Zusammenfassung
Als Rudolph Hermann Lotze seine „Medizinische Psychologie“ verfaßte (1852) und jenen Gedanken, ein Fundament gab, die er in seinem „Mikrokosmos“ durch den Aufbau der seelischen Individualität ausgestaltete, stand dieser tiefsinnige Denker gleichsam in einem geistigen Zweifrontenkampfe. Gegen die rationalistische Psychologie des Kantianismus, die in, der Gestaltung Herbarts noch gegenwärtig die Pädagogik befruchtet, war seine methodische Grundeinstellung gerichtet: diejenige des empirischen Naturforschers und Beobachters, der zwar die letzten Gründe und Grenzen unseres Wissenkönnens denkerisch zu bemeistern sucht, der es jedoch weit ablehnt, seine empirischen Materialien selber spekulativ zu verbiegen. Seine zweite Kampffront, die für uns Heutige fast bedeutsamere, richtete sich unausgesprochen gegen gewisse Konsequenzen der naturwissenschaftlichen Blickweise selber. Gustav Theodor Fechner, sein großer ihm eng verbundener Freund, war gleich ihm im Psychologischen naturforschender Empiriker; und auch in der Psychologenschule des Kantianismus hatte die psychologische Empirie immer stärker an Boden gewonnen, wie die Namen Fries, Jürgen Bona Meyer und vor allem Beneke beweisen. Und wie grundsätzlich, wie zugleich „modern“ hebt sich dennoch die Blickweise Lotzes von der intellektualistischen jener Psychologen, von der experimentell-schematisierenden eines Fechner und seiner Schule ab! Lotze ist in der Neuzeit der erste große wissenschaftliche Psychologe, dessen Blick auf den Menschen als ein psychophysisches Ganzes gerichtet ist, welches er, wie wir etwa heute sagen würden, als „System“, als „Person“, in dem Aufbau und der Wesenseigenart seiner Konstitution zu erfassen versucht: Seine Psychologie strebt aufs Stärkste zur Individualpsychologie, ohne es schon zu sein.
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Kronfeld, A. (1926). Die Individualpsychologie als Wissenschaft. In: Wexberg, E. (eds) Handbuch der Individualpsychologie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-50692-5_1
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