Zusammenfassung
Im Folgenden werde ich einen Begriff der Menschenrechte entwickeln, der von dem, was in der juristischen Redeweise üblich ist, abweicht. Ein Menschenrecht in dem Sinne, wie er in diesem Buch zugrunde gelegt wird, ist nicht alles, was in entsprechenden Kodifikationen als Menschenrecht bezeichnet wird und natürlich schon gar nicht alles, was im Felde des politischen Diskurses als Menschenrecht behauptet wird. Ich werde auch nicht der im vorigen Kapitel dargestellten Praxis folgen, zwischen dem Kernbereich oder Wesensgehalt von Menschenrechten und ihrem Randbereich zu unterscheiden. Schließlich werde ich auch nicht unterscheiden zwischen Menschenrechten verschiedenen Gewichts. Nicht jedes wohl begründete moralische Desiderat ist schon ein Menschenrecht (im moralischen Sinne). Entscheidend für den Begriff der Menschenrechte ist vielmehr, dass es sich um fundamentale Rechte handelt (Borowski 2006, 85 ff.). Ein Recht ist genau dann fundamental im Sinne des Begriffs der Menschenrechte, wenn sein Schutzbereich genau diejenigen Bedürfnisse einer Person erfasst, deren Befriedigung notwendig dafür ist, dass diese Person in einem menschenwürdigen Zustand leben kann. Ein Eingriff in den Schutzbereich eines Menschenrechts in diesem strengen Sinne liegt nur dann vor, wenn eine Person Umständen ausgesetzt oder darin festgehalten wird, die menschenunwürdig sind. Solche Eingriffe sind absolut verboten. Eine Abwägung mit entgegenstehenden Interessen und Werten findet nicht statt.
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Notes
- 1.
Diese Definition ist in einem Fall nicht hinreichend, nämlich in Bezug auf das Recht auf Leben. Denn durch die Tötung wird das Opfer nicht in einen menschenunwürdigen Zustand versetzt, sondern seine Existenz vernichtet. Mit der hier vorgeschlagenen Definition soll nicht behauptet werden, das Recht auf Leben sei in Wahrheit gar kein Menschenrecht. Vielmehr zeigt sich dessen Menschenrechtscharakter erst bei einer tieferen Analyse des Begriffs der Menschenrechte, die ich an anderer Stelle geleistet habe und auf die es im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit nicht ankommt. Vgl. Tiedemann 2012a, 429 ff.; 2012b.
- 2.
Vgl. aber Art. 4 Abs. 2 i. V. m. Art. 18 IPbürgR.
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Tiedemann, P. (2012). Das Kriterium der Menschenrechte. In: Religionsfreiheit - Menschenrecht oder Toleranzgebot?. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-32709-4_3
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