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Humanitäre Dilemmata: Anspruch und Wirklichkeit der humanitären Prinzipien

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Handbuch Humanitäre Hilfe

Zusammenfassung

Wenn es darum geht, einen normativen und ethischen Rahmen für die humanitäre Hilfe zu definieren, berufen sich viele Hilfsorganisationen auf die im humanitären Völkerrecht verankerten Prinzipien der Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Neutralität. In der Praxis, insbesondere in komplexen Konfliktsituationen, stößt die Einhaltung dieser Prinzipien allerdings oft auf Schwierigkeiten. Es gibt Situationen, in denen humanitäre Helfer sich in einem echten Dilemma befinden, was bedeutet, dass jede mögliche Handlungsoption ein bindendes moralisches Prinzip verletzt, z. B. Menschenleben akut gefährdet. Das Kapitel beschreibt reale Beispiele für solche humanitären Dilemmata und versucht, Lösungsansätze aufzuzeigen.

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Notes

  1. 1.

    Die erste als „humanitäre Intervention“ deklarierte militärische Operation war wohl der verunglückte Einsatz von Truppen der Vereinten Nationen (VN) (engl. United Nations, UN) unter US-Führung in Somalia 1993. Siehe dazu Kap. 12.

  2. 2.

    Zur Art und Weise wie der Begriff „humanitär“ von verschiedenen Akteuren benutzt wird, und wie sich dessen Verwendung im Laufe der Zeit geändert hat, siehe z. B. Davies 2012, Coupland 2001, Leader 2000 oder Slim 1998.

  3. 3.

    Der Begriff „Winning Hearts and Minds“ wurde schon von den englischen Kolonialtruppen in Malaysia für eine Taktik benützt, die darauf abzielte, die Sympathien der Zivilbevölkerung zu gewinnen. Heute bezieht sich der Begriff aber meistens auf eine gleichnamige Operation von US-Truppen im Vietnamkrieg.

  4. 4.

    Neuere Beispiele für eine durch eigene Erfahrungen untermauerte Fundamentalkritik an der humanitären Hilfe sind: Polman 2010; de Waal 2009; Riddell 2008; Rieff 2002; Vaux 2001.

  5. 5.

    Freiwilligkeit, Einheit und Universalität sind drei weitere von Pictet vorgeschlagene Grundsätze, die allerdings außerhalb der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung keine Bedeutung erlangt haben.

  6. 6.

    Hugo Slim hat dafür eine interessante Analogie geschaffen: „I wonder if there is an analogy between humanitarianism and humour. Laughter is a universal good. What would the world be like if only clowns were allowed to be funny and make people laugh? This would be a terrible world that confined humour to a professional class and restricted a universal human desire and capacity.“ (Slim 2003).

  7. 7.

    Im ersten Prinzip des Code of Conduct wird deshalb das Recht, humanitäre Hilfe zu erhalten, in den Vordergrund gerückt: „The humanitarian imperative comes first – the right to receive humanitarian assistance, and to offer it, is a fundamental humanitarian principle which should be enjoyed by all citizens of all countries. As members of the international community, we recognise our obligation to provide humanitarian assistance wherever it is needed. […]“ (Code of Conduct 1994).

  8. 8.

    Von einigen wird diese Debatte auch als eine zwischen humanitären „Puristen“ und „New Humanitarians“ beschrieben (Varga et al. 2005, S. 72–82). Eine solche Beschreibung unterstellt, dass die Puristen eher altmodisch und überholt sind, während die „New Humanitarians“ eine moderne humanitäre Hilfe verkörpern. Vgl. dazu Kap. 2.

  9. 9.

    In nur drei Monaten wurden 1994 in Ruanda rund 800.000 Tutsi und gemäßigte Hutu, die sich weigerten mitzumachen, durch radikale Hutu-Milizen getötet. Drei von vier Angehörige der Tutsi-Minderheit fielen dem Genozid zum Opfer.

  10. 10.

    Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières, MSF ) und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) stellten z. B. ihre Hilfsoperationen in den Flüchtlingslagern im Osten Zaires ein.

  11. 11.

    Für eine genauere Beschreibung der Begebenheiten im Zusammenhang mit dem Genozid in Ruanda und der schwierigen Diskussionen unter humanitären Organisationen über die Hilfsoperationen in den Flüchtlingslagern in Zaire siehe z. B. Terry 2002 oder Lischer 2006. Vgl. auch Kap. 3.

  12. 12.

    Der VN-Flüchtlingskommissar (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) entschied sich, aus ihren Dörfern vertriebene ethnische Minderheiten nicht ins Ausland zu evakuieren, während das IKRK zum Schluss kam, dass unter den gegebenen Umständen eine Evakuierung in sichere Gebiete die einzige Möglichkeit war, zehntausende von Menschenleben zu retten (Terry 2002, S. 47 f.).

  13. 13.

    Die britische Zeitung „The Guardian“ berichtete am 25. Mai 2010 über diese Kontroverse. Sie zitierte auch einen Sprecher der North Atlantic Treaty Organization (NATO), der das IKRK verteidigte: „Nato has tremendous respect for the humanitarian work carried out by the ICRC [International Committee of the Red Cross] and we recognise the need for this work to be carried out impartially“ (The Guardian, http://www.guardian.co.uk/world/2010/may/25/red-cross-first-aid-taliban. Zugegriffen: 11. Jan. 2013).

  14. 14.

    Der Grundsatz der Unparteilichkeit wurde auch als eine Verpflichtung in den „Verhaltenskodex für Nichtregierungsorganisationen“ (siehe „Code of Conduct“) übernommen: Principle 2: „Aid is given regardless of the race, creed or nationality of the recipients and without adverse distinction of any kind. Aid priorities are calculated on the basis of need alone“, und Principle 3: „Aid will not be used to further a political or religious standpoint. Humanitarian aid will be given according to the need of individuals, families and communities […].“ (Code of Conduct 1994).

  15. 15.

    Die Tatsache, dass die öffentliche Reaktion auf eine Katastrophe wesentlich davon abhängt, ob und in welcher Art und Weise internationale Medien darüber berichten, wird oft als „CNN effect“ bezeichnet. Vgl. dazu Kap. 10.

  16. 16.

    Der Grundsatz der Unabhängigkeit ist deshalb im Code of Conduct auch bewusst einschränkend formuliert: Principle 4: „We shall endeavour not to act as instruments of government foreign policy. […]“ (Code of Conduct 1994).

  17. 17.

    Viele Organisationen haben sich auch entschlossen, eine allzu offensichtliche Instrumentalisierung durch staatliche Geldgeber zurückzuweisen, z. B. in der Debatte zur „vernetzten Sicherheit“ in Afghanistan. MSF hat sich z. B. strikte Bedingungen für die Annahme staatlicher Gelder auferlegt. Das IKRK, das zu einem überwiegenden Teil durch Staatsbeiträge finanziert wird, beschränkt die Möglichkeiten der Zweckbindung für Geldgeber.

  18. 18.

    Im März 2009, einen Tag nachdem der Internationale Strafgerichtshof Anklage gegen den sudanesischen Präsidenten al-Bashir erhoben hatte, wurden 13 internationale NRO von der sudanesischen Regierung aus Darfur ausgewiesen, weil sie der Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof verdächtigt wurden. Siehe dazu: The Guardian, http://www.guardian.co.uk/world/2009/mar/24/darfur-aid-crisis. Zugegriffen: 11. Jan. 2013.

  19. 19.

    Ein Beispiel für eine verfehlte Neutralitätspolitik waren sicher die Hilfsoperationen des IKRK in den Konzentrationslagern des Nazi-Regimes in Deutschland. Der positive Effekt der Verteilung von Nahrungsmittelpaketen in gewissen Konzentrationslagern durch das IKRK war im Vergleich zur Gesamtproblematik völlig insignifikant. Es dauerte allerdings viele Jahre, bis das IKRK dies auch öffentlich bekannte. Vgl. dazu Kap. 3

  20. 20.

    Die am weitesten verbreiteten professionellen Standards der humanitären Hilfe wurden im sog. „Sphere Project“ von verschiedenen NRO erarbeitet und in einem Handbuch unter dem Titel „Humanitarian Charter and Minimum Standards in Disaster Response“ veröffentlicht. Vgl. dazu Kap. 15.

  21. 21.

    Das Bestreben, mit geeigneten Maßnahmen die möglichen negativen Auswirkungen einer Hilfsleistung zu minimieren, und – falls das nicht möglich sein sollte – ggf. auch Hilfsleistungen zu unterlassen, wird nach einem Vorschlag von Mary Anderson als „Do No Harm“-Ansatz bezeichnet (Anderson 1999). Vgl. dazu Kap. 20.

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Schweizer, B. (2013). Humanitäre Dilemmata: Anspruch und Wirklichkeit der humanitären Prinzipien. In: Lieser, J., Dijkzeul, D. (eds) Handbuch Humanitäre Hilfe. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-32290-7_19

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