und WEBER (Anm. 9) zugrunde.
Wenn ich richtig sehe, folgt die Gliederung, die der Vorbereitung der letztjährigen Tagung über Gesetzgebungstheorie diente (vgl. RöDIG, J., BADEN, E., KINDERMANN, H.: Vorstudien zu einer Theorie der Gesetzgebung, St. Augustin 1975, S. 15 ff.), im wesentlichen ebenfalls dieser Unterscheidung: Die statische Theorie juristischer Gesetze entspricht der Gesetzestechnik im engeren Sinne, die Theorie des Gesetzgebungsprozesses der Methode und dem Verfahren der Gesetzgebung
Im Bund vor allem in Bundesgesetz über den Geschäftsverkehr der Bundesversammlung sowie über die Form, die Bekanntmachung und das Inkrafttreten ihrer Erlasse (Geschäftsverkehrsgesetz) vom 23. März 1962 (Systematische Sammlung des Bundesrechts 171.11). Nur wenige Kantone haben ein Geschäftsverkehrsgesetz erlassen. In den meisten Kantonen wird das Gesetzgebungsverfahren in der Verfassung und im Geschäftsreglement des Parlamentes geordnet
Richtlinien für die Vorbereitung und Erledigung der Bundesratsgeschäfte vom 1. Januar 1972; Richtlinien über das Vorverfahren der Gesetzgebung vom 6. Mai 1970 (die letzteren publiziert in: Bundesblatt 1970, I, S. 993 ff.)
Es ist deshalb zu bedauern, daß der Bundesrat dem Vorschlag der Expertenkommission HUBER, ein neues Bundesamt für Gesetzgebung zu schaffen, das u.a. die Betreuung und Koordination der gesamten Bundesgesetzgebung als beratende Stelle sicherzustellen hätte, nicht gefolgt ist (Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Reorganisation der Bundesverwaltung vom 12. Februar 1975, Bundesblatt 1975, I, S. 1509). Vorläufig bleibt es also bei der unerfreulichen Aufspaltung zwischen “materiellen” und “formellen” Fragen der Gesetzgebung
Vgl. SCHNEIDER, H.: Niedergang des Gesetzgebungsverfahrens. In: Festschrift für G. Müller, 1970, S. 421 ff.
MüLLER, G.: Gesetzesinflation und Vollzugskrise. In: Neue Zürcher Zeitung Nr. 56 vom 4. Februar 1973, S. 37
In den Kantonen, zum Teil aber auch im Bund ist das Entwerfen von neuen Erlassen häufig Sache von Nicht-Juristen, die zwar die zu regelnde Materie sehr gut kennen, denen aber die Gesetzestechnik oft eher fremd ist
Als Beispiel für die verwirrende Vielfalt der Formen sei erwähnt, daß im Bund die dem Referendum unterstehenden Erlasse “Bundesgesetz” oder “Bundesbeschluß”, die nicht referendumspflichtigen “Bundesbeschluß” heißen. In den Kantonen nennt man die der Volksabstimmung unterliegenden Erlasse meist “Gesetz” oder “Volksbe-schluß”, während die unter Ausschluß des Referendums ergehenden Erlasse vor allem die Titel “Dekret”, “Verordnung” oder “Reglement” tragen, wobei “Verordnungen” sowohl vom Parlament wie von der Regierung stammen können und als “Reglement” oder “Verordnung” auch die Erlasse der selbständigen Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts bezeichnet werden
Das Problem der Rechtsnatur der Richtlinien wollen wir hier ausklammern. Es würde viel zu weit führen, auf die umstrittenen Fragen im Zusammenhang mit den Verwaltungsvorschriften einzutreten (vgl. dazu Ossenbühl, F.: Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, Bad Homburg v.d.H./Berlin/Zürich 1968). Richtlinien der Gesetzestechnik, die praktisch nur ein Arbeitsinstrument im Sinne einer Übersicht über bereits geltende Regeln sein wollen, scheinen mir unter diesem Gesichtspunkt überdies nicht besonders problematisch zu sein
Vgl. OFTINGER, K., in: Schweizerische Juristen-Zeitung 68 (1972), S. 243 f.
Auch dies ist m.E. ein Beweis dafür, daß die organisatorische Trennung von “formeller” und “materieller” Gesetzestechnik unglücklich ist
So betreffend Titel, Datum, Publikation und Inkrafttreten, ferner hinsichtlich der Bezeichnung der Gliederungseinheit als “Paragraph” oder “Artikel”
Es ist vorgesehen, auch Richtlinien über das Vorbereitungsverfahren und die Methode der Gesetzgebung zu erlassen
Vgl. oben Anm. (11). Die Redaktion des ersten Teiles besorgte weitgehend Herr Dr. Rene RHINOW als Vertreter des Kantons Basel-Landschaft, dessen Tagungsbeitrag in diesem Band ebenfalls enthalten ist (S. 154 ff.)
Wünschenswert wäre vorab eine Regelung im Bereich des interkantonalen Rechts, wo schon die Vielfalt der Bezeichnungen der Verträge zwischen den Kantonen (Konkordat, Abkommen, Vereinbarung, Übereinkommen usw.) Verwirrung stiftet (vgl. dazu Schweizer, R.J.: Kantonale Kompetenzordnung und interkantonale Vereinbarungen. In: Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1973, Basel und Stuttgart 1973, S. 136 ff.)
Ziff. 111.1 der Richtlinien für die Vorbereitung und Erledigung der Bundesratsgeschäfte vom 1. Januar 19 72
Ziff. 111.2 der Richtlinien für die Vorbereitung und Erledigung der Bundesratsgeschäfte vom 1. Januar 1972
Ziff. 14 der Richtlinien für die Vorbereitung und Erledigung der Bundesratsgeschäfte vom 1. Januar 1972
§ 13 Abs. 2 der Verordnung über den Rechtsdienst des Regierungsrates vom 17. Mai 1972
Zum Beispiel finden Konsultationen auf Departementsebene nur statt, wenn zwischen den Abteilungen keine Einigung zustande gekommen ist
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Müller, G. (1976). Richtlinien der Gesetzestechnik in Bund und Kantonen. In: Rödig, J., Altmann, E., Baden, E., Kindermann, H., Motsch, R., Thieler-Mevissen, G. (eds) Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-52190-4_13
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