Charaktervarianten

Zusammenfassung

Wir haben bisher den sensitiven Charakter als eine Art konstante Größe betrachtet und in der Tat auch gesehen, wie die einzelnen Züge der sensitiven Persönlichkeiten sich oft bis in die feinsten individuellen Schattierungen hinein glichen. Wir hatten ihre Erkrankungen nach den Erlebnis- und zum Teil auch Milieuwirkungen gruppiert, die ihre Unterschiede bedingten. Im folgenden Kapitel werden wir nun sehen, in welcher Weise die Krankheitsbilder sich abwandeln, wenn der zugrunde liegende Charakter selbst geändert ist, wenn in den rein sensitiven Charakter, den wir bisher unter Absehung von kleineren Zutaten betrachteten, Züge aus anderen Charakterformen, speziell aus der primitiven und expansiven Gruppe, gemischt sind, oder wenn sogar in derselben Persönlichkeit vollausgebildete fremde Charakterkomponenten der sensitiven Charakterseite schroff entgegenstehen. Wir werden hier gerade in den beiden Hauptfällen Kluge und Wagner besonders komplizierte Persönlichkeiten und besonders überraschende und interessante Wendungen paranoischer Psychosen, wie etwa den Größenwahn Kluges oder den brutalexpansiven Schluß des sensitiven Beziehungswahns Wagners kennen lernen. Die dazwischengestellten einfachen Fälle Urban und Held fallen mit ihrem Schwerpunkt außerhalb der Grenzen der sensitiven Gruppe; sie stellen vielmehr primitive Persönlichkeiten dar, in deren Wesen gerade noch so viel sensitive Innerlichkeit gemischt ist, um ihren Affektreaktionen einen Einschlag asthenischer Beziehungsideen zu geben. Auch die Erkennung dieser äußersten Ausläufer sensitiver Reaktionsweise ist wichtig.